© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


Wehrmachtsausstellung: Wie der Millionenerbe Jan Philipp Reemtsma die tote Linke wiederbelebte
Marschbefehl aus dem Institut
Rüdiger Proske

Die Ausstellung ist ein spätes Produkt der 68er-Revolte, in Szene gesetzt von einem ihrer Revolutionäre, von Jan Philipp Reemtsma. Reemtsma studiert Ende der 60er Jahre Literatur, ist von den Zeitläuften tief beeindruckt, wird Mitglied einer Wohngemeinschaft und verehrt, wie seine Kommilitonen, die Professoren Horkheimer und Adorno und ihre "Kritische Theorie". Geprägt von dem Anderssein-Wollen seiner Generation wird er zum Mäzen des weit draußen am Rande der Literatur operierenden Arno Schmidt, richtet für ihn eine Stiftung ein und stiftet einen "Arno-Schmidt-Preis". 28 Jahre alt, verkauft er seinen Anteil an der Reemtsma-Cigarettenfabrik GmbH für 300 Millionen Mark und weiß seitdem sein Vermögen geschickt zu mehren. Er finanziert Bücherprojekte, unterstützt das linke Magazin Konkret, gründet die "Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur", die in Frankfurt ein Adorno-Archiv verwaltet und Alice Schwarzer ein feministisches Archiv- und Dokumentations-Zentrum einrichtet. 1986 gründet er die "Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts", in der Karl Heinz Roth eine Rolle spielt, und kümmert sich 1987 um die "Schmuddelkinder" in der Hafenstraße Hamburgs und die von ihnen besetzten Häuser am Hafenrand, die er kaufen und den Chaoten schenken möchte.

Reemtsmas Ziel war es ein eigenes großes Institut zu gründen

Sein eigentliches Ziel hat er indessen nie aus dem Auge verloren, nämlich dem in seiner Studentenzeit so bewunderten Frankfurter "Institut für Sozialforschung" ein eigenes großes Institut hinzuzufügen. Man spricht miteinander. Die Frankfurter helfen mit Rat und Tat, und so kann Jan Philipp Reemtsma bereits 1984 sein "Hamburger Institut für Sozialforschung" gründen, das sich wie das Frankfurter Institut einer unabhängigen, kritischen, interdisziplinären Sozialwissenschaft über klassische Fachgrenzen hinweg mit dem Ziel der Erkenntnis gesellschaftlicher Verhältnisse, politisch-ökonomisch-kultureller Prozesse und sozialpsychologischer Entwicklungstendenzen verschrieben hat.

Was dem Hamburger Institut im Gegensatz zu seinem Frankfurter Vorbild fehlt, sind die Köpfe. Und eben diesen Geburtsfehler wird das Institut nicht mehr los. In Frankfurt war es ein Kreis von Gelehrten, die ein Institut gründeten. In Hamburg wurde ein Institut gegründet, das Gelehrte sucht – und bis heute nicht fand. Was an Autoren in dem Begleitband zu der Wehrmachtausstellung auftritt, ist unbedeutend und durch Eklektizismus gekennzeichnet: Kulturreferenten, Dramaturgen, Doktoranden, Wirtschaftspädagogen, Filmregisseure, Journalisten, Soziologen, Lehrer und Redakteure. Und was sich sonst noch inzwischen um das Institut herum gesammelt hatte, der Alt-Trotzkist Ernest Mandel, der Austria-Marxist Walter Manoschek, der Deserteur Ludwig Baumann, das Ex-RAF-Mitglied Kurt Heinz Dellwo, die Feministin Christiane Ensslin, deren RAF-Schwester Gudrun sich 1972 in Stammheim das Leben nahm, erhöhte den Glanz des Hauses auch nicht. Insoweit muß Hannes Heer für Jan Philipp Reemtsma eine Art Gottesgeschenk gewesen sein. Ein 68er aus dem linken, eindeutig auf der sowjetischen Linie operierenden Flügel der Studentenbewegung, inzwischen Hobby-Historiker mit Einseitigkeitsschlagseite und zugleich Journalist, Filmemacher und Dramaturg, und damit der ideale Mann für eines der großen Unternehmen, die sich das Institut im Rahmen ihres Projektes "Angesichts unseres Jahrhunderts" vorgenommen hatte, die Ausstellung. Wenn schon kein Kopf, so doch ein durch die Vergangenheit ausgewiesener Agitator. Aber wichtiger als ihre Interessen verband noch etwas anderes Heer und Reemtsma aus ihrer Prägung als 68er: ihr Haß auf die Väter.

