© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/99 19. November 1999


Rot-Grün: Partnerschaft ohne Gemeinsamkeiten
Schwankend im Sattel
Paul Rosen

Die rot-grüne Koalition, so sinnierte kürzlich ein Kabinettsmitglied in Berlin, werde wohl doch nicht mehr bis 2003, dem Jahr der nächsten Bundestagswahl, halten. Die Grenzen der Kabinettsräson sind längst überschritten, die ungleichen Partner müssen der Reihe nach wichtige Grundsatzpositionen aufgeben, weil der andere Koalitionspartner darauf besteht.

Bergleute demonstrieren gegen Sozialdemokraten, Pazifisten und Atomkraftgegner gegen die Grünen. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten ist, genau besehen, verbraucht, die Regierung Schröder eigentlich nach zwölf Monaten am Ende.

Allerdings ist es in Deutschland nicht so einfach wie in Italien, einen Regierungschef loszuwerden. Und Gerhard Schröder hat sich im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude verschanzt. Wo soll der Mann auch hin, fragte ein niedersächischer CDU-Politiker, der Schröder seit vielen Jahren kennt. Schröder fehlt ein Refugium, wie es Helmut Kohl in Oggersheim hat. Deshalb wurde Kohl mit dem Verlust der Macht innerlich fertig. Schröder besitzt in Hannover eine Vier-Zimmer-Wohnung, in dem auch seine Frau und deren Tochter leben – kein Ort, wo sich ein Machtmensch sonderlich wohlfühlen kann. Daher wird Schröder das Kanzleramt bis zuletzt verteidigen.

Selbst ausländische Diplomaten in Berlin wundern sich, daß die Koalition noch nicht auseinandergeflogen ist. Zu groß sind die Unterschiede. Zu groß sind die Demütigungen. Allerdings gibt es Signale, daß es bald zum Bruch kommen könnte. Ein hochrangiger Berliner CSU-Abgeordneter berichtete, er sei von einem führenden Sozialdemokraten auf die Möglichkeit einer Großen Koalition angesprochen worden.

In der Regierungskoalition kochen zahlreiche Konflikte

Die Sollbruchstellen der Koalition liegen in mehreren Bereichen, auch wenn die Bruchstelle namens Rüstungsexporte derzeit die wahrscheinlichste Variante darstellt. Aber auch bei dem Ausstieg aus der Atomenergie, in der Koalitionsvereinbarung fest vereinbart, kochen Konflikte. Schröder und besonders sein Wirtschaftsminister Werner Müller, ein Mann der Energiewirtschaft, wollen nicht aus der Atomenergie raus. Schröder würde vielleicht als symbolischen Akt ein Atomkraftwerk abschalten lassen, das die Industrie wegen technischer Unzulänglichkeiten ohnehin vom Netz nehmen würde, Krümel etwa. Aber andererseits weiß Schröder auch, daß bei einem gesetzlich veordneten Ausstieg nicht nur ein Drittel des Stroms aus dem Ausland importiert werden muß, sondern bei einem Ende der Atomenergie vor Ablauf von rund 40 Jahren die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes schwer verletzt würde. Dann müßte die Regierung Schadensersatz in Milliardenhöhe leisten. Den Grünen ist das egal. Sie brauchen eine Option für den Ausstieg, die eine Jahreszahl deutlich von 2039 nennt. Sonst geht die Anti-Atomkraft-Klientel bei den nächsten Wahlen von der Fahne.

Die Rüstungsexportpolitik hat die koalitionsinternen Konflikte auf die Spitze getrieben. Daß der Außenminister im Bundessicherheitsrat überstimmt wurde, ist wohl nur in dieser Pleiten-Peh-und-Pannen-Koalition möglich. In jedem anderen Bündnis hätte dies das Ende bedeutet. Hans-Dietrich Genscher hätte die Koalition mit Helmut Kohl beendet, der schwache Klaus Kinkel vermutlich auch. Nur der grüne Joschka Fischer klebt an seinem Amt und nimmt die Lieferung eines Testpanzers an die Türkei hin.

