© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/99 19. November 1999


Erfolgsstrategie
von Peter Lattas

Die Sudetendeutschen wollen es ausprobieren, die Sammelklagen jüdischer Zwangsarbeiter zu kopieren. Es wäre ja auch zu schön: Die Sammelklage gegen Generali und Konsorten als Einstieg in die konsequente rechtliche Aufarbeitung der verschwiegenen Nachkriegsverbrechen an Deutschen. Nicht nur die Nutznießer, sondern auch die Urheber wären dann an der Reihe, sich endlich zu ihrer Verantwortung zu bekennen und Wiedergutmachung zu leisten. Das betrifft nicht nur die Vertreiberstaaten: Millionen Kriegsgefangene, die in sowjetischen, französischen und anderen Lagern Sklavenarbeit leisteten, Frauen, Kinder und Alte, die aus den Ostprovinzen und den Siedlungsgebieten im Osten verschleppt und in Konzentrationslagern gequält wurden, haben von ihren Peinigern kein Wort des Bedauerns und keine Mark Entschädigung gesehen. Ihre Leiden und ihre Ansprüche auf Wiedergutmachung sind nicht weniger wert als die der NS-Zwangsarbeiter.

Müßte sich da eine souveräne und interessenbewußte deutsche Regierung nicht mit ihrem gesamten politischen Gewicht hinter diese Sammelklage stellen? Müßte sie nicht der sudetendeutschen Delegation ein hochrangiges Regierungsmitglied an die Seite geben – wie es für die US-Regierung in der Zwangsarbeiterfrage selbstverständlich war? Und vor allem: Müßte sie nicht die Gelegenheit ergreifen, die Gegenrechnung aufzumachen und das tabuisierte millionenfache Leiden deutscher Kriegs- und Nachkriegsopfer thematisieren? Ein Wunschtraum – wir alle wissen es.

Der Haken an der Sache ist nämlich noch ein anderer: Bei den Sammelklagen von NS- Zwangsarbeitern des Zweiten Weltkriegs und den dadurch erzwungenen Verhandlungen um einen Entschädigungsfonds geht es nur vordergründig um Gerechtigkeit für bisher "vergessene" NS-Opfer. Von amerikanischer Seite wurde hinreichend deutlich gemacht, daß im Falle von Unbotmäßigkeit oder mangelnder Großzügigkeit Deutschland und der deutschen Wirtschaft massive Nachteile im transatlantischen Handel bis hin zu Wirtschaftssanktionen drohen. Es handelt sich also genau genommen nicht um Entschädigungsverhandlungen, sondern um Schutzgelderpressung im ganz großen Stil. Der Kampfruf der Wiedergutmachung ist nur ein kaum noch verhohlener Vorwand.

Selbst wenn es also eine deutsche Regierung gäbe, die ihren sudetendeutschen Landsleuten den ihnen zustehenden diplomatischen Schutz gewähren wollte, wären ihre Drohungen nicht annähernd so wirksam wie die Einschüchterungsversuche von jenseits des Atlantik. Schon deshalb werden Opfer auch künftig mit zweierlei Maß gemessen werden.


 
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