Reemtsma sah auf eine dramatische Familiengeschichte zurück, und auch Heer hatte öffentlich eingestanden, daß er aus einem tiefbraunen Elternhaus stamme. In einem Spiegel-Artikel in der Nr. 22 vom 26. Mai 1986 heißt es: Jan Philipps Erinnerung an den Vater seien nur schattenhaft und stellten kein besonderes Moment einer individuellen Motivation dar.

Das darf angezweifelt werden. Der dokumentierte Haß unzähliger 68er auf ihre Nazi-Väter stützt sich jedenfalls auf ungleich geringeres Material, so daß man den Gedanken nicht los wird, sein Kampf gegen die Wehrmacht sei eben doch die Kompensation seiner Scham darüber, was sich seine Familie zur Zeit des Dritten Reiches hat zuschulden kommen lassen. Die Reemtsmas sind Calvinisten (sie kommen aus Ostfriesland), und Jan Philipp wurde calvinistisch konfirmiert. So wirkt in ihm calvinistischer Rigorismus zusammen mit dem der 68er und mag ihn die Bindungen an lassen, je enger sie waren. Und die Bindungen der Familie Reemtsma an das Reich Adolf Hitlers waren eng.

Ausgerechnet der von Jan Philipp mit einer Stiftung beschenkte, noch heute den Kommunisten nahestehende Arzt Karl Heinz Roth wußte in einem Vortrag vor der GAL (Grüne Alternative Liste) und der Vereinigung "Umdenken e. V." in Hamburg am 21. Oktober 1995 viel davon zu berichten: Die Reemtsma-Familie bestand aus drei Brüdern: Jan Philipps Vater, Philipp Fürchtegott, Alwin und Hermann Fürchtegott. Vater Philipp Fürchtegott war ihr Kopf. Noch vor 1933 war seine Firma, in Altona-Bahrenfeld ansässig, das damals noch zu Preußen gehörte, in eine Steueraffäre geraten. Als dann das Dritte Reich hereinbrach, erwies sich der zuständige preußische Gauleiter Hinrich Lohse in dieser Angelegenheit als sein ausgemachter Feind. Aber da war plötzlich Hermann Göring da, der Lohse zurückpfiff, Philipp Fürchtegott vor dem laufenden Steuerhinterziehungsverfahren "per ordre de Mufti" rettete und dafür von ihm 12 Millionen Reichsmark erhielt. Für diese Bestechung wurde Philipp Fürchtegott 1948 angeklagt, dann aber schnell wieder freigesprochen und ein Jahr später, im Rahmen der Entnazifizierung, sogar als vom Entnazifizierungsgesetz "nicht betroffen" eingestuft. Diese 12 Millionen Reichsmark waren indessen nicht alles, was den Nationalsozialisten aus dem Hause Reemtsma damals zufloß. Im Spiegel Nr. 18 vom 1. Mai 1995 sprach Jan Philipp selbst davon, daß dieser Fall dann "zu reichen Spendentätigkeiten und privaten Zuwendungen" führten.

