© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Kolumne
Willige Interpreten
von Ulrich Schacht

Der moralpolitische Konkurs der "Wehrmachtsausstellung" (um vom wissenschaftlichen nicht zu reden) konnte nur solche Zeitgenossen überraschen, die nicht wahrhaben wollten, daß er die logische Folge der ideologie-biographischen "Ausrüstung" ihres Hauptpropagandisten Hannes Heer war, eines in der Wolle gefärbten Totalitären vom Stamme Stalins, dessen Wurzeln Marx, Engels und Lenin heißen. Heers gibt es weitab rechts und links der Linie, an der sich wissenschaftliche Seriosität und moralische Glaubwürdigkeit entfalten, viele; er ist also nicht das gesellschaftliche Hauptproblem des Falles. Nicht einmal Heers derzeitiger Arbeitgeber, Zigaretten-Erbe Reemtsma, ist es. Denn zum einen produziert sein Hamburger Insitut für Sozialforschung durchaus hochwertige Analysen, geht es um die politischen Schrecken des 20. Jahrhunderts. Zum anderen ist keiner gefeit vor der Verführung durch Applaus, der damit zusammenhängenden Bereitschaft, ihn zu bedienen und schließlich zu produzieren oder zu provozieren, was in der Mediengesellschaft inzwischen auf ein und dasselbe herauskommt. Seriös zu bleiben hätte für Reemtsma und seine Mitarbeiter bedeutet, sich mit der Kraft zu intellektueller Redlichkeit dem egozentrischen Goldhagen-Projekt und seinem durchschaubaren Kalkül ebenso zu verweigern wie der stalinistisch grundierten Antifa-Kampagne Heers. Beide waren und sind ja vor allem Stoff-Plagiatoren von seriösen Forschern wie Christopher R. Browning ("Ganz normale Männer") und Jörg Friedrich ("Das Gesetz des Krieges"). Ihnen ging es nie wirklich um den Blick auf die Opfer politischer Gewalt. Ihnen ging es um totale Siege im persönlichen Krieg gegen ideologische Feinde oder akademische Konkurrenz. Das konnte jeder nachlesen.

Nein, der Skandal-Kern im Skandal-Typ sind alle die Spitzenvertreter der politischen Klasse der Bundesrepublik, die sich beiden Varianten von propagandistischer Leichenfledderei kritiklos zur Verfügung gestellt haben. Und so – unter Mißbrauch des Ranges ihrer Ämter und Funktionen – "im Kampf um die Kontrolle über Mentalitätsmachtmittel" (P. Sloterdijk) zu willigen Interpreten demagogischer Geschichts-Thesen wurden. Wie zum Beispiel Jutta Limbach, die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts.

Die Präsidentin der höchsten juristischen Institution der Republik hat damit aber nicht nur die Würde ihres Amtes verletzt; sie hat vor allem ein weiteres abschreckendes Beispiel für die offenbar ungebrochene Verführbarkeit deutscher Politiker durch den totalen Herrschaftsanspruch deutscher Zeitgeist-Bataillone gegeben. Wenn das keine Warnung ist!

 

Ulrich Schacht ist Journalist und Schriftsteller. Er lebt in Schweden.


 
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