© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/99 19. November 1999


Christian von Ditfurth: Die Mauer steht am Rhein
Ostalgie für Deutschland
Wolf Deinert

Wir schreiben das Jahr 1999. Das vereinigte Deutschland feiert sein zehntes Wendejahr. Der westdeutsche Kapitalismus hat – zumindest über den Honeckerschen Sozialismus – gesiegt. Es hätte jedoch, so rechnet uns Christian von Ditfurth vor, auch genauso gut andersherum kommen können: Der Putsch in Moskau 1998 hat Gorbatschow gestürzt. Die Sowjetunion wird wiederhergestellt. Die neue "Pax Sovietica-Americana" hat die Welt neu aufgeteilt. Die Amerikaner bekommen Kuba, und die DDR darf sich mit der deutschen Westrepublik am 3. Oktober 1990 zur DRD (Demokratischen Republik Deutschland) wiedervereinigen.

Nicht die westliche, sondern die östliche Supermacht dehnt ihr System auf ganz Deutschland aus, das mit allen Segnungen und Abgründen bis an den Rhein vordringt, wo Schritt für Schritt der "Antifaschistische Schutzwall" neue Gestalt gewinnt. Die alten Mauer-Accessoirs sind auch wieder da: Schießbefehle, Hunde, Minen, Selbstschußanlagen. Allerdings weitaus perfekter als der einst so geschmähte Honeckerbau, der 1989 den Mauerspechten zum Opfer gefallen war. Auch die Flucht aus Deutschland ist wieder strafbar geworden.

Vieles hat sich indes getan im neuvereinigten Deutschland. Rainer Eppelmann und eine Handvoll anderer renitenter Dissidenten sitzen im Zuchthaus Bautzen. Andere Personalien haben erhebliche Karriereschübe erfahren. Egon Krenz ist Regierungschef geworden und hat Erich Honecker nebst Gattin Margot ins Exil nach Chile geschickt. Sein liebster Medienmann ist neben Peter Boenisch noch Theo Sommer, dessen stets mainstreamgerechtes Zeit-Journal zu einem phantasievollen, sprudelnden Quell der Verständnisvermittlung und einem Zentralorgan der Political Correctness für Intellektuelle geworden ist. Der Freund Herrmann Axens, Karsten Voigt, ist als neuer Ministerpräsident sein treuer Leser und Förderer. Innenminister wird Wolfgang Schäuble, der erfolgreich das feindliche Zentrum der Grünen Partei bekämpft, die bald darauf kapituliert. Die CDU wird wieder, wie ehemals in der DDR, zur pfründengespickten Blockpartei, die CSU in Anerkennung ihrer Verdienste unter Führung der SED zur bayerischen Vorkämpferin für Ordnung und Sauberkeit. Finanzministerin im neuen Deutschland wird Heide Simonis, die Oskar Lafontaine ablöst und mit Frauenpower weit übertrifft, die Banken auf Vordermann bringt und mit deren Devisenreserven Geburtsprämien, Wohngelder und Steuerminderungen bezahlt.

Unter Karsten Voigts Herrschaft gedeihen die neueingerichteten Isolierungslager (der Gebrauch des Namens "KZ" für die Lager wird als Volksverhetzung unter Strafe gestellt!). Man (und natürlich auch frau!) stellt sich um, geht oder bleibt. 300.000 Deutsche sind allein in die Schweiz geflüchtet. Joschka Fischer diskutiert dort im Juni 1999 mit anderen deutschen Emigranten wie Gerhard Löwenthal, Otto Schily, Helmut Schmidt und dem einstigen SED-Chefplaner Gerhard Schürer im Züricher Dissidentenklub "Deutscher Widerstand" das Thema "Zehn Jahre Wende in Deutschland".

Der neue Spiegel jedoch ist regierungstreu wie nie. Wütend verhackstückt er die Züricher Ausreiser als "Emigrantenmafia", zu der nun auch der geflüchtete Rudolf Augstein gerechnet wird. Flucht aus Deutschland ist wieder mit der Gefahr für Freiheit und Leben verbunden. Peter Boenisch als ZK-Sekretär und Informationsminister verliest auf der täglichen Pressekonferenz genüßlich die Zahl der neu Verhafteten.