Wissenschaftlich bleibt die Ausstellung, die das Team Jan Philipp Reemtsmas und Hannes Heer schließlich der Öffentlichkeit vorstellte, ein undiskutierbarer Fehlschlag, politisch ist sie ein unglaublicher Erfolg. Man mag darüber streiten, ob das einem Zufall zuzuschreiben ist oder das Ergebnis einer ungewöhnlich geschickten politischen Planung. Auf jeden Fall hätte der Beginn ihrer Wanderung durch die Lande kaum einen geeigneteren Zeitpunkt finden können als den Anfang des Jahres 1995. Das Datum lag in der Mitte einer Reihe von medienträchtigen Daten. 1994 hatte sich der Aufstand des 20. Juli zum 50. Mal gejährt. Dabei hatte sich ganz unerwartet gezeigt, ein wie großes linkes Widerstandspotential selbst gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli aktiviert werden konnte, sofern diese nur Soldaten waren. Am 7./9. Mai 1995 galt es, des 50. Jahrestages des Kriegsendes zu gedenken und im Oktober des gleichen Jahres des 40jährigen Bestehens der Bundeswehr. Das allein verursachte schon einen Strom von Artikeln, Betrachtungen, Sendungen und Kommentaren in den Medien, die angesichts ihrer Linkslastigkeit so gut wie immer zu Ungunsten des Militärs ausgingen.

Wie wir heute wissen, hatte sich die Linke eben doch viel intensiver ideologisch auf den sowjetischen Kommunismus abgestützt, als es der Öffentlichkeit bewußt war. Bis zuletzt lebte für sie selbst im mörderischen Bolschewismus jenes "humanum", das den Kommunismus nach ihrer Auffassung eben von dem NationalsoziaIismus grundsätzlich unterschied.

Als das letzte Jahrzehnt unseres Jahrtausends anfing, stand die Linke vor einem Trümmerhaufen. Die entscheidenden Eckpunkte ihrer Politik: Kommunismus, Sozialismus, Pazifismus – alles mißlungen; das Proletariat als Basis ihrer Politik in der Marktwirtschaft aufgegangen, die "Internationale" durch den Europagedanken der Bürgerlichen überflüssig geworden.

Ausgerechnet da der Marsch durch die Institutionen gelungen war, zeigte sich nun, daß sie so gut wie nichts mitgebracht hatten, was in der Gesellschaft tragfähig gewesen wäre. Und große Perspektiven der Vergangenheit ließen sich nicht mehr beleben. Was blieb, war die Wehmut der Erinnerung.

Es lag viel Melancholie in der Luft, wenn man die Lage der Linken Mitte der 90er Jahre betrachtete. Und genau in diese Stimmungslage stieß nun das Signal der Wanderausstellung von Jan Philipp Reemtsma mit ihrer Fanfare, die Wehrmacht sei eine Verbrecher-Organisation gewesen. Was in dieser Ausstellung und ihrem Begleitbuch an Bösartigkeiten vorgetragen wurde, war nicht neu. Aber als nun die Heer-Show durch die Lande zu ziehen begann, brach alles wieder auf. Die Zeitgenossen, für die es längst jenen Mythos der "sauberen" Wehrmacht nicht mehr gab, begannen sich an den Pauschalisierungen und der Provokation der Ausstellung zu stören, erwachten aus ihrer Lethargie und fingen an, sich zu wehren.

Auf die mehr oder minder verzweifelten, still vor sich hin werkelnden, linken Eliten – in den elektronischen Medien,in der Presse, den Universitäten, den Gerichten, den Museen, den Amtsstuben der zuständigen Ministerien und allen Machtzentren, in denen der Marsch der 68er durch die Institutionen angekommen war, wirkte das neue Feindbild anderseits wie ein Aphrodisiakum, ein Adrenalinstoß, sich wieder zusammenzufinden, Schulter an Schulter miteinander zu marschieren, - wie damals, weißt Du noch:- wider das Establishment, was immer dieser Begriff auch bedeuten mochte. Nicht, daß die nun sehr bald die Szene beherrschenden Aktivitäten der 68er etwa koordiniert gewesen wären. Sie fanden vielmehr ebenso, wie in der Chemie ein Katalysator verschiedene Elemente aneinander bindet, die sich zwar "mögen", aber normalerweise miteinander nicht agieren, durch den Anstoß der Ausstellung zueinander, ohne großes Aufsehen, mit verteilten Rollen,von der Öffentlichkeit als Zusammenhang in der Regel übersehen, aber politisch ungemein wirksam und gefährlich.

