© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Helmuth Kiesel (Hrsg.): Ernst Jünger / Carl Schmitt – Briefwechsel
Niemals ein persönlicher Tonfall
Michael Meyer

Der von vielen ungeduldig erwartete Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Carl Schmitt sollte nach einer Äußerung Jüngers, die Veröffentlichung der Korrespondenz habe wohl noch etwas Zeit, erst nach seinem Tode ediert werden. Um es gleich vorwegzunehmen: Das Buch bringt keine Überraschungen und wenig Erhellendes zum Verhältnis und der gegenseitigen Befruchtung dieser beiden großen Autoren und Denker, deren Spannungsbogen sich zwischen Regenbogen und Gewitterblitzen bewegte.

Der gewichtige Band, der mit seinen fast 900 Seiten ungefähr ein Kilogramm auf die Waage bringt, zerfällt in drei Teile. Die ersten beiden Teile sind der Briefwechsel und dessen Kommentierung vom Herausgeber Helmuth Kiesel. Der 1947 geborene Kiesel ist Inhaber eines Lehrstuhls für Geschichte der neueren deutschsprachigen Literatur am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg. Zum hundertsten Geburtstag Jüngers hielt er 1995 einen Vortrag im Rahmen des Festakts der Universität Heidelberg. Am Geburtstag Jüngers in diesem Jahr, dem 29. März, veröffentlichte die FAZ einen Beitrag Kiesels über die Konversion Jüngers zum Katholizismus, die dieser wenige Jahre vor seinem Tod vollzog.

Im Nachwort schreibt Kiesel: "Der vorliegende Band bietet den Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Carl Schmitt, soweit er den Nachlaßverwaltern, den zuständigen Archivaren und dem Herausgeber bekannt wurde, in einschränkungsloser Vollständigkeit und in buchstäblich genauer Abschrift." Der Briefwechsel umfaßt insgesamt 426 Briefe und Karten. Davon sind 249 von Jünger und 177 von Schmitt. Das Publizierte unterstützt die Annahme, daß nur einzelne Stücke fehlen. Denn wenn zwischen einem Brief und dessen Antwort längere Zeit vergangen ist, schrieb der Antwortende häufig: Wir haben soundso lange nichts voneinander gehört oder ähnliches.

Das Verhältnis der beiden ist einerseits so spannend und bedeutungsvoll wie andererseits wenig erforscht. Piet Tommissen hat in der zehnten Etappe eine Zwischenbilanz mit interessanten Hinweisen gezogen. Martin Meyer geht in seiner fulminanten Werkbiographie zu Jünger in einigen Abschnitten auf Schmitt ein, und auch Ernst Nolte beschäftigt sich in seinem "Geschichtsdenken im 20. Jahrhundert" mit "Carl Schmitt und Ernst Jünger". Dennoch gibt es bisher keine Forschungsarbeit, die die gegenseitige Beeinflussung thematisiert. Interessant wäre dies – um nur ein Beispiel zu nennen – bezüglich Schmitts Schrift "Der Partisan" und Jüngers "Der Waldgang" und "Eumeswil". (Jünger entwickelte in "Eumeswil" die Figur des Waldgängers zu der des Anarchen weiter und grenzt sie unter anderem vom Partisanen ab.)

Armin Mohler, Sekretär Ernst Jüngers von 1949 bis 1953, gab anläßlich der Veröffentlichung von Schmitts "Glossarium" in der Zeitschrift Criticón 128 Ansätze einer Charakterisierung der Beziehung. Das "Glossarium" sind Schmitts tagebuchähnlichen Aufzeichnungen aus den Jahren 1947–1951, die dieser später zur Veröffentlichung bestimmte. Hierin äußert sich Schmitt despektierlich über Jünger. Mohler kennzeichnet das Verhältnis als "Männerfreundschaft": "In einer solchen Freundschaft schließen zwei Mächtige, von denen jeder seine eigene Welt hat und auf eigenen Beinen stehen könnte, ein halb der Vernunft, halb der Sympathie entsprungenes Zweckbündnis gegen Dritte, das ihnen unnützen Streit untereinander ersparen soll. Eine Grundregel ist, daß die beiden nicht zu ähnlich sein dürfen, sondern jeder in seinem eigenen Wald auf die Jagd geht. (…) Eine zweite Grundregel ist, daß man sich von Zeit zu Zeit einmal kräftig die Meinung sagt, und dann ‘is a Ruah...’".

Das mögen die beiden im Gespräch getan haben, in ihrem Briefwechsel ist davon bis auf ein, zwei Stellen nichts zu merken. Im Gegenteil: Was man sagt und wie man es sagt, ist recht distanziert. Schmitt gehörte nie zu den wenigen Duzfreunden Jüngers. Der Schriftverkehr hat niemals einen wirklich persönlichen Tonfall. Man hat Hochachtung voreinander und ist genau darauf bedacht, nichts falsches zu schreiben.

