© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/99 29. Oktober 1999


Nachruf: Zum Tode von Marion Zimmer Bradley
Herrin der roten Sonne
Werner Olles

Frauen lieben ihre Welt, und sei es ihre Fantasiewelt. So pflegten Science- Fiction-Autorinnen schon lange vor jener gegenwärtigen Überschätzung ihrer Leistungskraft ihre SF-Romane in bestimmten Welten anzusiedeln, wie zum Beispiel Andre Nortons "Hexenwelt" oder wie Marion Zimmer Bradleys "Darkover-Planet". Seit 1964 erschienen sporadisch neue Erzählungen über den Planeten "Darkover", Berichte über eine von einer roten Sonne beschienene Welt, auf der sich gestrandete Kolonialisten eine neue Zivilisation aufbauten, die in den magischen Fähigkeiten einer besonders begabten Familie – der Hasturs – wurzelte.

Die meisten der "Darkover"-Romane sind in einem Zeitraum angesiedelt, in dem die Terraner diese Welt wiederentwickelt haben und man ihnen eine kleine Handelsenklave einräumte. Zwar verlor man nach etwa rund einem Jahrtausend den Bezug zur einstigen Landung, aber man lebte noch von den geistigen Fähigkeiten der "Hasturs", die sich vererben ließen. Dadurch dienten die Frauen auch dem Zuchtprogramm, stets neue und noch begabtere "Comyn", wie sich die Herrschenden dieser Welt nannten, zu gebären. Ob dies eine "frauenfreundliche Utopie" ist, wie die FAZ in ihrem Nachruf auf die Autorin ein bißchen zu euphorisch schrieb, sei dahingestellt. Die Millionen "Darkover"-Fans überall in der Welt ließen sich von derlei Fantasien ohne jeden Zweifel begeistern.

Marion Zimmer Bradley wurde am 3. Juni 1930 in Albany/New York geboren. Der Vater besaß eine kleine Schreinerei und war aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, seiner Tochter die ersehnte Ausbildung als Opernsängerin zu ermöglichen. Schon als Kind litt sie zudem unter einer Herzinsuffienz, als Teenager verschlang sie bereits jene bunten Science-Fiction-Heftchen, von denen sie später zu eigenen Schreibversuchen angeregt wurde. Ihre Ehe mit dem 21 Jahre älteren Bahnangestellten Robert Bradley scheiterte schon nach kurzer Zeit. Ihr zweiter Mann, ein angesehener Numismatiker, bestärkte sie darin, ihre ersten Kurzgeschichten und Horrorromane zu veröffentlichen, und tatsächlich griffen die Verlage zu, vermutlich weil eine Frau in diesem Genre eine absolute Novität war. Nachdem sie – selbstverständlich unter einem männlichen Pseudonym – auch einige Pornoromane schrieb, erfand sie in den frühen sechziger Jahren die "Dark-over"-Serie, die ihr mit Titeln wie "Die Herrin der Stürme" (1979), "Die Jäger des roten Mondes" (1981), "Die Zeit der hundert Königreiche" (1982), "Sharas Exil" (1983) und dem Zyklus "Die Erben von Hammerfell" (1991) den langersehnten Erfolg brachte.

Weltruhm erlangte sie hingegen erst mit dem über tausendseitigen Roman "Die Nebel von Avalon" (1982), in dem sie für ein zeitgenössisches Publikum die Arthus-Mythologie aus der Sicht einer Frau erzählt. Das Werk steht in der Tradition des englischen Schriftstellers J.R.Tolkien und erzählt ausladend von der geheimnisvollen keltischen Sagenwelt. Mit den Romanen "Herrin der Falken" (1984), "Tochter der Nacht" (1985), "Trapez" (1986), "Die Feuer von Troja" (1988) und den Erzählungen "Luchsmond" (1987) konnte sie den Welterfolg der "Nebel von Avalon" zwar nicht wiederholen, aber auch diese Bücher sind spannend erzählt und gestalten ansprechende Frauenschicksale.

Marion Zimmer Bradleys gut fünfzig Werke, von denen etwa ein Drittel auch ins Deutsche übersetzt wurde, erreichten allein in Deutschland eine Gesamtauflage von über 3,6 Millionen Exemplaren. Neben dem Schreiben interessierte sie sich für feministische Theologie, Parapsychologie und esoterisch-spiritualistische Themen.

In ihrem Roman "Die Nebel von Avalon" läßt die Schriftstellerin, die – wie erst vergangene Woche bekannt wurde – am 25. September in ihrem Haus in Berkeley, Kalifornien, an den Folgen eines Herzanfalls gestorben ist, den Zauberer Morgaine sagen: "Es gab eine Zeit, in der ein Reisender, wenn er den Willen besaß und auch nur einige der Geheimnisse kannte, mit seinem Boot auf den Sommersee hinausfahren konnte und nicht im Glastonbury der Mönche ankam, sondern auf der heiligen Insel Avalon. Damals trieben die Pforten zwischen den Welten in den Nebeln und waren in beide Richtungen offen – wie der Reisende es dachte und wollte". Eine jener Reisenden war Marion Zimmer Bradley, die phantastische Geschichten schrieb, um in der "wachen Welt" auf der Realitätsebene dieser Zeit und dieses Raumes bleiben zu können.


 
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