Sachliche Argumente für die grünen Bedenken gegen ein Waffengeschäft mit der Türke gibt es ohnehin nicht. Die Türkei ist Nato-Mitglied und hat eigentlich Anspruch auf Unterstützung durch andere Nato-Länder. Schließlich soll der deutsche Leopard II an den Grenzen zu Syrien, zum Irak und zum Iran stationiert werden. Für den Einsatz in den kurdischen Berggebieten sind schwere Panzer ohnehin ungeeignet. Panzer werden gegen Panzer eingesetzt. Viel eher gegen Kurden zum Einsatz kommen könnten die deutsch-französichen Tiger-Kampfhubschrauber. Doch deren Export ins Ausland ist französische Anglegenheit. Die Grünen können protestieren, aber nichts machen. Die Türkei dürfte 145 Tiger-Kampfhubschrauber erhalten.

Die SPD-Abgeordnete Verena Wohlleben hat darauf hingewiesen, daß die türkischen Grenzen bei unzureichender Sicherung im Falle eines Angriffes auch durch deutsche Soldaten und Wehrpflichtige verteidigt werden müßten. Doch diese Argumente ignorieren die Grünen, deren Außenminister zugleich der Türkei eine konkrete Beitrittsperspektive zur Europäischen Union in Aussicht stellt. Diffuser kann Politik nicht sein.

Dennoch geht es für die Grünen beim Panzergeschäft um eine Überlebensfrage. Längst suchen selbst Realos wie Sprecherin Gunda Röstel nach der besten Möglichkeit, die Koalition ohne eigenen Schaden zu verlassen. Ergebnis der Prüfungen: Am besten würde sich der Waffenexport eignen, da man die Schuld am Ende der rot-grünen Koalition dann glaubwürdig der SPD anlasten könnte. Die Grünen wären aus dem Schneider.

Bei der Gesundheitsreform drohen "nur" Blamagen

Andere Felder der Politik sind komplizierter. So verhandeln Sozialdemokraten und CDU-Länder derzeit diskret über Möglichkeiten, wie über den Bundesrat vielleicht noch eine Gesundheitsreform durchgeführt werden kann. Eigentlich ein Grund, die Koalition zu beenden. Doch Gesundheistministerin Andrea Fischer ist nach der gesetzgeberischen Pannen beim Reformgesetz politisch zu geschwächt, um noch Bedingungen stellen zu können. Für die Grünen, die als Partei des öffentlichen Dienstes eher mit Behilfen und privaten Krankenversicherungen zu tun haben, ist der Krankenkassenbereich auch ein Fremdwort, so daß an dieser Front zwar Blamagen, aber keine Brüche drohen.

Die Ökosteuer ist ein anderer Fall. Hier versuchen die Grünen, über eine stärkere Förderung der Gaskraftwerke das umstrittene Braunkohleprojekt Garzweiler II in Nordrein-Westfalen gewissermaßen durch die Hintertür auszuhebeln. Seitdem stehen die Verhältnisse an Rhein und Ruhr Kopf: Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD), der natürlich den Verlust der Landtagswahl mehr fürchtet als eine Absage des RWE-Konzerns für Garzweiler, schlägt sich im Bundesrat auf die Seite der CDU und will das Ökosteuer-Gesetz noch verhindern. Clements Ziel ist es, unter den Ländern eine Zwei-Drittel-Mehrheit gegen das unbeliebte Ökosteuergesetz zusammenzubringen.

Unter den Ländern ist das Gesetz doppelt unbeliebt: Die Einnahmen bekommt nur der Bund, während die Stimmenverluste die Politiker vor Ort treffen. Bei einem Zwei-Drittel-Votum des Bundesrates könnte der Bundestag dies nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit überstimmen. Die bekommt Schröder nicht zusammen. Die Koalition wäre am Ende.

Nun ist unklar, ob Clement so viel Stimmen sammeln kann, und es bleibt unklar, ob Schröder den Druck auf die Grünen durch weitere Waffenlieferungen erhöht. Der Kanzler hat einen nicht einfachen SPD-Parteitag vor sich und darf außerdem nicht vergessen, daß ihm mit Verteidigungsminister Rudolf Scharping immer noch ein mächtiger Rivale im Nacken sitzt. So erinnern Schröder und seine Koalition an schlechte Reiter: Sie können sich mühsam im Sattel halten, den Kurs bestimmen können sie nicht.


 
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