Der Briefwechsel beginnt 1930, als beide sich kennenlernen. Beide äußern Respekt vor dem Werk des anderen. Später wird Schmitt der Patenonkel von Jüngers jüngerem Sohn Alexander. Damit nehmen auch die Erkundigungen nach dem persönlichen Befinden zu. Man schreibt sich zu Weihnachten und natürlich zu den Geburtstagen. Die Frauen freunden sich miteinander an und treffen sich auch ohne ihre bedeutenden Männer...

Wer einen intensiven intellektuellen Austausch in den Briefen erwartet hat, wird enttäuscht. Beide geben sich vor allem Hinweise. Bei den meisten Erwähnungen von Autoren, Büchern oder anderen Personen beziehen sich beide wohl zumeist – und das oft unausgesprochen – auf vorhergehende Treffen. Im Vordergrund steht insgesamt meist Organisatorisches. Man bittet um Hilfe für den und den, läßt von diesem herzlich grüßen oder teilt mit, daß man wieder einmal denjenigen getroffen hat.

Am persönlichsten wird der Briefwechsel Anfang 1950. Auf eine sehr vorsichtig und zurückhaltend formulierte "freundschaftliche Warnung" Jüngers vom 28. November 1949 reagiert Schmitt am 10. Januar 1950 in schärferer Gangart: "Ich bin in diesen Dingen älter und wahrscheinlich auch erfahrener als Sie, und habe den Wunsch, daß wir einmal Zeit und Ruhe zu einem intensiven Gespräch unter uns finden, sei es ein Morgen- oder ein Nachtgespräch, wie öfters in den 30er Jahren in Berlin. Ihr Vergleich mit den blumengeschmückten Panzerschiffen ist nicht zutreffend für unsere Situation. Jeder von uns beiden hat einen Namen und eine Sache, echten Ruhm und ein Gesicht, und jeder von uns beiden kann alles das verlieren. Ich mache meinen Fall auf meine Weise ab und ziehe Sie nicht hinein. Ihr Fall liegt ganz anders, einfacher und doch so, daß Sie ärger gefährdet sind als ich mit all der Meute hinter mir..."

Darauf antwortet Jünger mit einem kurzen Schreiben am 13. Januar 1950. Die Schwere der Aussage Schmitts wird ihm aber erst drei Tage später bewußt, so daß er nun Schmitt noch einmal ausführlicher erwidert: "Sie verweisen meine Warnung vom 28.11. in den taktischen Bereich und mögen damit recht haben. Ich bin aber auch berechtigt, Ihnen in der Sache Rat zu erteilen; ich habe das angesichts der folgenschwersten Entscheidung Ihres Lebens nachgewiesen, und Sie werden sich der Nacht entsinnen, in der ich Sie auf der Friedrichstraße verließ und in großer Trauer war. Auch damals lebte ich in meinem Alltag nicht vorbildlich. Wären Sie aber in der Sache meinem Rat und Beispiel gefolgt, so würden Sie heute vielleicht nicht mehr am Leben sein, aber berechtigt zum Urteil in letzter Instanz über mich. Wäre ich damals Ihrem Rat und Beispiel gefolgt, so würde ich heute gewiß nicht mehr am Leben sein, weder physisch, noch sonst. Das müssen Sie anerkennen, denn da Sie mich einladen, in die Sache einzutreten, so muß es geschehen. Ich meine natürlich nicht die politischen Entscheidungen. An ihnen werden wir ja nur geprüft."

Diese für das gesamte Verhältnis beider so bedeutende Kontroverse war vor Erscheinen des Buchs nicht mehr unbekannt. Paul Noack ging darauf in seiner ansonsten bedeutungslosen Jünger-Biographie 1998 ein.

Etwa denselben Umfang wie der Briefwechsel nimmt in dem Buch die Kommentierung von Helmuth Kiesel ein. Man merkt ihr das Bemühen an, möglichst ausführlich sein zu wollen. Doch Kiesel will es allen recht machen: "Ein Kommentar will vielen Lesern nützlich sein", schreibt er in der Einleitung zur Kommentierung. So möchte Kiesel auch denjenigen Lesern eine Unterstützung bieten, "die mit den Biographien und Werken von Jünger und Schmitt weniger vertraut sind". Das ist löblich, kann aber kaum gelingen. Denn dieser Briefwechsel ist vor allem für Insider interessant, jemandem, der sich nicht seit mehreren Jahren mindestens für das Werk des einen von beiden interessiert, bringt die Lektüre dieses Buchs wenig.

