© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Kino: "Spiel der Götter" – Debüt des Buddhisten Khyentse Norbu
Flucht ins klösterliche Exil
Anja Reichelt

Inmitten der verlassenen, kargen Landschaft am Fuße des gewaltigen Himalayas liegt das Chokling-Kloster, eine tibetische Flüchtlingskolonie, versteckt. Gläubigkeit, Traditionsbewußtsein und streng sittliche Erziehung prägen das Leben der Mönche – und dennoch wird es den angehenden Mönchen nicht langweilig. Zum Leidwesen des Geko (Orgyen Tabgyal), des strengen Aufsehers des Klosters, planen sie täglich neue Streiche. Doch vor allem ein aktuelles Ereignis begeistert den jungen Orgyen (Jamyang Lodro) und seine Freunde: die Fußballweltmeisterschaft.

Statt Gelübden werden Wetten abgegeben und Fußballmagazine anstelle der Gebetbücher gewälzt. Nachts schleichen die Jungen heimlich aus dem Kloster, um die Spiele live vor dem Fernseher zu verfolgen. Als der Geko sie bei diesem ganz und gar nicht religiösen Ausflug erwischt, droht ihnen der Ausschluß aus den klösterlichen Gemächern. Doch der gutmütige alte Abt (Lama Chonjor) hat Mitleid mit den aufgeweckten Jungen, und so kommt es, daß sie bereits während des auferlegten Küchendienstes überlegen, wie sie trotz Ausgangssperre das ersehnte Endspiel doch noch sehen können. Die Lösung wäre ein Fernseher im Kloster, doch der ist viel zu teuer und unmöglich an den konservativen Aufsehern vorbeizuschmuggeln – oder etwa doch nicht?

"Spiel der Götter. Als Buddha den Fußball entdeckte"– ist das zum Teil humorvoll dargestellte, inhaltlich jedoch wenig anspruchsvolle Regiedebut des tibetisch-buddhistischen Mönchs Khyentse Norbu (in seiner Heimat auch unter dem geistlichen Namen Dzongsar Jamyang Khyentse Rinpoche bekannt). Sehenswert machen diesen Film jedoch allein seine gesellschaftlich, kulturell und geschichtlich nachdenklich stimmenden Aspekte.

In den fünfziger Jahren fiel die chinesische Rote Armee in Tibet ein, zerstörte mehr als 10.000 Klöster und brachte über 1,2 Millionen Tibeter um. Aus Angst schickten viele Familien ihre Kinder in abgelegene Klöster, um sie dort unter buddhistischer Ausbildung aufwachsen zu lassen. Der zu 95 Prozent authentische Film, so Khyentse Norbu, erzählt das Leben zweier Jungen, Nyima (Pema Tshundup) und Palden (Kunsang Nyima), die aus Tibet ins klösterliche Exil fliehen.

Daß es dort nicht nur diszipliniert und streng zugeht und sich durchaus nicht alles nur auf höherer geistiger Ebene abspielt, soll der bisher einzige Spielfilm dieses tibetischen Mönchs zeigen. Dabei geht es weniger um die Auseinandersetzung mit dem Thema Fußball als vielmehr um die allgemeine innere Zerrissenheit der Jungen in der Unsicherheit des Exils und der modernen Welt. Die scheinbaren Gegensätze Tradition und Technologie können verschiedene Generationen entweder völlig voneinander entfremden oder durch gegenseitiges Verständnis zusammenwachsen lassen. Für den Regisseur, der selbst in einem Kloster aufwuchs, stellt "Spiel der Götter" daher eine Art Prüfstein tibetischer Kultur und Gesellschaft dar. Um so beeindruckender ist es, daß nahezu alle Charaktere von den Mitgliedern des Klosters selbst gespielt wurden. Keiner von ihnen besaß schauspielerische Erfahrungen oder genügend Englischkenntnisse, um das Drehbuch durchzuarbeiten.

Sicher ist es diesem Umstand zwar zu verdanken, daß einige schauspielerische Mängel auffallen, aber dem Zuschauer wird auch ein unvergeßlich authentisch wirkender Einblick in die spirituellen Seiten des buddhistischen Klosterlebens geboten. Der Spielfilm "Spiel der Götter" bietet somit einen heute eher selten Einblick in die Kultur eines fremden Volkes. "Spiel der Götter" läuft am 28. Oktober bundesweit in den Kinos an.


 
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