Die SPD wechselt in überwältigender Mehrheit ins neue Lager hinüber. Bekannte Schriftsteller wie Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass und Walter Jens hatten schon Sommer 1991 in einem Appell die "ethisch gebotene Zusammenarbeit der deutschen Linken" gefordert und von der Sozialdemokratie verlangt, "den ihr zugewiesenen Platz in der Geschichte nicht mit der Berufung auf Gestriges zu verweigern." 1994 findet der Vereinigungsparteitag statt: Die Verschmelzung von SED, SPD und DKP. Einstimmig wird die Gründung der Sozialistischen Einheitspartei der Demokratischen Republik Deutschlands (SEdDRD) beschlossen. Paritätische Vorsitzende werden Egon Krenz und Karsten Voigt, "der dem neuen Deutschland schon als Außenminister diente". Sozialdemokraten, die den Einheitskurs tatkräftig unterstützt hatten, werden mit Funktionen und beruflichen Vorteilen belohnt. "Gegner der Einheitspartei galten als ‘Volksfeinde’, derer sich die Justiz annahm."

Kein Protest der einst so mächtig und demokratiebewußt erscheinenden Medien? Mitnichten. Die meisten der westdeutschen Mediengewaltigen interessieren sich nur für die Sicherung ihrer Pfründe. Am erfolgreichsten von allen ist dabei der Ex-Bild-Chef Peter Boenisch.

Waren viele der westdeutschen Meinungsproduzenten vor der Wende entweder mit dem verhaltenen Schönreden des Honeckerstaates oder mit der Verehrung der amerikanischen Schutzmacht beschäftigt, wendeten sie sich nun im Eiltempo zu Verteidigern der neuen sozialistischen Friedenskraft. Eifrig ist man in den rheinischen Redaktionsstuben bemüht, bei den neuzugeteilten Ost-SED-Beratern in bestem Licht zu erscheinen.

Christian von Ditfurth, aus dem rheinischen Medienmilieu stammend, scheint im Laufe der Zeit mit seinen Kollegen hinsichtlich ihrer Zivilcourage und ihrer Ellenbogenmentalität mehr schlechte als gute Erfahrungen gemacht zu haben. Vornehmlich der informierte Leser weiß, daß der Autor hier weniger ein spaßiges Modell moderiert, sondern einen Rahmen gesucht hat, in dem er seine eigenen Irritationen nicht nur mit der einstigen DDR- sondern auch mit der herrschenden westdeutschen Politiker- und Medienklasse vermitteln kann. Der von ihm gewählte fiktionale Bezug läßt eine fast uneingeschränkte Gestaltungsfreiheit zu – ohne daß ihm und seinem Verlag die berühmten Einstweiligen Verfügungen seine Respektlosigkeiten blockieren könnten.

Viele Jahre hat er ordentlich und fleißig daran gearbeitet, im Spektrum der politisch-korrekten "West-Intellektuellen" ein ordentlicher politisch-korrekter West-Intellektueller zu werden. Nun scheint der böse Geist über ihn gekommen, um ihm zu dieser Story zu raten. Möglicherweise wird ihm nun sein Platz im Paradies der Gutmenschen verwirkt.

Der Held selber, mit dem sich der Autor weitgehend solidarisch fühlt, ist ein Held wider Willen. Als gefühlslinker Sportredakteur der Rheinischen Post berichtet er nichtsahnend über einen getürkten Sieg des regierungsnahen Stasi-Fußballclubs BFC Dynamo gegen Vorwärts Dortmund, in dem letzterer spieltechnisch weitaus überlegener war. Nichtsahnend titelt der politisch Naive: "Fragwürdiger BFC-Sieg", wird wegen der Headline zum Chefredakteur zitiert und in hohem Bogen gefeuert.

Die rheinische Kirche, nun "Kirche im Sozialismus", erbarmt sich des ahnungslosen Stützeempfängers. Er bekommt einen Posten als Aushilfskorrektor beim "Frohen Boten", der Düsseldorfer Kirchenzeitung. Auch dort gelingt es ihm nicht, allen Tretminen auszuweichen: Ihm entgeht ein Buchstabendreher. Sein Bischof bekundet in einer Weihnachtsausgabe die Loyalität mit der neuen Macht, die "fruchtbare Partnerschaft", wie es heißen soll. Der Buchstabendreher bewirkt, daß daraus eine "furchtbare Partnerschaft" wird. Der christliche Arbeitgeber ist außer sich. Er fliegt wieder hinaus und hat nun bereits eine Kette staatsfeindlicher Aktionen in seinen Aktenvermerken. Früher oder später, erkennt er, wird er ein Kandidat für die Isolationslager sein.

Gottseidank ist da noch sein Bruder, der, aus der DKP kommend, bei der neuen Macht ein Aufsteiger ist und noch ein bißchen Familiensinn hat: Er überläßt dem Gestrauchelten den eigenen Paß mit dem zum Verwechseln ähnlichen Bild – und so gelangt dieser nach Zürich, wo er seinen Report "Die Mauer steht am Rhein" schreiben wird.

 

Christian von Ditfurth: Die Mauer steht am Rhein, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999, 255 Seiten, 36 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen