© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


Vertriebene: Das Deutschlandhaus in Berlin muß zum Jahresende seine Pforten schließen
Die Bilder sind schon abgenommen
Doris Neujahr

An der Pinnwand im Büro des Deutschlandhauses in Berlin hängt ein Ausriß aus einer Boulevardzeitung, auf dem die Schlagzeile in Riesenlettern verkündet: "Bahn-Chef gefeuert: 2 Mio Abfindung". Zwei Millionen Mark: Das ist genau die Summe, die das Deutschlandhaus jährlich kostet und die zu 98 Prozent vom Bund getragen wird. Eigentlich handelte es sich bloß um die Hälfte des Betrages, denn eine Million Mark fiel allein für die Miete an, die an den Bund via Bundesvermögensverwaltung wieder zurückfloßen. Bisher jedenfalls. Am 31. Dezember 1999 läuft die Finanzierung aus und schließt das Deutschlandhaus in Berlin-Kreuzberg seine Pforten.

Ja, natürlich fühle er sich als erstes Opfer des Kulturstaatsministers Michael Naumann, sagt Wolfgang Schulz, der Geschäftsführer des Hauses. Besonders erbittert ihn, daß weder Naumann noch sein Adlatus Knut Nevermann je einen Fuß ins Deutschlandhaus gesetzt haben. Auch seine Briefe blieben unbeantwortet. Mit der Schließung der umfangreichen Bibliothek am 16. Oktober, die von den sechs Kuratoren kurzfristig verfügt wurde, ist die Abwicklung des Hauses endgültig eingeleitet worden.

Die 13 Mitarbeiter haben bereits im Juni ihre Kündigungen erhalten. Einen neuen Arbeitsplatz hat noch niemand gefunden. Die Bundesministerien, bei denen einige ihr Glück versuchen, bearbeiten die Bewerbungen mit quälender Langsamkeit. Die meisten Büros sind leer, die Mitarbeiter krank gemeldet oder im Resturlaub. Die Bilder sind schon von den Wänden genommen, auf den Schreibtischen türmen sich Umzugskartons, in verstaubten Vitrinen werden die Broschüren des Hauses zu Ramsch-Preisen feilgeboten. Es herrscht Abbruchstimmung! Zwar können die Landsmannschaften weiterhin Räume anmieten – zu gepfefferten Preisen –, doch die staatlich geförderte Vertriebenenarbeit in der Hauptstadt liegt in den letzten Zügen.

Die Stiftung Deutschlandhaus wurde 1952 von Bund und Land Berlin als Stiftung "Haus der ostdeutschen Heimat" gegründet. In Berlin waren besonders viele Heimatvertriebene gestrandet. Außerdem war das Haus bis zum Mauerbau ein Anlaufpunkt für die Menschen aus der DDR. Die satzungsgemäße Aufgabe der Stiftung lautete, "durch die Pflege und Vermittlung aller kulturellen Werte deutscher Siedlungsgebiete außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes, insbesondere durch Pflege und Erhaltung des ostdeutschen Kulturgutes", gemeinnützigen Zwecken zu dienen. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art östlich der Elbe. Sechs Kuratoren standen der Stiftung vor: Der Bund, das Land Berlin und der Bund der Vertriebenen entsandten je zwei Vertreter.

1961 erhielt die Stiftung ein geräumiges Haus in Berlin-Kreuzberg, in zentraler Lage am Anhalter Bahnhof und an der Sektorengrenze zum Ostberliner Bezirk Mitte. Auf mehreren Stockwerken standen ihr hier 4.000 Quadratmeter zur Verfügung. Eine Bibliothek, ein Foto- und Pressearchiv sowie kunst- und kulturgeschichtliche Samlungen wurden angelegt und durch private Schenkungen erweitert. Die Landsmannschaften verfügten hier über Büro- und Veranstaltungsräume. Die Tätigkeitsberichte für 1997 und 1998 weisen eine Vielzahl kultureller Aktivitäten aus: Konzerte, Vorträge, Lesungen, Ausstellungen in Berlin und in ganz Deutschland sowie im Ausland. Auch Künstler aus Ostmitteleuropa waren einbezogen.

Die Abwicklung geht
unbemerkt über die Bühne

Doch war schon lange vor dem Regierungswechsel zu Rot-Grün über das Aus des Hauses spekuliert worden, und spätestens ab Mitte 1998 hatte sich sein Tod auf Raten angekündigt, als die institutionelle Förderung auf eine rein projektbezogene Finanzierung umgestellt wurde. Das hatte einen Mehraufwand an Bürokratie zur Folge. Andererseits konnten die Sammlungen nicht mehr erweitert und freigewordene Stellen nicht besetzt werden. Die Kulturveranstaltungen in den neuen Ländern – die für den Bestand des Hauses eine aktuelle Begründung lieferten – mußten eingestellt werden.

