© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Regierungsbildung in Wien: Warum sollten nicht die beiden Arbeiterparteien koalieren?
Rot-blaue Volksfront bleibt Zukunftsmusik
Norbert Niemann

Das waren noch Zeiten, als die FPÖ noch eine mehr oder minder als nationalliberale Honoratiorenpartei zu bezeichnende Truppe war. Damals, in den Tagen vor Haider also, gab es in Hinblick auf die innenpolitische Zusammenarbeit ein Prinzip: im Zweifel lieber mit den Roten als den Schwarzen. Dies resultiert aus den Tagen des Kulturkampfes, da sich die Gründerväter der heutigen Freiheitlichen, zumeist "schlagende" Burschenschafter, mit den christkatholischen CVern an den Universitäten geprügelt hatten. Diese Präferenz resultiert aber auch aus der Zeit des kleriko-faschistischen Ständestaats, als illegale Nationalsozialisten und verfolgte Austromaxisten gemeinsam in den Gefängnissen von Dollfuss und Schuschnigg saßen. Kein Wunder also, daß Friedrich Peter blendend mit Bruno Kreisky konnte und Norbert Steger schließlich mit Fred Sinowatz gemeinsam ins Koalitionsbett kroch.

Dann aber kam Haider, und der wollte vorläufig einmal die "bessere bürgerliche Partei" sein. Nun aber wählen ihn beinahe 50 Prozent aller österreichischen Arbeiter. Ein schwerer Schlag für die traditionelle Arbeiterbewegung des Landes. Für Jörg Haiders Truppe allerdings der Hinweis, daß man weit eher über eine post-proletarische Wählerschaft denn über eine bürgerliche verfügt. Ein Indiz auch, daß der vielzitierte "Rechtsruck" kein solcher, zumindest nicht im klassischen Sinne, ist.

Nun ist Österreich weit davon entfernt, eine SED-Lösung – eine sozialistische Einheitspartei zwischen Freiheitlichen und SPÖ – oder eine rot-blaue Volksfront verpaßt zu bekommen. Von den Wählerstrukturen allerdings wäre es keineswegs abwegig, in Hinblick auf Wählerauftrag und Inhalte auch gemeinsam zu regieren. Bleibt man auf der Ebene der Schlagworte und der Sonntagsreden, ist das Eintreten "für den kleinen Mann", sind Mietensenkung und Strompreisherabsetzung klassische Anliegen der Arbeiterbewegung, die Rot und Blau kaum trennen dürften.

Im Bereich der Ausländerpolitik, für die die Haider-Truppe gegenwärtig international an den Pranger gestellt wird, läße sich in einer SPÖ/FPÖ-Regierungsgemeinschaft mit einem Kompromiß auf der Basis des Schily-Schlögel-Kurses – wie sagte der deutsche SPD- Innenminister: "Das Boot ist voll" – problemlos in ein Regierungsprogramm einbauen. In Hinblick auf die begleitende Terminologie einer solchen Politik würden die Freiheitlichen zweifellos alles meiden, was aus dem "Wörterbuch des Unmenschen" stammen könnte. An der verbalen Behübschung einer restriktiven Ausländerpolitik also muß es auch mit Haider keineswegs mangeln.

Am Beginn der Ära Klima mutmaßte man, die heimische Sozialdemokratie würde die Vranitzkysche Ausgrenzungspolitik gegenüber Haider nun wohl aufgeben. Rot-Blau könnte durchaus eine Option für die Zukunft sein. Nach den traumatischen Wahlverlusten der SPÖ scheinen Häupl, Klima und Edlinger, beraten wohl von ihrem Mentor Vranitzky, darauf zu setzen, eben diese Ausgrenzungspolitik in einer Art Finale-Furioso samt internationalem Echo zur Entscheidungsschlacht zu machen.

Die Wahrscheinlichkeit, daß bei allzu unmäßigen Begehren der unter der Oppositionstarnkappe verharrenden ÖVP Viktor Klima und Genossen doch noch auf die blaue Karte setzen, ist gegenwärtig gering. Die aus der Schublade geholte Faschismuskeule läßt sich mitten im Schwung nur sehr schwer bremsen. Völlig ausgeschlossen ist ein solcher Schwenk in Anbetracht des bewährten Pragmatismus der österreichischen Sozialdemokratie dennoch nicht. Vor allem dann, wenn die allgemeine Blockade Neuwahlen unausweichlich machen sollte und die Umfragen gleichzeitig ein weiteres Anwachsen der "Arbeiterpartei neuen Typs", wie sie Haider führt, signalisierten. Der Bundespräsident hat dem Derzeit-Noch-Kanzler Klima wohl nicht zufällig den Auftrag gegeben, mit allen Parlamentsparteien Sondierungsgespräche zu führen.


 
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