© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/99 19. November 1999


Kunst im Reichstag: Der Leipziger Künstler Wolfgang Mattheuer kritisiert die Installation
"Der ganze Vorgang ist blamabel"
Dieter Stein

Der Aktionskünstler Hans Haacke will nach Wunsch des Kunstbeirates des Bundestages im Reichstag einen überdimensionalen Holztrog aufstellen. 669 Abgeordnete sollen jeweils einen Zentner Heimaterde in den Trog schütten – rund 30 Tonnen –, und es soll ein Biotop entstehen. Hans Haacke plaziert in diesen Trog eine 1,20 große Leuchtschrift, die "Der Bevölkerung" lautet. Er will damit die Inschrift am Westportal "Dem deutschen Volke" neutralisieren. Was halten Sie von dieser Idee?

Mattheuer: Zuerst stört mich natürlich das Wort "Heimat"! Das ist doch mindestens so schlimm wie das Wort "Volk"!

Das meinen Sie doch ironisch?

Mattheuer: Wie soll man das sonst meinen. Darüber hinaus müssen wir uns daran erinnern, daß in der Bundesrepublik Deutschland Kunstfreiheit herrscht. Wenn ein Künstler wie Haacke eine solche Idee hat, dann darf er sie auch realisieren. Solange das zu Hause in seinem Atelier geschieht, hätte ich persönlich überhaupt nichts dagegen. Es wird alles gemacht, was denkbar ist.

Worum geht es also dann?

Mattheuer: Daß eine Bundestagskommission, ein Kulturausschuß diese Installation an einem solchen Ort genehmigt, das ist etwas anderes. Die Kritik hat sich also nicht gegen den Künstler zu richten, der ja frei ist in seinem Schaffen, sondern gegen die Abgeordneten, die diese Freiheit mißverstehen. Sie sind offenbar bereit, jeden Unsinn, auch wenn er zum Blödsinn tendiert, zu akzeptieren. Das haben wir im Zusammenhang mit dem Reichstag schon mehrfach erlebt. Der ganze Vorgang ist blamabel. Ich werde jetzt darauf warten, ob die traditionsreiche Leipziger Volkszeitung in "Leipziger Bevölkerungszeitung" umbenannt wird! Das Museum für Volkskunst in Dresden wird dann womöglich in "Museum für Bevölkerungskunst" umbenannt – das ganze ist absurd. Ich nehme an, daß der Künstler Aufmerksamkeit erregen möchte, und das ist ihm auch gelungen. An diesem Vorgang zeigt sich eine bedauerliche Wurschtigkeit der Verantwortlichen im Umgang mit dem Parlament. Dann sollen sie konsequenterweise auch die Eidesformel des Bundespräsidenten und der Regierungsmitglieder ändern, die sie verpflichtet, ihre Kraft "dem Wohle des deutschen Volkes" zu widmen und "Schaden von ihm zu wenden".

Haacke hält es für bedenklich, daß 1989 von den Demonstranten in Leipzig und Ost-Berlin "Wir sind das Volk" gerufen worden sei.

Mattheuer: Wenn Herr Haacke das kritisiert, daß wir 1989 und 1990 hier in Leipzig gerufen haben "Wir sind das Volk" – ich habe da ja mitgerufen –, so ist das haarsträubend. Wir haben das ja im Angesicht der "Volkspolizei" und der "Volksarmee" gerufen, das hatte schließlich einen Sinn! Als die Dinge weiterliefen und von den vielen hun-derttausend Demonstranten gerufen wurde "Wir sind ein Volk!", dann war dies ganz meiner Meinung, und dabei bleibe ich auch. Dieser Künstler soll die Freiheit haben, für sich zu schaffen, was er mag. Er darf aber nicht, noch dazu im Rahmen des deutschen Parlamentes, uns in diese scheußliche, nationalistische Ecke drücken.

Es hat in der Vergangenheit schon mehrfach Auseinandersetzungen um die künstlerische Ausgestaltung des Reichstages gegeben. Könnte nicht gerade durch die Wende 1989 die Demokratie im vereinigten Deutschland ein größeres Gewicht bekommen, die dem Satz "Dem deutschen Volke" eine spezifische Note gibt?

Mattheuer: Die deutsche Bevölkerung, um diesen Haackeschen Begriff aufzunehmen, ist gespalten. Dies macht den Wiedervereinigungsprozeß doch so schwierig. Der eine Teil ist hochprozentig von einer Siegermentalität erfaßt, die sie nicht losläßt von ihren Vorurteilen, so wie der andere Teil, dem es nicht allzu gut ging, sich überwiegend als zweitklassig fühlt. So wie nicht alle Westdeutschen diese Siegermentalität ausgebildet haben, so habe ich auch nicht diese Unterwürfigkeit angenommen, die zuviele prägt. Dieser Skandal im Reichstag gehört mit in diesen Kontext. Wir haben offenbar nach dieser Logik 1989 das Unsinnigste skandiert – "Wir sind das Volk!". Die Volkskammer in Ostberlin reklamierte ja für sich, das Volk zu vertreten. Dagegen richtete sich dieser Ruf. Diese Polemiken sind bösartig. Bedauerlicherweise hat selbst Bundespräsident Rau erst vor wenigen Tagen seine Landsleute in Nordrhein-Westfalen aufgerufen, doch Geduld mit uns zu haben. Eine Unverschämtheit!

 

Prof. Wolfgang Mattheuer: Der 1927 in Reichenbach geborene Vogtländer zählt zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Gegenwart. Bis 1974 lehrte Mattheuer an der Hochschule in Leipzig. 1988 verließ er ein Jahr vor der Wende unter Protest die SED.


 
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