© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


Nationalitäten: Was ist überhaupt das Volk?
Zentraler Begriff
Alexander Schmidt

Künftig wird der Reichtag nicht mehr nur "dem Deutschen Volke", sondern auch "der Bevölkerung" gewidmet sein. Hans Haacke betonte, mit der Gestaltung der Lichthofanlage im Reichstag und der Widmung "Der Bevölkerung" der nach seiner Ansicht aggressiv nationalistischen Inschrift "Dem Deutschen Volke" in der Frontpartie des Reichstages ein Gegengewicht setzen zu wollen. Volk- Völkisch- Blut und Boden, spinnt sich die trainierte Gedankenkette schnell weiter, gelangt nach zwei weiteren Windungen beim Nationalsozialismus an und liefert somit das Ergebnis, daß der Begriff schon ob dieser 12 Jahre aller Vorgeschichte zum Trotz - keine Verwendung mehr finden darf. Im besten Fall wird der Begriff "Volk" noch mit verstaubter Volksmusik assoziiert, die zwar belächelt werden kann, aber noch nicht zum Auslösen des Begriffsreflexes ausreicht. Eine Ausnahme bilden hier Andere als das eigene Volk, weil ihnen die Zeit zwischen 1933 und 1945 fehlt, die dort den Begriff "Volk"ruiniert hätte. In keinem Fall wird er aber mit einer Gemeinschaft, die aufgrund gemeinsamer Erfahrungen, Eigenschaften und Zielvorstellungen eine Schicksalsgemeinschaft bildet, in Verbindung gebracht. Das Wort "Volk" wird gerade noch im Wort "Volkspartei" geduldet, weil es hier in gebändigter Kombination mit dem unverdächtigen Wort "Partei" eine vorübergehende Legitimation erhält. Gleiches gilt für das Volksfest, das ja im wesentlichen die Bevölkerung anspricht und zur Verquickung der beiden sich eigentlich widersprechenden Begriffe beiträgt. Im Gegensatz zur "Bevölkerung" schwingt bei dem Ausdruck "Volk" immer etwas Konkretes mit. "Volk" ist ein Begriff, der juristisch definiert werden kann, verfassungsmäßigen Rang hat und somit unterteilt zwischen dem Volk Zugehörigen und Außenstehenden.

Zur Bevölkerung hingegen kann jeder gehören, es müssen keine Voraussetzungen erfüllt werden. Damit ist jeder, der mit dem Begriff "Bevölkerung" hantiert, klar im Vorteil. Er wird niemals eine feste Position beziehen müssen, weil in seiner Rede alles und gar nichts mitschwimmt. Der Vorwurf der Ausgrenzung kann rückstandsfrei abgleiten. Anders hingegen ergeht es demjenigen, der bewußt mit dem Wort "Volk" arbeitet. Er definiert damit einen bestimmten Zirkel, wird durch das Beziehen einer Stellung angreifbar und kann sich nicht mehr hinter unverbindlichen Wortfassaden verstecken. In der Nachfolge der '68 er Zeit ist eine feste Meinung jedoch immer mit einer angeblichen Intoleranz verbunden, weil man seinen Standpunkt im Gegensatz zu anderen als den Richtigen anerkennt. Dabei sind doch alle und alles irgendwie gleich, wie es uns seit 30 Jahren nahegebracht werden soll. Deshalb liegen eben heute auch noch so viele Vorbehalte gegen den Begriff "Volk" vor, der in seiner Exklusivität zwingend andere ausschließt und ihnen keine egalisierte Rechtsstellung im Rahmen des auf den eigenen Raum begrenzten gibt. In Vergessenheit gerät aber, daß der gerade Ausgegrenzte irgendwo Zugehöriger eines anderen Volkes ist, über dessen Exklusivrechte er verfügt. Und die Völker in ihrer Gesamtheit stehen im internationalen Vergleich ohnehin gleichberechtigt dar oder sollten dies zumindest tun. Anders, aber nicht besser oder schlechter heißt das Prinzip, mit dem der Volksbegriff wieder gefüllt werden muß, um den Schmutz, den das dritte Reich auf ihm hinterlassen hat, abzuschütteln. Sollte der verbindliche Begriff "Volk" nämlich durch "Bevölkerung" ersetzt werden, hätte keine Ersetzung eines Begriffes durch ein moderneres Synonym stattgefunden, sondern eine folgenreiche Umbewertung.

Deshalb darf auf dem Wort "Volk" nicht länger ein Tabu lasten, das selbst für Politiker, die nach dem Grundgesetz her vom Volk gewählt werden, eher schamhaft mit dem Begriff umgehen. Immerhin wurde der Vorschlag Haackes mit nur einer Gegenstimme im Kulturbeirat des Bundestages angenommen. Die endgültige Akzeptanz der "Bevölkerung" wird dann stattfinden, wenn der letzte Abgeordnete seine Erde in das neuangelegte Biotop, das Haacke schaffen will, geschaufelt hat und den neuen Begriff somit anerkennt. Mit der Zeit wird die angelegte Anlage im übrigen auf natürliche Weise den Unterschied zwischen gepflegter Kultur, die über Einflüsse von außen wacht und unkontrolliertem Einfluß von Außen sichtbar machen. Bei Haack handelt es sich nämlich um eine Fläche, "die jeder menschlichen Einwirkung entzogen bleibt" . Jeder Eingriff wäre ja- als Parallele zu der unverbindlichen "Bevölkerung" ein Eingriff, der andere Pflanzen auf dem angelegten Territorium benachteiligen könnte.

Es gibt eine Darstellung, in der alle Völker Europas gemeinsam und mutig in die Zukunft marschieren. Es wäre jedoch ein merkwürdiger Anblick, wenn die einzelnen Völker verschüchtert -hinter vielen anderen versteckend- des Weges entlangkröchen. Die Ausflucht auf den Begriff "Bevölkerung" heißt im Prinzip aber nichts anderes, als aus mangelndem Selbstbewußtsein das Versteck einer unbekannten Masse zu suchen. Und das ist schlecht für uns und alle, mit denen wir das 21. Jahrhundert als ein gemeinsames Europa gestalten wollen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen