© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/99 19. November 1999


Buchenwald: Treffen der Opfer des sowjetischen NKWD
Zweierlei Gedenken
Werner H. Krause

Die Buchen, welche die Straße am Ettersberg bei Weimar säumen, haben ihr Kleid aus Herbstlaub angelegt. Zur gleichen Zeit, da zahlreiche Besuchergruppen die europäische Kulturstadt durchstreifen, um dem Herrn von Goethe ihre Aufwartung zu machen, hängen in der Gedenkstätte Buchenwald Menschen ihrer Erinnerung nach. Während in Weimar lärmender Frohsinn waltet, ist in Buchenwald eher eine schmerzhafte Stille zu spüren.

Viele der Menschen, die sich hier zur Teilnahme am 9. Buchenwaldtreffen eingefunden haben, sehen sich von Gefühlen überwältigt. So beispielsweise Gerhard Finn, der Vorsitzende der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft, der hier Jahre der Pein durchlitten hat. Die Häscher der sowjetischen NKWD hatten ihn als 15jährigen sowie mehrere seiner Mitschüler bezichtigt, Wehrwolf gewesen zu sein. Obwohl dies jeder Grundlage entbehrte, schlossen sich hinter ihm für vier Jahre die Lagertore von Buchenwald. Er verbrachte sie in einem sogenannten Isolator, eine vom übrigen Lager abgesonderte Baracke, umgeben von einem hohen Stacheldrahtzaun. Die Bezeichnung Isolator trug sie deshalb, weil es den Inhaftierten darin verwehrt war, sich im übrigen Teil des Lagers frei zu bewegen.

Hunger, Dahindämmern, Ungewißheit über das eigene Schicksal wie das der Angehörigen, ohne Aussicht auf eine baldige Freilassung, forderten einen hohen Preis. Viele der Gefangenen büßten den letzten Rest an Widerstandskraft ein, die Zahl der Toten stieg mit jedem Tag.

"Die Verhaftungspraktiken", berichtet Benno Prieß, der heute die Arbeitsgemeinschaft der ehemaligen politischen Häftlinge Waldheims leitet, "waren von reiner Willkür geprägt. Neben einstigen NSDAP-Mitgliedern machten die Spezialkommandos der sowjetischen Sicherheitsorgane zunehmend Jagd auf Menschen, bei denen sie eine antikommunistische Einstellung mutmaßten. Die Verhafteten wanderten in sogenannte GPU-Keller, wo man von ihnen vielfach unter Anwendung von Gewalt Geständnisse erpreßte." Allein in Thüringen schmachteten rund 7.000 Menschen in solchen Verließen, später vegetierten sie sämtlichst in Buchenwald dahin.

Noch heute tun sich manche in Weimar schwer damit, daß es jetzt in Buchenwald zweierlei Gedenken gibt. Von den Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald können sich viele einfach nicht mit der Tatsache abfinden, daß nunmehr auch Opfer der kommunistischen Gewalt am gleichen Ort ihrer Toten gedenken.

Doch Heidi und Lothar Brauer, Leiter der Initiativgruppe politischer Gefangener Buchenwalds 1945–1950, scheuen sich nicht, immer wieder gegen derartige Einseitigkeit des Denkens anzugehen. Viele Unbelehrbare aus SED-Zeiten, so sagen sie, wollen es einfach nicht wahrhaben, daß es ihre sowjetischen Genossen waren, die sich völlig unverfroren der gleichen Haftstätten bedienten, KZs in Speziallager umwandelten und dort viele unschuldige Menschen, die niemals Verfechter des NS-Regimes gewesen waren, einem unsäglichen Martyrium aussetzten.

Andere versteifen sich nach wie vor auf die Behauptung, es habe sich schließlich um eine gerechtfertige Maßnahme gegen Hoheitsträger des NS-Staates gehandelt. Und dann gibt es noch welche, die keinen Hehl daraus machen, daß sie ihr antifaschistisch geprägtes Denken durch die Treffen von Opfern kommunistischer Gewaltherrschaft in Buchenwald entehrt oder zumindest beeinträchtigt sehen.

Es hat eine Reihe unschöner Auseinandersetzungen in Buchenwald gegeben; eine Gruppe Autonomer reiste aus Westdeutschland an und schändete die Totenstätte, wo ein schlichtes Denkmal darauf verweist, daß sich hier im Boden die sterblichen Überreste zahlreicher Menschen befinden, die das sowjetische Speziallager 2 nicht überlebt haben. Klaus Schmidt, dem Vorsitzenden der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, schwebt vor, daß Buchenwald zur Erinnerungsstätte an die Opfer beider Diktaturen auf deutschem Boden werden sollte. Doch davon ist man wohl noch weit entfernt.

