© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/99 19. November 1999


Kunst im Reichstag: Der FDP-Abgeordnete Ulrich Heinrich über den Begriff "Volk"
"Das ist ein Paradigmenwechsel"
Moritz Schwarz /Theo Mittrup

Herr Heinrich, Sie gehören zu jener Mehrheit im Kunstbeirat des deutschen Bundestages, die dem Gestaltungskonzept für den Lichthof Nord zugestimmt haben. Was hat Sie dazu bewogen?

Heinrich: Man muß wissen, daß es sich hier um bestellte Kunst handelt. Wir haben Hans Haacke beauftragt, den Lichthof Nord zu gestalten. Er ist international für seine interaktive Kunst bekannt. Mit dieser Aktion haben wir uns bewußt für eine neue, vielleicht auch sehr umstrittene Form von Kunst im Reichstag entschieden.

Was heißt in diesem Zusammenhang "interaktiv"?

Heinrich: Die Abgeordneten haben als Akteure Erde aus ihrem Wahlkreis mitzubringen und im Lichthof aufzuschütten. Das wirft übrigens einige Fragen auf, und die Meinungen gehen weit auseinander, zum Beispiel: Kann man Abgeordnete dazu zwingen?

Wie bewerten Sie die politischen Botschaft dieser Installation? Das ist ja das eigentliche Anliegen von Herrn Haacke.

Heinrich: "Dem deutschen Volke" heißt sehr eingegrenzt, die Abgeordneten des Bundestages sind nur dem deutschen Volk verantwortlich. Und da hat sich ja einiges geändert in den letzten Jahrzehnten. Wir sind nicht nur dem deutschen Volk, wir sind der ganzen Bevölkerung verantwortlich. Wir haben zwischen acht und zehn Prozent ausländische Mitbürger hier, für die sind wir natürlich auch verantwortlich.

Noch ist es ja das deutsche Volk, das die Abgeordneten wählt. Geht man da nicht schon einen Schritt zu weit, wenn die Abgeordneten jetzt schon ohne Auftrag sagen, wir vertreten die Bevölkerung?

Heinrich: Auf kommunaler und europäischer Ebene haben wir ja schon eine andere Situation. Und die Entwicklung geht weiter. Wir haben viele eingebürgerte Ausländer, die nicht Deutsche sind – die den deutschen Paß haben oder haben wollen.

Sie wollen also nicht den Weg der Integration gehen?

Heinrich: Das machen wir ja damit deutlich: Wir differenzieren nicht mehr zwischen dem deutschen Volk und den hier lebenden Menschen. Die Integration ist ein wichtiger Bestandteil der Aussage. Natürlich gibt es ernstzunehmende Einwendungen: Wir haben ja jetzt erst den zehnten Jahrestag des Mauerfalls, und da haben die Leute gerufen: "Wir sind das Volk!" Das sind natürlich auch Erinnerungen, das sind Spannungen, die da auftreten. Es ist keine leichte Entscheidung.

Im Grundgesetz ist vom deutschen Volk die Rede. Inwiefern bringen Sie sich da mit "Der Bevölkerung" in einen Gegensatz?

Heinrich: Als das Grundgesetz Ende der vierziger Jahre geschrieben wurde, hatten wir es ja mit einer ganz anderen Bevölkerung zu tun. Ob der Begriff im Grundgesetz irgendwann geändert wird, weiß ich nicht. Ich will das auch nicht fordern. Aber es ist doch eine interessante Sache, die die Menschen bewegt und zum Diskutieren anregt: "Wo stehen wir denn, mit unserer Demokratie?" Ich bin für eine offene Diskussion, schließlich habe ich dem Vorhaben anfangs ablehnend gegenübergestanden.

Sie verstehen also den Begriff "Bevölkerung" als Weiterentwicklung von "Volk". Herr Haacke aber lehnt den Begriff "Volk" als belastet ab.

