© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Anhänglichkeiten
Karl Heinzen

Klaus Esser hat in seinem ganzen Berufsleben noch kein anderes Unternehmen kennengelernt als Mannesmann, und daher kann ihm niemand so recht vorwerfen, wenn seine Einschätzungen der Welt da draußen nicht immer mit der Realität derselben in Einklang zu bringen sind. Recht hat er aber stets dort, wo er darüber spricht, was für ihn selber gut ist. So liegt er zweifelsohne richtig, wenn er die Wertschätzung beargwöhnt, die der angelsächsische Telefonkonzern Vodafone Airtouch durch ein üppiges Übernahmeangebot für das Entwicklungspotential von Mannesmann zum Ausdruck bringt. Wer so viel Geld über den Börsenwert des Unternehmens hinaus bietet, ist zwar nicht feindlich gegenüber den bisherigen Aktionären eingestellt, wird aber sicher Klaus Esser mit der Frage konfrontieren, an welche Höhe der Abfindung er denkt.

Es lohnt sich eigentlich nicht, die privaten Probleme einer gegebenenfalls erforderlichen beruflichen Neuorientierung von Klaus Esser zum Gegenstand aufgeregter öffentlicher Debatten zu machen. Schon gar nicht gehört es sich, sein Wohl mit dem der Nation zu identifizieren. Mannesmann ist mit dem Blick auf Eignerstruktur und Engagement nicht damit gedient, als ein "deutsches" Unternehmen mißverstanden zu werden. Klaus Esser tut daher gut daran, vor einem falschen nationalen Pathos im Umfeld der Verkaufsverhandlungen zu warnen. Am Ende des 20. Jahrhunderts sind die Versuche, ein Gemeinschaftsgefühl unter den Produktionsfaktoren aufkommen zu lassen, nicht mehr auf die Vorbilder der Vergangenheit angewiesen. Ausbeutungsverhältnisse haben heute Bestand, ohne daß das Vaterland bemüht werden müßte. Die soziale Integration von Arbeitnehmern, die ihre Sorge um die materielle Existenz dazu zwingt, einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen und die ihre Selbstachtung dazu verleitet, sich die Demütigung dieser Unterwerfung nicht einzugestehen, kann längst ohne nationale Transzendierung der corporate identity auskommen. Solange die Eigentumsrechte garantiert sind, gibt das Kapital den Ton an, und die Arbeitnehmer tun gut daran, ihm zu folgen.

Die bürgerliche Gesellschaft hat sicherlich denen da oben den Rücken freigemacht, indem sie sie von unzeitgemäßen Verant- wortlichkeiten entband. Sie hat aber doch zugleich jenen da unten gewisse Anhänglichkeiten erlaubt, die den Beweis für den humanen Charakter unserer Gesellschaft liefern. Die Begeisterung der Arbeitnehmer für die Marke Mannesmann ist somit zu begrüßen, solange sie nicht mit den Anspruch verknüpft wird, betriebswirtschaftliche Überlegungen in der Personalplanung und der Standortentscheidung zurückzustellen.

Denn dessen müssen sich alle bewußt sein – und das mag auch die Debatte beruhigen: Chris Gent wird bloß diejenigen entlassen, die auch Klaus Esser irgendwann freisetzen müßte.


 
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