Der schwere Stand, den die Vertriebenarbeit strukturell und in der öffentlichen Wahrnehmung hat, ist nach dem Amtsantritt des Kulturstaatsministers Naumann noch schwerer geworden. Naumann verfügt auf diesem Gebiet über keine Kompetenz und empfindet das noch nicht einmal als Nachteil, denn desto unbeirrter kann er sich als Kalter Kulturkampfkrieger betätigen. Bisher hat er in keinem anderen Bereich nennenswerte Spuren hinterlassen. Nun will er wenigstens bei den Vertriebenen politische Gestaltungskraft beweisen. In seinem Sinne, versteht sich.

Im Fall des Deutschlandhauses hat er es leicht, was auch ein Anlaß zur Selbstkritik sein sollte. Die Wahrnehmung des Deutschlandhauses in den lokalen Medien ist zuletzt gering gewesen; seine Abwicklung geht so gut wie unbemerkt über die Bühne. Dennoch will der Geschäftsführer den Hinweis auf fehlende öffentliche Resonanz nicht gelten lassen und verweist auf die sechzig- bis siebzigtausend Besucher des Hauses im Jahr. Mehr als die Hälfte davon besuchten freilich Veranstaltungen der Heimatkreise, des Berliner BdV-Landesverbandes sowie die Aussiedlerberatung.

Weiterhin nahmen 9.500 Rußlanddeutsche an Sprachkursen teil. Die Ausstellungen und kulturellen Einzelveranstaltungen inner- und außerhalb des Hauses und Berlins, die spezifische öffentliche Kulturarbeit also, erreichte lediglich 15.000 Interessenten. Hinzu kommen noch 3.500 registrierte Leser der Bibliothek. Das macht es Kritikern leicht, eine fehlende Breitenwirkung zu monieren. Andererseits ist eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit wegen der finanziellen Strangulation gar nicht möglich gewesen! Ein Teufelskreis.

Schon vor Jahren hatte das Innenministerium auf die Verschmelzung mehrerer Kulturorganisationen gedrängt. Ob nicht eine offensive Konzeption, eine Zusammenlegung des Deutschlandhauses mit der Bonner Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen und dem Ostdeutschen Kulturrat, die ebenfalls auf Naumanns Streichliste stehen, die Arbeit gestärkt und die Abwicklung verhindert hätte?

Entsprechende Überlegungen, sagt Wolfgang Schulz, habe es ja gegeben, doch sie seien nicht zur Ausführung zu gekommen. Die einzelnen Institutionen hätten wohl ihren politischen Rückhalt überschätzt. Außerdem habe man den Umzug nach Berlin gescheut und sei die Furcht vor einem Stellenabbau stark gewesen.

Mit der Schließung der 23.000 Bände umfassenden Bibliothek (mitsamt der Postkartensammlung und der Diathek verfügte sie insgesamt sogar über 60.000 "Medieneinheiten") ist das Deutschlandhaus in sein letales Stadium eingetreten. An der Bibliothek werden aber auch beispielhaft die Probleme deutlich, welche die Vertriebeneneinrichtungen heute haben: Einerseits besitzt sie einen zielgerichtet angelegten Bestand zu den Vertreibungsgebieten einschließlich der Heimatkreisliteratur und -presse. Viele der Titel sind in keiner anderen Berliner Bibliothek vorhanden, auch nicht in der Preußischen Staatsbibliothek oder in den Universitätsbibliotheken.

Universitäten zeigen kein Interesse an der Bibliothek

Andererseits werden eine Reihe von Themen und Regionen ausschließlich durch Publikationen abgedeckt, die der tümelnden Erinnerungs- und Heimatliteratur zuzurechnen sind und schwerlich junge Leser finden. Wissenschaftlichen Ansprüchen kann die Einrichtung damit nicht genügen. Über kurz oder lang wird die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Vertreibungskomplex die kulturelle Vertriebenen-Seelsorge überwiegen. Deshalb hätte man aus Eigeninteresse längst nach neuen Wegen suchen und Kooperationen oder Verschmelzungen mit wissenschaftlichen Institutionen ins Auge fassen müssen.

Dafür jedoch sind weder Planungen entworfen noch Vorsorge getroffen worden. Fatalerweise haben die Berliner Universitäten, so Schulz, auch auf Anfrage kein Interesse an der Bibliothek gezeigt. Ein Grund mag deren Finanznot sein.

Interesse wurde hingegen von der Universität in Greifswald sowie von polnischen Stellen bekundet. Das Kuratorium hat sich aber entschlossen, den Gesamtbestand des Hauses in Berlin zu behalten, wo es dereinst als Grundstock für das geplante Zentrum gegen Vertreibung dienen soll. Zunächst gehen Kunstsammlungen und Bibliothek jedoch in den Besitz des Deutschen Historischen Museums über und werden dort magaziniert. Damit sind sie Forschern und Interessenten leider auf Jahre entzogen und können weder erweitert noch fortentwickelt werden. Wäre bei einigem guten Willen und Geschichtsbewußtsein staatlicherseits nicht eine bessere und finanziell vermutlich kaum aufwendigere Lösung möglich gewesen?


 
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