Heinrich: Diese Interpretation halte ich für unglücklich! Das sage ich ausdrücklich! "Volk" ist für mich nicht belastet.

Nun ist es aber doch nicht so, daß "Bevölkerung" nur eine gewandelte Form von "Volk" ist. Hat "Volk" nicht eine grundsätzlich andere Intention? Der Begriff "Volk" intendiert doch "Integration", gewachsene Gemeinschaft. "Bevölkerung" dagegen "Multikulturalismus", eine unverbindliche Gesellschaft. Das ist doch ein Paradigmenwechsel?

Heinrich: Ja, genau so. Genau das ist es. Da bewegen wir uns ja hin. Wir haben keine ethnisch reine Bevölkerung mehr. Das war die Vorstellung von Hitler. Die heutige neue Bevölkerungsstruktur verträgt sich nicht mehr mit dem reinen klaren Begriff von Volk.

Sie sagten doch zuvor aber, daß der Begriff "Volk" einen guten Kern hat – Stichwort "Volkssouveränität". Geben Sie mit dem Begriff "Volk" nicht etwas Positives auf? Das Volk ist doch immer schon Ursprung und Ziel der Demokratie gewesen.

Heinrich: Nein, in "Bevölkerung" steckt ja auch "Volk" drin. "Volk" war in der damaligen Zeit ein klarer Begriff, eine ethnische Gruppierung, die man definieren konnte. Und wir gehen in eine neue Zeit hinein.

Wir verstehen Ihre Position nicht so ganz: Mal erklären Sie, das Volk sei etwas ethnisch Reines, etwas nicht Anzustrebendes, mal geben Sie zu, daß Volk etwas Kulturelles, etwas Positives ist.

Heinrich: Wir geben den Begriff Volk nicht auf. Wir weiten ihn nur aus. Der Begriff wird noch lange erhalten bleiben. Vermutlich nie verschwinden. Ich bin kein heimatloser Mensch. Nur wenn ich mir überlege, wem der demokratische Bau Reichstag gewidmet sein soll, dann würde ich bestimmt nicht "Dem deutschen Volke" hinschreiben. Allerdings: Die Inschrift bleibt ja, wir nehmen nur eine neue hinzu.

Könnte man nicht auf Haackes Niveau kontern und sagen, der Vorschlag, Erde mitzubringen, entspreche ganz klar nationalsozialistischer "Blut und Boden"-Symbolik? Die Idee, aus allen Wahlkreisen Erdboden an einem zentralen Ort aufzuschütten, erinnere an die NS-Parteitagsgeste, Vertreter aus allen "deutschen Gauen" pathetisch zu versammeln. – Zeigt das nicht, wie lächerlich Haackes Vorstoß ist?

Heinrich: Richtig. Deshalb lehne ich, anders als Haacke, "Volk" ja auch nicht ab. Übrigens: Anfänglich hatte ich, wegen eines "Blut-und-Boden-Geruchs", durchaus schwerwiegende Bedenken. Haackes Konzept hat mich aber schließlich überzeugt.

Ist das dann nicht schlichte "political correctness"?

Heinrich: Mir ist der Ausdruck "Der Bevölkerung" zu technisch. Ich würde vielleicht "Den Menschen" vorziehen.

Glauben Sie nicht, daß im Ausland diese spezielle deutsche Unterscheidung zwischen Volk und Bevölkerung auf Unverständnis stoßen wird?

Heinrich: Das ist für mich kein Kriterium.

Wird das Projekt tatsächlich verwirklicht?

Heinrich: Das kommt darauf an, ob sich zuviele Abgeordnete bei der Ausführung verweigern. Ich glaube aber, es kommt.

 

Ulrich Heinrich geboren 1939 in Tettnang, von Beruf Landwirtschaftsmeister, gehört seit 1987 dem Deutschen Bundestag an. Seit 1994 ist er Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion und Mitglied im Kunstbeirat des Parlaments.


 
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