© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/99 29. Oktober 1999


Debatte: Kann die Union von links lernen?
Zurück zur Freiheit
Alexander Schmidt

Bisher war die Rollenverteilung in der deutschen Parteienlandschaft klar. Die CDU war bemüht, am "rechten Rand" – wo immer der sein mag – keine Partei aufkommen zu lassen, die der Nachkriegsdemokratie und vor allem den Wahlergebnissen der Union gefährlich werden könnte. Das gleiche taten die Sozialdemokraten und Grünen im linken Spektrum des politischen Denkens. So ließ sich ein relativ gefestigter Lebenraum halten, in dem auch die FDP ein bescheidenes Dasein führte.

Mit dem Regierungsantritt der SPD ist dieses System erschüttert worden und im Begriff zu zerbrechen. Die als Oppositionspartei gegründeten Grünen gehen an der Macht zugrunde, und die FDP-Klientel wurde schon lange in die Union absorbiert. In der Rolle als Regierungspartei sind die Sozialdemokraten jetzt dazu verdammt, sich den politischen Realitäten zu stellen, und sind somit nicht mehr in der Lage, die utopistischen Linksalternativen für sich zu gewinnen. Die fühlen sich weder bei der rechten SPD noch bei den grünen Realos mehr wohl und ziehen sich in den SED-Sozialismus der PDS zurück, die zunehmend Anhänger gewinnt. Seit der vergangenen Bundestagswahl hat sich die CDU vorgenommen, die SPD links zu überholen und mit den Parolen der sozialen Gerechtigkeit in der "neuen Mitte" zu wildern. In diese Entwicklung paßt die angestoßene Debatte über die PDS glänzend hinein. Die Union präsentiert sich als Retter in der Not und übernimmt die sozialdemokratische Aufgabe, den linken Rand abzudecken, mit Wollust.

Bei der oberflächlichen Betrachtung der Situation lassen sich Gemeinsamkeiten der Wählergruppen von CDU und PDS finden. Beide wollen sich als Partei der kleinen Leute verstehen, die Ängste und Nöte derer aufgreift, die sich angesichts der modernen und sich in der Entwicklung überschlagenden Welt überfordert fühlen und die abgesicherte soziale Wohlfühlwelt herbeisehnen. Treffend beschrieb jedoch Thomas Schmid in der Welt, daß es sich hier um grundverschiedene Modelle handele, die sich zum einen aus einem materialistischen Begriff der Freiheit bei der PDS und zum anderen aus der christlichen Nächstenliebe und Freiheit bei der Union herleiten.

Die CDU/CSU muß die PDS, wie die Wahlergebnisse zeigen, also durchaus als einen künftigen Gegner ernstnehmen, weil beide auch auf strukturkonservative Wähler setzen. Die Debatte um eine Auseinandersetzung mit der PDS ist also im Grunde richtig, abzusehen bleibt das langfristige Ergebnis, das auf eine punktuelle Zusammenarbeit herauslaufen könnte, die von Heiner Geißler bereits empfohlen wurde. Lothar Bisky (PDS) sagte in der Welt, daß viele Kommunalpolitiker der Union mit den Abgeordneten der PDS fruchtbar zusammenarbeiteten. Geißler lobt indes den von der Nachfolge-SED gepflegten Antikapitalismus als "nicht grundsätzlich falsch". Wenn dann aus anderen Kreisen der Union laut wird, daß man die "grundfalschen Positionen" der PDS bekämpfen müsse, liegt es auf der Hand: eine Debatte über die gemeinsame Linie gegen die PDS ist zwingend. Damit begibt sich die Union in einen politischen Spagat, der ihr entweder wahlstrategische Vorteile bescheren kann, wie es die Politikwissenschaftlerin Ute Schmidt sieht, um die Klientel der PDS zu erreichen, oder an der sie zerreißt. Auch eine Volkspartei, die jeden Menschen erreichen will, verfügt nur über eine gewisse Dehnfähigkeit. Und die umfaßt nicht beide Ränder. Gerade das nach außen nur kurze Aufflammen der Debatte deutet auf letztere Entwicklung hin. Offensichtlich zieht sich nicht nur eine Kluft zwischen Parteispitze und Basis über das Verhältnis zur PDS, sondern auch zwischen dem linken und rechten Lager der Union. Für viele Parteimitglieder ist eine Annäherung an die PDS – so wird die Überlegung einer Debatte nicht nur von CDUlern sondern auch von PDS-Politikern gesehen – ein Bruch mit ihrer Partei. Das belegen nicht nur die Landesverbände Berlin und Thüringen, die sich strikt gegen eine Zusammenarbeit aussprechen, sondern auch viele Kommentare von CDU-Anhängern.

Nach den vielen ablehnenden Äußerungen aus Unionskreisen beschloß man schnell richtigzustellen, daß mit der inhaltlichen Auseinandersetzung nur eine andere Art der Bekämpfung gewählt werden sollte. So richtig glauben wollte das jedoch niemand. Also verschwand das Thema PDS nach kürzester Zeit wieder vom Tisch, ohne gelöst worden zu sein. Das wird auf die Union zurückschlagen, spätestens bei der kommenden Bundestagswahl. Wähler wollen klare Linien, denn wer nach allen Seiten offen ist, "kann nicht ganz dicht sein", sagt der Volksmund.

Statt zu versuchen, Forderungen der PDS zu absorbieren, um in neue Jagdgründe vorzustoßen, weil sie eigentliches Stammwild durch sozialdemokratisches Geklapper vergrämt hat, muß die Union den Deutschen die Freiheit des Einzelnen wieder schmackhaft machen. Einstige Wahlparolen wie "Freiheit statt Sozialismus" bauen vielleicht keine Brücken, würden aber "Annäherungsdebatten" als unnötig entlarven. Sie zeigen, daß es Alternativen zum egalitären Sozialismus gibt.


 
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