© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Franziska Meier: Emanzipation als Herausforderung
Aufhebung eines Vorurteils
Peter Boßdorf

Fast zwei Jahrzehnte nach dem feuilletonistischen Triumphzug von Klaus Theweleits "Männerphantasien" soll die Erinnerung an den Bilderbuch-Denker von einst noch einmal kurz bemüht werden, um ihn gemeinsam mit einer Heerschar von weiteren auktorialen Wandersleuten in den Seelenlandschaften literarischer Prominenz en passant zu erledigen. Es ist sicher schade um manche Aperçus, die nun nicht mehr als erhellend gelten dürfen. Schließlich fühlten sich viele Ernst Jünger so nahe, weil sie sich in dem Psychogramm, das Theweleit von diesem aufblitzen ließ, wiederzuerkennen hofften. Ohne eine solche Chance verliert die Selbsterforschung ihr Ziel.

Franziska Meier scheint jedoch nicht bereit, auf jenes männerbündische Einverständnis über den betroffenen Schriftsteller hinweg Rücksicht nehmen zu wollen. Ihr Unbehagen ist ausufernd: Wohin sie auch blickt, wird die Literatur, die der Sympathie mit dem Nationalsozialismus oder dem Faschismus verdächtigte oder überführte Autoren auf ihre Rezeption der Geschlechterthematik hin abklopft, ihrem Forschungsgegenstand allenfalls ansatzweise gerecht. Es herrscht der akademische smalltalk, der kurzentschlossen und selbstzufrieden unter "rechtsrevolutionären" Schriftstellern vor allem oder sogar ausschließlich Misogynie walten sieht und sich an ihrem vermeintlichen Unvermögen vergnügt, einen Wandel der Geschlechterrollen "in der Moderne" zu akzeptieren.

Diese Lesart erscheint Franziska Meier als ideologisch belastet und leicht zu entkräften. Man sollte "sich von den misogynen Kommentaren nicht schrecken lassen und daraus leichthin auf einen frenetischen Virilitätskult und auf eine Flucht in Phantasmen schließen." Vielmehr gelte es, "den Kontext der Kommentare unter die Lupe zu nehmen und sich nach anderen Äußerungen umzuschauen, um die in Wirklichkeit ernsthafte Auseinandersetzung mit den anthropologischen Veränderungen zu rekonstruieren. Denn gerade die rechtsrevolutionären Schriftsteller ‘gingen nicht dem Leben verloren’, zogen sich in keine eigene Welt mit besonderen Grundbegriffen zurück, die sie den anderen hätten aufpfropfen wollen. Sie stellten sich ihrer Zeit. Ihren Ort finden die vielzitierten frauenverächtlichen Ausfälle daher in einem Geflecht von Beobachtungen, Prognosen und erstaunlichen Urteilen, in dem sie ihre Ausschließlichkeit verlieren." Franziska Meier versucht, diese Gerechtigkeit Pierre Drieu la Rochelle, Curzio Malaparte, Ernst Jünger und Louis-Ferdinand Céline widerfahren zu lassen – die Auswahl ist zaghaft (wenn auch mit Thomas Mann argumentierend) dadurch motiviert, daß die Geburtsdaten dieser Autoren nahe beieinander lagen und sich so vielleicht ähnliche Erfahrungen einstellten. Ezra Pound und Gottfried Benn finden demnach zwar kurz Erwähnung, fallen aber ansonsten aus dem Erzählrahmen. Problematischer als diese Eingrenzung ist jedoch die implizite Annahme eines Gesamtwerks, zwischen dessen Teilen in der Beweisführung hin und her gesprungen werden könnte und dem dann auch noch in toto die "rechtsrevolutionäre" Etikettierung zugemutet werden dürfte. Dies ist bei Drieu la Rochelle vielleicht gerade noch hinnehmbar und kann Céline kaum etwas anhaben. Bei Jünger gerät es jedoch zur Entstellung und bei Malaparte zu einem schlechten Scherz, den auch Franziska Meier nicht mehr kaschieren kann: Wenn sie Reflexionen über den Geschlechterwandel bei diesem in der Tat für alle Anschauungen seiner Zeit offenen Autor nachspürt, steht bezeichnenderweise der Roman "Kaputt" im Zentrum ihrer Paraphrasen. So läßt sich alles mit allem belegen.

Es ist also zunächst Glaubensstärke gefragt, wenn es das methodische Layout anzuerkennen und durchzuhalten gilt, in das der Text eingeflossen ist. Die "Geschlechterthematik" ist demnach ein "Schlüssel zur damaligen mentalen Auseinandersetzung mit der Moderne (...), ein fruchtbares Paradigma (...), an dem die Schriftsteller des 20. Jahrhunderts die tiefgreifenden Umwälzungen durchspielen konnten und an dem im nachhinein der Interpret die Verfaßtheit der Zeit abzulesen vermag." Der Interpret ist kein geringerer als Franziska Meier, und sie legt strenge, der zu der Verhandlung zugelassenen Öffentlichkeit nicht immer kongruent vermittelte Maßstäbe an. Kaum ein Autor, der mit ihnen konfrontiert wird, kann sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte ganz frei von Verfehlungen sprechen. Die als vorurteilslos verheißene Sicht verengt sich dabei leider zu einem recht eindimensionalen Bild "des Geschlechterwandels", das weitestgehend ohne Soziologie auskommt. Da es immer auch bzw. immer noch um Sexualität geht, kann die Verfasserin aber auf eine intuitive Anerkennung koketter, den Leser im Kreis führender Argumentationsstrategien vertrauen. Eine Untersuchung beispielsweise über die Rezeption neuer Möglichkeiten der Telekommunikation durch die betrachteten Autoren hätte ihr dieses leichte Spiel wohl nicht erlaubt.

"Die seltsame Mischung eines rechtsrevolutionären Denkens schuf die geeigneten Voraussetzungen, um den wachsenden Abstand vom bürgerlichen, als ewig vermeinten Geschlechtermodell auszumessen und die implizierten Konsequenzen des ausgelösten Prozesses durchzuspielen." In diesem Urteil schwingt zumindest jenes Wohlwollen mit, die vier Autoren (und den Zusammenhang, in dem sie standen) ausnahmsweise einmal nicht vorzuführen, weil sie etwa für das Weltgeschehen verantwortlich zu machen wären. Dieses Schicksal ist (in allerdings dezenter Weise) statt dessen Louis Aragon vorbehalten, den Franziska Meier – in einem kontrastierenden Exkurs – bis zum Hanswurst demontiert. Diese Verkehrung der Rollenzuschreibungen von rechts und links korrespondiert nicht zufällig mit dem, was sie für ein Paradigma der Moderne hält.

 

Franziska Meier: Emanzipation als Herausforderung. Rechtsrevolutionäre Schriftsteller zwischen Bisexualität und Androgynie. Böhlau Verlag, Wien 1998, 412 Seiten, 98 Mark


 
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