Die Zahl der zwischen 1945 bis zur Auflösung des Lagers im Jahre 1950 Umgekommenen liegt bei über 7.000 Menschen. Die sowjetische Lagerleitung bildete ein Beerdigungskommando, das die Toten in unmittelbarer Nähe des Lagers verscharrte. Eine Benachrichtigung der Angehörigen erfolgte nicht. Dennoch gelang es den in der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft zusammengeschlossenen Häftlingsverbänden, so manches Einzelschicksal aufzuklären. Alles was sich auf das sowjetische Speziallager 2 bezieht, hat mittlerweile in einer ständigen Ausstellung Platz gefunden, die das verübte Unrecht widerspiegelt.

Einige Lagerschicksale erscheinen auf besondere Weise tragisch. Etwa das des Chemielaboranten Robert W. Zeiler. Seine jüdische Mutter wurde im März 1944 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Ihn selbst wies im Mai 1944 die Gestapo unter dem Vorwurf des Widerstandes gegen ihre Anordnungen in das KZ Buchenwald ein, aus dem er ein Jahr später, im Mai 1945, freikam. Zeiler wurde jetzt mit der Aufgabe betraut, überlebende Häftlinge aus Theresienstadt nach Berlin und Brandenburg zurückzubegleiten. Als ihn diese Tätigkeit auch nach Potsdam führte, nahm ihn dort die operative Gruppe der NKWD unter der Beschuldigung fest, ein amerikanischer Spion zu sein. So führte ihn sein Weg unfreiwillig ein zweites Mal nach Buchenwald, er war zum Opfer beider deutscher Diktaturen geworden.

Bruno Treyße, der SPD seit dem Jahre 1907 angehörend, dann über Jahrzehnte im Polizeidienst stehend, wurde durch den nationalsozialistischen Innenminister Thüringens, Wilhelm Frick, auf der Grundlage des sogenannten Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den Wartestand versetzt. 1935 und ein weiteres Mal 1938 erfolgte seine Inhaftierung im Konzentrationslager Sachsenhausen. Im Mai 1945 wurde er als Leiter der Kriminalpolizei in Thüringen eingesetzt, im August 1945 war er maßgeblich an der Aufdeckung eines schweren Korruptionsfalles in der Zellwolle AG in Schwarza beteiligt. Er ließ darin verwickelte führende KPD-Angehörige verhaften. Vier Wochen darauf wurde er von der sowjetischen NKWD festgesetzt, die ihm Tätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst CIA vorwarf. Treyße kam ins sowjetische Speziallager Buchenwald, wo er über 400 ebenfalls inhaftierte Sozialdemokraten antraf.

Solche Fälle, die keineswegs vereinzelt dastehen, strafen kommunistische Behauptungen Lügen, daß auf dem Ettersberg nach 1945 ausschließlich Nazis sühnten.

Als am 1. März 1950 das Speziallager Buchenwald aufgelöst wurde, gelangten 7.073 Personen in Freiheit. Doch längst nicht für alle Häftlinge ging die Leidenszeit zu Ende. 2.415 Lagerinsassen wurden den Justizorganen der DDR und 264 sowjetischen Gerichten übergeben. In zwei großen Transporten brachte die Volkspolizei Häftlinge aus den aufgelösten Speziallagern Sachsenhausen, Bautzen und Buchenwald in das Zuchthaus Waldheim.

In der sächsischen Kleinstadt begannen die berüchtigten Sonderstrafkammern Hilde Benjamins, im Fließbandverfahren über 3.000 Angeklagte zu drakonischen Freiheitsstrafen zu verurteilen. In 24 Fällen wurde die Todesstrafe verkündet und vollstreckt.

Über das Geschehen im sowjetischen Speziallager 2 senkte sich über Jahrzehnte tiefstes Schweigen. Erst nach dem Zusammenbruch der DDR kam die ganze schreckliche Wahrheit ans Tageslicht. Einer der jetzt am 9. Buchenwaldtreffen der politischen Opfer kommunistischer Gewalt teilnahm, sprach aus, was ihm durch den Kopf ging: "Auch wir können mit Fug und Recht das Lied singen, ’Buchenwald, Buchenwald, ich kann Dich nicht vergessen, weil Du mein Schicksal bist’."


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen