© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/99 29. Oktober 1999


Schröders Zumutungen
von Volker Kempf

Wie schnellebig doch die Zeit sein kann. Die montags gedruckten und dienstags vorliegenden Zeitungen titelten noch "Grüne denken über Ausstieg aus der Koalition nach" (Süddeutsche Zeitung). Wer am Dienstag die neuesten Nachrichten aus dem Kulturwasserhahn Radio hereinsprudeln ließ, dem konnte es passieren, Daten zum Wirtschaftswachstum im Lande zu vernehmen, nichts aber vom sogenannten Panzer-Streit. So gilt wohl auch in der Politik der Grundsatz, daß nichts so heiß gegessen wie gekocht wird. Noch geht es schließlich nur um eine unverbindliche Probefahrt hier bzw. in der Türkei, und die Demonstration von hehren moralischen Grundsätzen dort, sprich bei den Grünen.

Wo es noch nicht so richtig ernst wird, da zerbricht auch keine Koalition. Doch der Panzer-Streit bringt das grundsätzliche Dilemma der Grünen zum Ausdruck: Je länger sie in der Regierungskoalition sind, desto mehr mutet ihnen Kanzler Gerhard Schröder zu. Beinahe entsteht der Eindruck, Schröder ginge es darum, durch die Blume mitzuteilen, daß er aus Rücksicht auf den linken Flügel seiner Partei die Grünen nicht in die Wüste schicken kann, aber froh wäre, wenn sie von sich aus gingen. So marschiert Schröder ohne Rücksicht auf Verlust der grünen Partei, doch die bleibt und verliert ihr letztes Quantum Selbstachtung. Die Grünen dachten nach der Bundestagswahl vom September 1998, an der Macht zu sein, den Marsch durch die Institutionen zu vollenden, doch müssen sie jetzt bitter feststellen, nur in der Regierung zu sitzen und von den Institutionen beschäftigt und verwaltet zu werden. Schlimmer noch, sie merken nicht einmal, was um sie geschieht. Vielleicht erwecken die Grünen dadurch Mitleid. Doch damit hat noch keine Partei Wahlen gewonnen.

Auf der Reservebank hat Schröder die CDU/CSU sitzen. Die sind auch weniger widersprüchlich als die Grünen. Horst Seehofer (CSU) hat jedenfalls richtig erkannt, daß man nicht wie Joschka Fischer der Türkei die Mitgliedschaft in der Europäischen Union vor die Nase hängen kann wie die Mohrrübe vor den Esel, um dann zu sagen, bei Panzergeschäften für potentielle EU-Mitglieder hört der Spaß aber auf. Nicht, daß Seehofer um jeden Preis 1.000 Panzer aus Deutschland in der Türkei kämpfen sehen will. Nein, wenn die Türkei für Waffenlieferungen nicht gut sein kann, dann auch nicht für eine EU-Mitgliedschaft. Etwas mehr Geradlinigkeit, wie sie hier zum Ausdruck kommt, täte der Regierung und damit auch unserem Land gut. Doch die ist nicht mit Rot-Grün, sondern eher in Gerhard Schröders Lieblingsfarben rot-schwarz zu haben. Was muß Schröder den Grünen noch alles zumuten?


 
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