Aufschlußreich dagegen wird der Briefwechsel, wenn man ihn zusammen mit den Tagebüchern Jüngers und dem "Glossarium" Schmitts liest. Dann erst treten die intimeren Befindlichkeiten Schmitts zutage, der beispielsweise zu der Auseinandersetzung von 1950 in seinem "Glossarium" zu Jünger notierte: "Ist das nicht die Rabulistik eines Ich-verrückten Rechthabers? Nachwirkungen seines Meskalin-Experiments?" In seinen Briefen hat Schmitt dagegen versucht, den Streit auf der geistig-grundsätzlichen Ebene auszutragen. Dem Gelegenheits-Leser, der von Schmitt oder Jünger nur diesen Briefwechsel kennenlernt, muß wesentliches verschlossen bleiben. Daran kann auch kein Kommentar etwas ändern.

Positiv hervorzuheben ist, daß Kiesel nur wenige Fehler begeht. Dies ist bei der Kommentierung eines derart umfangreichen Schriftwechsels wahrlich nicht selbstverständlich. Ein allerdings deftiger Fauxpas ist die Erläuterung, Jünger hätte in "Gärten und Straßen" von 1942 in dem Eintrag zu seinem 45. Geburtstag am 29. März 1940 auf den 43. Psalm verwiesen: "Schaffe mir Recht, o Gott, und führe meinen Streit gegen unfrommes Volk!" Tatsächlich heißt es im Tagebuch: "Dann zog ich mich an und las am offenen Fenster den 73sten Psalm." Dort steht: "...Darum fällt ihnen der Pöbel zu und läuft ihnen zu in Haufen wie Wasser..." Daher soll sich Goebbels auch sehr über "Gärten und Straßen" echauffiert haben.

Eine fragwürdige Annahme stellt die Erläuterung des Jüngerschen Ex Libris dar. Daß es sich bei der dort dargestellten Lampe um Aladins Wunderlampe handelt, schreibt zwar auch Noack in seiner Biographie. Das ist allerdings lediglich eine Vermutung, die nicht belegt ist. Und: Bei den Erläuterungen einiger Personen fehlen wichtige Informationen. So erwähnt Kiesel zwar, daß der Schriftsteller Friedrich Sieburg die Begegnungen mit Jünger 1955 in seinem Beitrag für die Festschrift "Freundschaftliche Begegnungen" beschrieb. Daß Sieburg in seinem Buch "Unsere schönsten Jahre – Ein Leben mit Paris" Ernst Jünger 1950 in einem eigenen Unterkapitel mit dem Titel "Im Taucheranzug" porträtiert, scheint Kiesel jedoch entgangen zu sein.

Bei Pierre Drieu la Rochelle fehlt der Hinweis, daß von ihm der erste Beitrag ("An die Deutschen") in dem von Jünger 1930 herausgegebenen Sammelband "Hier spricht der Feind" stammt. Jünger und Drieu verband demnach mehr als bloße Bekanntschaft. Karl Epting, Leiter der Pariser Zweigstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in der Besatzungszeit, veröffentlichte 1943 bei der Hanseatischen Verlagsanstalt, Jüngers Verlag bis 1939, ein Buch mit dem Titel "Frankreich im Widerspruch", das Kiesel verschweigt.

Zu Graf Podewils sagt Kiesel nur, dieser zählte "ebenfalls zum Pariser Kreis um Jünger". Das Ehepaar Podewils gehörte darüber hinaus jedoch zum engsten Freundeskreis der Jüngers – noch nach dem Krieg. Sophie Dorothee Podewils veröffentlichte 1941 das Buch "Die geflügelte Orchidee", wo sie mit der Figur des Mantius Ernst Jünger als subtilen Jäger porträtiert.

So bietet die Kommentierung insgesamt brauchbare Hinweise für diejenigen Leser, die sich nicht so genau auskennen. Resultierend ist aber festzustellen, daß Kiesel wichtiges entgangen zu sein scheint, er andererseits Überflüssiges erläutert. Unverständlich ist außerdem das Fehlen eines Namenregisters. Dieses hätte die häufige und beim Lesen ärgerliche Wiederholung mancher Namen im Kommentar erspart. Völlig überflüssig ist das Nachwort von Kiesel. Dieses ist nichts anderes als eine kurze Zusammenfassung des Briefwechsels. Hier bezeugt der Herausgeber, daß er nicht recht wußte, was er sagen sollte.

Fazit: Dem Verlag ist zu danken, daß der Briefwechsel vollständig veröffentlicht wurde. Helmuth Kiesel hat sich als Herausgeber alle Mühe gegeben. Die Mammutarbeit, eine solche Korrespondenz möglichst treffend zu kommentieren, ist allerdings nur von einem Stab von Fachleuten zu leisten. Gerade im "Forschungsfeld Jünger" wächst eine Reihe von jungen Kennern heran, deren Detailkenntnisse überraschend sind. Daß sie für folgende Auflagen mit einbezogen werden, ist zu hoffen.

 

Helmuth Kiesel (Hrsg.): Ernst Jünger/Carl Schmitt – Briefe 1930–1983, Klett Cotta Verlag, Stuttgart 1999, 894 Seiten, 78 Mark


 
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