© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Dieter Thomas Kuhn: Für seine Jünger ist die Welt bunt und schön
Sieben Jahre über den Wolken
Jan Rieder

1994, im Jahr der vergeigten Fußball-WM und Effenbergs Mittelfinger, fuhr ich zum Camping-Urlaub nach Italien. Dort erwartete mich strahlender Sonnenschein, ein Strand voller Algen und Anna aus Herrenberg. Sie hatte das gleiche Humorverständnis wie ich und teilte meine Liebe für Fast Food und exzessive nächtliche Strandparties. Und vor allem hatte sie einen saumäßig schlechten Kassetten-Mitschnitt von einem Dieter Thomas Kuhn-Konzert. Peng! Romantik, das waren für mich bis dato die ruhigeren Stücke von Slayer. Mit einem Mal taten sich ganz neue Welten auf.

Von da an gehörte Dieters Musik fest in mein persönliches Musikprogramm. Natürlich wollte ich auch sofort alles über ihn wissen. Das gestaltete sich aber zunächst schwierig, denn 1994 war Dieter Thomas Kuhn selbst im süddeutschen Raum noch ein Geheimtip. Doch schon im nächsten Jahr änderte sich das gewaltig, denn mit "Mein Leben für die Musik" gab es das erste richtige Album von DTK – und das gleich bei einem Major, der Hamburger WEA.

Plötzlich war DTK Kult, die Medien berichteten fleißig, und jeder wußte auf einmal alles über ihn: daß er aus Tübingen kam, daß er und seine Kumpels dort in Bands namens "Running Œuf" und "James Fast" gespielt hatten, daß sie dann 1992 irgendwann einmal aus Spaß "Fremde oder Freunde" von Howard Carpendale nachgedudelt hatten und nach der begeisterten Reaktion des Freundeskreises die Schnapsidee "Schlagerband" geboren wurde.

Von Anfang an spielten DTK und seine Band aber nicht irgendwelche Lieder irgendwie nach. Vielmehr konzentrierte man sich bewußt auf das goldene Jahrzehnt des deutschen Schlagers, die siebziger Jahre. Der damalige Zeitgeist von Naivität und kindlichem Zukunftsglauben, die popigen bunten Möbel und die Kleidung in den unglaublichsten Farben und Stoffen, die fröhlichen Blumenkinder und Lieder voller Friede, Freude, Eierkuchen – im Rückblick erscheinen einem die Siebziger wie ein einziger langer Kindergeburtstag auf LSD (daß dies nur das Lebensgefühl einer bestimmten Gruppe war und es auch ganz andere Realitäten gab, versteht sich von selbst).

Der ganze Kitsch und schlechte Geschmack der siebziger Jahre bot sich für Parodien natürlich an. Deshalb gab es schon lange vor Dieter Thomas Kuhn immer wieder Parties und Bands, die sich des Schlagers der siebziger Jahre bemächtigten.

Doch alle verfolgten mehr oder weniger das Konzept, sich über die siebziger Jahre lustig zu machen, sie quasi zum allgemeinen Ulk wieder und wieder zu zerstören. Ganz nach dem Motto: rauf auf die Bühne und Ramba-Zamba verantalten, je chaotischer desto besser. Da wurde gegrölt und gesoffen und mit schweißtriefendem Bierbauch die ollen Kamellen in Punk-Versionen zum Besten gegeben. Ein Konzept, mit dem es einige Jahre später Guildo Horn sogar bis nach Birmingham schaffte, das im Endeffekt aber nichts anderes war als die Fortsetzung des Bierzeltes mit anderen Mitteln.

Dieter Thomas Kuhn und seine Band machten es anders. Sie zerstörten die siebziger Jahre nicht, sondern versuchten, sie so originalgetreu wie möglich wieder aufleben zu lassen. Dazu verwandelte sich Thomas Kuhn, gelernter Fußpfleger aus Tübingen, in die glamouröse Kunstfigur Dieter Thomas Kuhn. Das "Dieter" war von Dieter Thomas Heck, dem damaligen Moderator der ZDF-Hitparade, geklaut. Denn bei dessen allwöchentlichem Schlager-Gottesdienst gaben sich Jürgen Marcus, Michael Holm, Howard Carpendale, Udo Jürgens und all die anderen, die damals ihre große Zeit hatten, regelmäßig ein Stelldichein.

Von den ersten Auftritten an ging das Konzept auf. Kuhn intonierte die alten Schlager Lied für Lied so wie die Originalinterpreten, übernahm die Hüftschwünge und großen Gesten, die glitzernden Kostüme, Brusthaar-Toupets, Fönwellen und Koteletten. Und das Publikum spielte mit, stellte sich aus elterlichen Restbeständen atemberaubende Outfits zusammen, steckte sich Sonnenblumen ins Haar und versetzte sich Konzert für Konzert in einen euphorischen Siebziger-Jahre-Rausch.

Doch ist das schon das ganze Erfolgsgeheimnis? Nein, zwei entscheidende Dinge fehlen da noch. Zum einen die Person Dieter Thomas Kuhn selbst, der einfach ein Sympathieträger par excellence ist. Nett, bescheiden und mit feiner Ironie, eben ganz einfach der Junge von nebenan bzw. der Heinz Rühmann der Neunziger. Und dann hat Kuhn mit seinen Schlagerabenden auch zweifellos ein Grundbedürfnis unserer Zeit getroffen. Denn irgendwie ist es ja so, daß die meisten Menschen nur noch aus sich heraus können, wenn das Ganze unter einem gewissen Signum, einer Art Rechtfertigung, steht.

Bei DTK hieß diese: wir spielen für ein paar Stunden ein Spiel, in dem wir uns nicht so cool verhalten wie sonst immer im Alltag. Wir zeigen hemmungslos Gefühle, singen Liedtexte mit einfachen, aber ergreifenden Wahrheiten, begegnen der Welt und den Menschen mit den staunenden Augen eines Kindes, leben frei, positiv und unbeschwert und haben uns alle ganz, ganz lieb. Und obwohl das eigentlich alles nur ein Spiel war, wurde es für viele zu einer Art Lebenseinstellung.

Am 1. Oktober gab Dieter Thomas Kuhn nach sieben Jahren, knapp einer Million verkauften Platten und über 700 Konzerten sein vorerst letztes Konzert in der Stuttgarter Schleyerhalle. In ein, zwei Jahren will er wiederkommen, mit eigenen, selbstgeschriebenen Liedern.

Sollte er aber etwas komplett anderes machen wollen, würde das heißen, er weiß noch gar nicht, daß die Figur Dieter Thomas Kuhn für seine Fans mittlerweile zur Legende geworden ist. Und Legenden sind ganz bestimmten Regeln unterworfen. Sie entwickeln sich langsam, werden dann immer größer und größer, bis sie irgendwann Selbstläufer sind.


 
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