© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Pierangelo Schiera (Hrsg.): Italienische Botschaft in Berlin
Verfallenes Dornröschenschloß
Martina Grundmann

Die italienische Botschaft in der Hiroshimastraße in Berlin-Tiergarten befindet sich zur Zeit im Umbau. Sie ist einer der aufälligsten Botschaftsbauten in Berlin. Sie wurde zwischen 1938 und 1943 errichtet. Im Zuge von Albert Speers monumentalem "Germania"-Projekt für Berlin sollten sämtliche Botschaften in einem repräsentativen Diplomatenviertel zusammengefaßt wurden. Von den ehemals zwanzig fertiggestellten Gebäuden sind noch fünf erhalten, neben der italienischen auch die japanische Dependence.

Eine zentrale Bedeutung kam dabei, analog zur "Achse Berlin-Rom", der italienischen Botschaft zu. Sie sollte, wie nach einem Gespräch des italienischen Botschafters im Auswärtigen Amt protokolliert wurde, "als schönste Botschaft in Berlin" entstehen. Das Projekt wurde zwischen den deutschen und italienischen Stellen intensiv abgestimmt. Vorbild für den Bau war ein römischer Palazzo aus dem 18. Jahrhundert. Die 360 Zimmer der Botschaft beanspruchten eine Grundfläche von rund 10.000 Quadratmetern. Das Ganze war mehr auf Repräsentation als auf Funktionalität angelegt. "Ohne nationalsozialistisch oder faschistisch zu sein", schreibt Pierangelo Schiera, Leiter des Italienischen Kulturinstituts, im Vorwort, bietet das Gebäude "eine ideologisch zeitgemäße Interpretation des italienischen Renaissance-Stils. Das hätte der Stil des internationalen Faschismus werden können, wenn er sich durchgesetzt hätte."

Der Aufwand an Prunk war in der Tat enorm. Türen und Friese aus dem 15. Jahrhundert wurden aus einem umbrischen Palazzo hierher gebracht und eingefügt. Der Krieg verzögerte die Fertigstellung. Zwar zeigt ein offizielles Pressefoto vom Sommer 1941 den italienischen Botschafter an seinem enormen Schreibtisch sitzend und einen edlen Gobelin im Rücken. Aber erst im Janaur 1943 galt der Bau als beendet.

Eine Einweihungsfeier konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr stattfinden. Die Schlacht bei Stalingrad ging gerade verloren, einige Monate später zerbrach auch die Achse. So konnte das Gebäude keine Bedeutung mehr in Berlin erlangen. Kurz vor Kriegsende erhielt es einige schwere Granattreffer, aber der Geschäftsbereich blieb erhalten. 1950 zog das italienische Generalkonsulat ein. Der Funktionsverlust war jedoch nicht aufzuhalten, zumal ab den siebziger Jahren die Italienische Botschaft im Ostteil der Stadt die konsularischen Aufgaben für ganz Berlin übernahm. Italien wollte das massive Gebäude verkaufen. Statt dessen verfiel es allmählich und wurde zu einem düsteren Dornröschenschloß, passend zum Nachkriegs-Berlin, diesem mauerbewehrten geschichtlichen Hohlraum, wo die Historie zwar überreichlich präsent war, aber stillstand oder fremdbestimmt war. Erst der Mauerfall und die deutsche Wiedervereinigung änderte die Lage. Seit 1996 arbeitet hier das Italienische Kulturinstitut. In zwei Jahren soll die diplomatische Vertretung einziehen. Die Sanierung soll möglichst originalgetreu geschehen, das Intarsienparkett zum Beispiel wiederhergestellt werden. Sogar die Reliefs der faschistischen Axt-und-Rutenbündel zu beiden Seiten der Tür zum Arbeitszimmer des Botschafters sollen an anderer Stelle des Hauses wieder angebracht werden.

Der vorliegend deutsch-italienische Bildband hält diese Sekunde zwischen Abschied und Neuaufbruch in mehr als siebzig phantastischen Fotos unterschiedlicher Fotografen und überwiegend in Schwarz-Weiß adäquat fest. Der Zustand des Gebäudes wird durch kunstvolle Verfremdungen als Metapher für Geschichtlichkeit, für die verfließende Zeit und menschliche Hybris kenntlich gemacht. Die riesigen leeren Räume, die ausladenden, eingefallenen Treppenhäuser, der Schutt in den Gängen, die überwucherten Innenhöfe legen Zeugnis davon ab, wie eine politische Wahnidee nach dem Verlust ihres ideologischen Furors und ihrer Macht, den normalen Lauf der Zeit außer Kraft zu setzen, wieder ins Nichts und ihre materiellen Zeugnisse an die Natur zurückfallen.

Auch die in den letzten Jahren bereits sanierten Gebäudeteile werden auf Farbfotos abgebildet. Dabei wird auch der faschistische Repräsentationsstil nicht geleugnet. Pierangelo Schiera sieht darin, wie er ironisch anmerkt, ein Zeichen der "historischen Schamlosigkeit" der italienischen Kultur. Was nichts anderes heißt, als daß in Italien bis heute eine Sichtweise der Geschichte bevorzugt wird, "die vom Vergessen und nicht so sehr von der Erinnerung geprägt ist. Geschichte ist dann nicht mehr das, was man erinnern kann oder will, sondern vielmehr das, was man vergessen will und kann." Die Italiener seien "genügsamer und bescheidener oder nicht so ehrgeizig und verantwortungsbewußt wie die Deutschen und würden es nicht wagen, die Vergangenheit zu vereinnahmen. Sie versuchen vielmehr, in einem freilich nicht immer eindeutigen Anpassungs- und Lernprozeß, die Existenz des Vergangenen mit seinen Widersprüchen, Gewalttätigkeiten und Erfolgen hinzunehmen."

Diese Gelassenheit hat natürlich mit den qualitativen Unterschieden zwischen Faschismus und Nationalsozialismus zu tun, aber auch mit dem Gleichmut, den ein Volk sich aneignet, das praktisch seit Jahrtausenden auf klassischem Kultur- und Geschichtsboden wohnt. Wer dort über- und weiterleben will, kann sich nicht jedesmal von dem, was gerade vorüber ist, überwältigen lassen.

Bei der Pressevorstellung des Buches im Botschaftsgebäude wurde von wachsamen deutschen Journalisten natürlich auch die Frage nach der politisch-ideologischen Kontaminiation des Gebäudes aufgeworfen. Die Antwort Schieras, gewiß kein schlechterer Demokrat und Geschichtskenner als der kritische Fragesteller, machte den ganzen Unterschied zwischen heller mediterraner Lebensauffassung und dem verbiesterten deutschen Exorzismus deutlich: Zu allen Zeiten gebe es gute Prinzen und böse Prinzen, die sich Kathedralen und Schlösser bauen. Dieses Gebäude sei zwar von den bösen Prinzen erbaut worden, doch die seien nun glücklicherweise weg, und die guten Prinzen, die ein Quartier brauchen, wollen da jetzt eben einziehen.

 

Pierangelo Schiera (Hrsg.): Italienische Botschaft in Berlin. Jovis Verlag, Berlin 1999, dt. und ital., 96 Seiten, 70 s/w- und Farbfotos, 49,80 Mark


 
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