© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Oper: Rossini-Festspiele im Kurhaus von Wildbad
Bezaubende Ouvertüre
Julia Poser

Ein Gang durch den 300 Jahre alten Kurpark entlang der Enz stimmt heiter. Ein noch größeres Erlebnis erwartet aber den Besucher am Abend im Wildbader Kurhaus zur halbszenischen Aufführung von Rossinis "La Scala di Seta" (die seidene Leiter). Diese kleine heitere Oper, "farsa comica" genannt, stammt aus Rossinis Anfängerjahren. Sie ist ein überaus vergnügliches Stück, frisch, flüssig und spritzig, und besitzt schon alles, was man an Rossini liebt: eine bezaubernde Ouvertüre, ein witziges Thema, das auf Cimarosas "Heimliche Ehe" aus dem 18. Jahrhundert zurückgeht, und eine originelle Gestaltung der Charaktere. Neben der Heldin dieser Farsa, Giulia, die ihren heimlichen Ehemann allnächtlich mit einer seidenen Leiter in ihr Schlafzimmer holt, gibt es noch eine zweite Hauptrolle für den Bassbuffo, den dümmlichen Diener Germano.

Und wenn Maestro Alberto Zedda, dem niemand seine 71 Jahre ansieht, mit geradezu jugendlichem Temperament, sprühendem Esprit und sichtlicher Freude das begabte junge Orchestre de Picardie dirigiert, dann hat dieser großartige Belcanto-Spezialist eine musikalische Leiter in den Rossini-Himmel gewirkt. Ein hinreißender Abend und eine Sternstunde für die Wildbader Festspiele!

Die jungen Sänger, von Maestro Zedda geschult, boten durchwegs hervorragende Leistungen. Laurence Janot war als heimlich verheiratete Giulia nicht nur eine wahre Augenweide. Mit herrlich aufblühendem Sopran begeisterte sie mit makellosen Koloraturen in der vom Englisch-Horn begleiteten Arie. Laurent Alvaro meisterte die Buffopartie des Dieners mit großem komischen Talent. Seine Arie "Amore dolcemente", in der Rossini sein allmähliches Einschlafen mit sanften Streichertönen begleitet, war ein darstellerisches und sängerisches Kabinettstück.

Boris Grappe in der Rolle des Leutnants Blansac zeigte sich mit samtig verführerischem Bariton als von sich überzeugten Salonlöwen. Kein Wunder, daß Giulias Cousine Lucilla auf den feschen Kavalier flog. Lucillas hübsche, von zwei Pikkoloflöten begleitete "Aria del sorbetto" – eine Arie, während der man ruhig ein Sorbet schlürfen durfte – brachte Oana Andra mit klangvollem Mezzo. Den heimlichen Ehemann Giulias, Dorvil, sang der Tenor Rémi Garin anfangs etwas zögerlich, sich aber im Lauf seiner großen Arie immer mehr steigernd. Philippe Do als Giulias Vormund vervollständigte das erlesene Sextett.

Nach der Vorstellung trafen Künstler und "Rossinianer" sich zu anregenden Gesprächen bei gutem Essen und Trinken im Hotel Bären, wie es dort vor 143 Jahren auch schon Rossini selbst getan hat.


 
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