© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


"Den Parteien"
von Dieter Stein

In der vergangenen Woche hat die JUNGE FREIHEIT über die Manipulation der Widmung des Reichstages an das Volk berichtet. Nochmal für die, die es nicht mitbekommen haben (siehe auch Bericht auf Seite 5): Nach Willen des Kunstbeirates des Deutschen Bundestages soll die Widmung des Reichstages ("Dem Deutschen Volke") konterkariert werden durch eine gleichwertige Inschrift "Der Bevölkerung", die in einem der Lichthöfe des wilhelminischen Baus angebracht werden soll.

Es dämmert allmählich hoffentlich dem einen oder anderen Abgeordneten, was da vor sich geht. "Warum haben die so eine lange Leitung?" fragen sich viele Bürger. Warum begreifen viele Volksvertreter nicht, daß diese Installation eine Verhohnepipelung der Bürger, des Volkes, ja, eben des deutschen Volkes ist? Ganz einfach: Weil ihnen zum großen Teil überhaupt nicht mehr bewußt ist, wem sie es verdanken, daß sie im Hohen Haus einen Platz gefunden haben. Das demokratische Bewußtsein von 1848, als das deutsche Bürgertum seine Rechte auf den Barrikaden erstritten hat, ist verschwunden. Vergessen sind die großen Momente deutscher Demokratie, der Volksaufstand vom 17. Juni 1953, trotz zehnten Jahrestages der euphorische Moment des Mauerfalls vom 9. November 1989.

Der Blick vieler Abgeordneter ist nicht dem Volk zugewandt, sondern dem Parteiapparat, dem Parteivorsitzenden. Dem Vorstand verdankt man es, daß er dafür gesorgt hat, ihm einen sicheren Platz auf der Landesliste seiner Partei zu gewährleisten. Die Hälfte der Abgeordneten des Bundestages werden über diese feststehenden, durch den Wähler nicht mehr veränderbaren Parteilisten ins Parlament gewählt. Die Loyalität der Hälfte der Abgeordneten gilt so mehr der Partei, weniger dem Volk. Die andere Hälfte sind die Wahlkreisabgeordneten, die durch die Erststimme, also durch die Stimme des Wählers ins Parlament kamen. Hier finden sich diejenigen, denen die "Stimme des Volkes" noch eher etwas sagt.

Angesichts der derzeitigen Lage wäre es am ehrlichsten, der Bundestag beschlösse, die Widmung des Reichstages in "Den Parteien" umzuwandeln. Obwohl den Parteien im Grundgesetz lediglich eine vermittelnde Position zugebilligt wurde, ist es ihnen gelungen, den Staat in einem Maße zu okkupieren, das die Demokratie gefährdet. Sie beschließen und ändern die Finanzierung ihrer Organisationen nach Gusto. Während das Motto "Rente nach Kassenlage" lautet, plündern ins Parasitäre tendierende Gruppierungen den Staat nach Lust und Laune. Es wird Zeit, zu politischen Reformen zu kommen, die die Rechte des Bürgers erweitern und die der Parteien einschränken.


 
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