© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


Nie wieder Stasi
Gisela Clauss

Das Jahr ’89 war für mich das aufregendste, beängstigendste und glücklichste! Warum? Im Mai 1989, zur Kommunalwahl, fand ich endlich den Mut, in der Wahlkabine die vorgegebenen Kandidaten der nationalen Front durchzustreichen. Zwei Wochen später fingen mich auf der Straße, unweit meines Hauses, Beamte der Staatstsicherheit weg. Ich mußte mehrere Stunden im Dienstzimmer des damligen Abschnittsbevollmächtigten (ABV) meines Wohngebietes, der angeblich davon nichts wissen durfte, über meine Westkontakte nach Norddeutschland berichten. Da ich zunächst keine Angaben machen konnte – meine Familie hat keine Verwandten im westlichen Teil Deutschlands –, gestaltete sich diese Befragung sehr schwierig.

Letztendlich, nach der Drohung des Stasi-Beamten aus Schwerin, der BND hätte meine Daten gespeichert und wieso ich dort Mitarbeiterin sei, dämmerte es mir. Ich hatte in Dresden eine junge Frau kennengelernt, die aus Hamburg kam und Reisebetreuerin von Schülern und Studenten bei Bildungsreisen von Westdeutschland nach Weimar, Dresden und Berlin war. Ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt in einer Jugendherberge in Dresden, in der zum größten Teil Jugendliche aus dem "Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet" (NSW) nächtigten. Es war uns strikt untersagt, mit diesen Jugendlichen persönlich Kontakt aufzunehmen.

Mindestens zweimal in der Woche erschien ein Mitarbeiter des Staatssicherdienstes Dresden von der Bautzener Straße und ließ sich die Reiselisten der Gruppen vorlegen. Dies geschah hinter einer gepolsterten Tür im Zimmer des Jugendherbergsleiters, der selbstverständlich ein guter SED-Genosse war.

Nun hatte ich doch Kontakt zu einer "dieser schrecklich kapitalistisch geprägten Westdeutschen" aufgenommen und sie sogar Weihnachten 88/89 zu mir nach Hause eingeladen. (Ich hatte in den Antrag "Cousine" geschrieben.) Wir pflegten nach ihrem Besuch einen brieflichen lockeren Kontakt und trafen uns, wenn sie wieder mal in Dresden war.

Nun stellen Sie sich meine Angst vor, als ich befragt wurde, mit wem ich Kontakt hätte. Natürlich gab ich an, daß diese Freundin hatte. Ich sagte dem Herrn der Stasi aus Schwerin, daß er doch schon alles aus dem Computer wisse, da ich in den Besuchsantrag ja Name, Adresse, Beruf etc. von meiner Bekannten angeben mußte. "Leider" konnte ich dem Stasi-Beamten nichts über politische Kontakte meiner Freundin berichten. Die Folge davon war, daß sofort, wenn mir "meine Hamburgerin" schrieb, ein Anruf aus Schwerin kam. "Ich muß Sie treffen!" Meiner Freundin erzählte ich bei einem Besuch davon, und wir beratschlagten, wie wir uns zukünftig verhalten wollten.

Glücklicherweise war das schon im September ’89, wir sind die ganze Nacht durch Dresden gelaufen,immer von irgendeinem ominösen Menschen verfolgt, und versicherten uns, wie vorsichtig wir sein müßten und wie wir kirchliche Kontakte aufbauen wollten, denn zu diesem Zeitpunkt sahen wir nur dort einen realen politischen Widerstand.

Nach diesem September-Treffen mit der Freundin kam selbstverständlich wieder ein Anruf aus Schwerin, er käme aus anderen Gründen am 6. Oktober nach Dresden und wollte mit mir reden. Ich sagte nein, ich wollte dies nicht, er würde trotzdem kommen, und dann wurde kurz vorher abgesagt, und ich habe niemals mehr von dem Herrn aus Schwerin gehört.

Die Ereignisse im Oktober überschlugen sich für uns – die Züge aus Prag durch Dresden – ,wir standen auf dem Bahnhof, sahen die schrecklichen Mauern von kasernierten Bereitschaftspolizisten mit Helm, Schlagstock und Schutzschild, überall in den Straßen standen Bereitschaftswagen, bewaffnete Polizisten und Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA), dann Modrows Einsatzbefehle, der Rücktritt Honeckers, der Machtwechsel zu Egon Krenz, in Dresden die Bildung der Gruppe der Zwanzig, Gespräche mit dem damaligen Oberbürgermeister Berghofer und als Krönung dann der 9. November. Ich hörte im Radio, die Grenzen in Berlin sind offen. Am Morgen des 10. November stand ich geduldig viele Stunden auf der Volkspolizeimeldestelle, um mir einen Stempel im Ausweis zu holen. Keiner wußte, für wie lange das anhalten konnte; mein Visa galt bis zum 30. November.

Am 11. November kam ein Telegramm von meiner Freundin aus Hamburg: "Bin am 12. bei einer anderen Freundin in Berlin-Steglitz, bitte komme hin, dort treffen wir uns".

Mit dem Trabi fuhren wir – meine Mutter und mein Sohn – bis Berlin-Grünau, dann mit der S-Bahn in die Innenstadt und – meiner Erinnerung zufolge – am Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße – rüber in den "Westen". So glücklich, wie ich dann meine Freundin umarmte, und wir sagten beide gleichzeitig "Nie wieder Stasi", kann man vielleicht nur einmal im Leben sein und sollte dies auch für die Zukunft als ein kostbares Geschenk bewahren und erhalten.

 

Gisela Clauss ist CDU-Landtagsabgeordnete in Sachsen.


 
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