Der Weg, den die Ausstellung nahm, ist zugleich die Geschichte ihrer zunehmenden politischen Bedeutung. Ziel der Veranstalter war, die Ausstellung von einem Feuilleton-Ereignis zu einem offiziellen Staatsakt hochzustilisieren. Dazu bediente man sich zweier Strategien. Erstens der sorgfältigen Auswahl und Anwerbung von Rednern, welche die Ausstellung eröffneten oder an ihren Zusatzveranstaltungen teilnahmen und so mit ihrem Namen und/oder ihrem Amt der Veranstaltung einen Gütesiegel oder gar einen Hauch von Offizialität verschafften, und zweitens die zunehmend unter politischen Aspekten vorgenommene Bestimmung des Veranstaltungsortes.

Die Wehrmachtsausstellung wirkte auf die lethargische Linke aphrodisierend

Überall im übrigen dasselbe Bild: Destabilisierung der Gesellschaft in zwei Lager: die in der Regel ungeschickt oder falsch operierenden alten Soldaten, und auf der anderen Seite die revitalisierten 68er – der evangelischen Kirche, der Gewerkschaft, aller möglicher linksradikaler Zirkel, der Universitäten, Museen, Kulturämter, der Presse und des Fernsehens. Eine Kernspintomographie, die zeigte, wo die 68er auf dem Marsch durch die Institutionen überall angekommen waren.

1997 hatten es Jan Philipp Reemtsma und Hannes Heer schließlich geschafft. Die Ausstellung war zum Politikum geworden.Wieder stützte sich der Erfolg auf die bereits genannten zwei Strategien, und beide waren inzwischen wesentlich verfeinert worden.

Austellungsorte wurden im voraus nicht mehr bekanntgegeben. Die Sicherung des Ausstellungsraumes begann viele, viele Monate vor dem angesetzten Termin, indem man mit den in der Regel links gemusterten Kulturämtern der betreffenden Stadt eisenharte Verträge abschloß, und der Raum, den man wünschte, trug dann jeweils genau den provozierenden Charakter, den man brauchte, um den Anspruch der Offizialität der Ausstellung aller Welt deutlich vor Augen zu führen. Das alles geschah, ohne daß die Öffentlichkeit es groß merkte, ja oft auch, ohne daß selbst die zuständigen Stellen oder gar die Volksvertreter der Stadt unterrichtet gewesen wären. Mauscheleien unter politisch Gleichgesinnten. So geschehen in München mit dem Ausstellungsort: Rathaus. So geschehen in Frankfurt mit dem Ausstellungsort: Paulskirche, der Wiege der deutschen Demokratie. So geschehen in Bremen mit dem Ausstellungsort: eines der schönsten und historisch bedeutendsten Rathäuser in Deutschland. Ob bei diesen Verabredungen Geld geflossen ist, weiß niemand. Aber als die Gegner dieser Mechteleien aufwachten, war es jedenfalls jedesmal zu spät.

 

Rüdiger Proske, war im Zweiten Weltkrieg Jagdflieger, wurde 1940 über England abgeschossen. Nach dem Krieg wurde er Journalist, Mitarbeit an den Frankfurter Heften unter Eugen Kogon und Walter Dierks, ab 1956 beim Fernsehen, 1960 Chefredakteur des NDR, Gründer des TV-Magazins Panorama, Autor zahlreicher Bücher. Diesen Text entnehmen wir gekürzt mit freundlicher Genehmigung des Autors seiner Streitschrift "Vom Marsch durch die Institutionen zum Krieg gegen die Wehrmacht", Hase&Koehler Verlag 1997.


 
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