© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/99 12. November 1999


Kulturrevolution: Vor 50 Jahren starb der Schriftsteller Werner Deubel
Die Ursachen des Verfalls
Baal Müller

"Wie man seit 1933 keines Juden Verdienst mehr anerkennen durfte, ohne in Gefahr zu geraten, so werden wir künftig nicht mehr vom Vaterland als einem Wert reden dürfen, das jeden Opfers wert ist."

Den zeitgenössischen Leser muten diese Worte, die der am 8. Juli 1894 geborene Werner Deubel am 14. April 1945 in sein Tagebuch schrieb, erstaunlich aktuell an. Weit davon entfernt, das Vaterland für einen absoluten Wert zu halten, der jedes Opfer rechtfertigen würde, muß er heute bekanntlich feststellen, daß ihm häufig geradezu jeder Wert abgesprochen wird – etwa zugunsten einer alle nationalen und regionalen Besonderheiten einebnenden Globalisierung oder eines genormten, maskenhaften Individualismus.

Wenn Deubel solchen Tendenzen am Vorabend des Untergangs mit dem Versuch einer "Deutschen Kulturrevolution" – so der Titel eines 1931 von ihm herausgegebenen Sammelbandes – begegnen wollte, dann ging es ihm, als Freund und Schüler von Ludwig Klages, nicht allein um die politischen Aspekte des Verfalls, sondern um deren tiefere Ursachen, die er in einer destruktiven Rationalisierung, einer lebenszersetzenden Vergeistigung und Entseelung des Kosmos sah. Die am 12. November 1949 verstorbene und heute fast völlig in Vergessenheit geratene und allenfalls dem Klages-Kenner noch vertraute Werner Deubel markiert somit eine Schnittstelle zwischen dem allgemein für unpolitisch gehaltenen Kreis um Ludwig Klages und der in einem aktiveren Sinne politischen Konservativen Revolution.

Mit Klages teilt Deubel die biozentrische philosophische Grundposition, die er in zahlreichen Essays und Vorträgen entfaltet, popularisiert und auf literaturwissenschaftliche Fragen angewandt hat. Besondere Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhang seine Aufsätze über "Dichtung" (1931), "Goethe als Begründer eines neuen Weltbildes" (1931), der Goethe, wenigstens partiell, als Vorläufer einer vitalistischen und phänomenalen Naturbetrachtung in Anspruch nimmt, und "Umrisse eines neuen Schillerbildes" (1934), in dem er an Schillers Werk die Verfehlung seiner eigentlichen tragischen Sendung durch dessen Kant-Rezeption nachzuweisen sucht.

Aus der weitgehenden Anlehnung an Klages folgt eine umfassende Zivilisationskritik, die etwa in Deubels Essays "Die Religion der Rakete" (1928) und "Kampf um Dionysos. Ein Ruf an die Herzen der Nachkriegsjugend" (1930) zum Ausdruck kommt und nicht nur die ökologische Thematik behandelt, sondern darüber hinaus den umfassenden Nihilismus der technokratischen Machbarkeit um ihrer selbst willen anprangert. Dem bloßen Bemächtigungswillen in seiner praktischen physikalischen und theoretisch-mathematischen Variante setzt Deubel die Frage nach Wert und Wesen solcher Bestrebungen entgegen: "Das technische Denken fragt nicht nach dem Wesen der Elektrizität, der Schwerkraft, der Wärme, sondern nach ihrer Errechenbarkeit und ihrer Nutzbarmachung. Durch technisches Denken ist die Menschheit nicht weiser geworden, nur maschineller." Der Forscher wird "keinem kosmischen Geheimnis näher gebracht", sondern "er wird das Unnennbare alsbald zu nennen trachten in Formeln und Lehren zur Verbesserung seiner Maschine, zur Konstruktion neuer Maschinen, zur technischen oder wirtschaftlichen Ausnutzung der vorgefundenen ’Kräfte‘ und Schätze."

Anstelle der Vernutzung der Welt durch einen Herrschaftswillen, der nicht weiß, warum er eigentlich herrschen will, favorisiert Deubel eine naturreligiöse Verehrung des Kosmos und pathische Hingabe an das Alleben. Interessant – wenngleich im zeitgenössischen Kontext nicht ungewöhnlich – ist die Tatsache, daß Deubel diese Haltung insbesondere im Dichter verkörpert sieht, der als eine Art Medium des kosmischen Lebens, mithin als Mittler zwischen Natur und Kultur fungiert. Diese vor allem von Klages vertretene und in seinem frühen George-Buch (1904) exemplifizierte Position, die sowohl produktions- als auch rezeptionsästhetisch das dichterische Erlebnis in den Vordergrund stellt, neigt freilich dazu, das Moment aktiver Produktion unterzubewerten.

Den Dichter kennzeichnet jedoch nicht nur das Erleben, sondern auch die Fähigkeit, das Erlebte literarisch zu verarbeiten, wie den Klagesianern etwa schon von seiten des George-Kreises vorgehalten wurde. Dessen Exponenten wiederum mußten sich häufig den Vorwurf bloßen Formalismus und Konstruktivismus gefallen lassen.

Ungeachtet solcher allzu zeitbedingten Problemstellungen ist die Verschränkung von Kultur und Natur bzw. deren Abgrenzung von Technik und Zivilisation auch heute noch interessant. Einen wichtigen Unterschied zwischen Natur und Kultur einerseits, Technik und Zivilisation andererseits sieht Deubel darin, daß es "im Reich des Lebens und der Werke" keinen Fortschritt gebe, daß weder zwischen vitalen Organismen noch zwischen organischen Kunstwerken eine Fortschrittsbeziehung bestünde, während die Erzeugnisse der Technik ständig von den jeweils neuesten überholt und entwertet würden.

Da das Lebendige mit dem Begriff naturwissenschaftlicher Kausalität letztlich nicht erfaßt werden kann, ist die ihm eigene Notwendigkeit nach Deubel diejenige des Schicksals. Um dessen Beschreibung und Ausgestaltung kreisen Deubels im engeren Sinne literarischen Werke, wie zum Beispiel sein 1927 erschienener einziger Roman "Götter in Wolken", dessen "ahnungsvoll-schaurigen Innenraum-Atmosphären" (Ulrich Hintze) geradezu an Gustav Meyrinks "Der Golem" erinnern, oder seine zahlreichen Dramen, deren bekanntestes "Die Geschwister von Korsika" 1941 am Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde.

Der Erfolg dieses Werkes kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß Deubels literarische Tätigkeit während des Nationalsozialismus einer ständigen Beobachtung unterlag und er 1938, nachdem das "Amt Rosenberg" den an Ludwig Klages orientierten "Arbeitskreis für biozentrische Forschung" zunehmend verfolgte, auch physisch bedroht war.

Der Begriff des Schicksals war für Deubels Generation durchaus keine hohle Phrase, sondern ihr entsprach eine alltägliche existentielle Forderung, wie Ulrich Hintze in seiner kenntnisreichen Einleitung des 1997 von Felicitas Deubel edierten Essaybandes "Im Kampf um die Seele. Wider den Geist der Zeit" (Bouvier, Bonn 1997) hervorhebt.

Immerhin, die wichtigsten theoretischen Arbeiten Werner Deubels, dieses verschollenen Grenzgängers zwischen Dichtung und Philosophie, Magischem Realismus und Konservativer Revolution sind in dieser Ausgabe wieder einem etwas breiteren Publikum zugänglich.


 
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