© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Einbürgerung: Interview mit Dorothea Koller, Abteilungsleiterin für Einwohnerangelegenheiten
"Den Hund zum Jagen tragen"
Arne Schimmer

Die Einführung des neuen Staatsbürgerschaftsrechts zum 1. Januar 2000 ist besonders in Großstädten mit hohem Ausländeranteil mit einem immensem Verwaltungsaufwand verbunden. In Stuttgart beispielsweise hat das Amt für Öffentliche Ordnung allein zur Bewältigung des erwarteten Massenansturms die Schaffung von neun neuen Stellen gefordert.

Es sind drei wichtige Neuerungen, die das neue Staatsbürgerschaftsrecht für eine Stadt wie Stuttgart ab dem 1. Januar 2000 mit sich bringt. Da ist zum einen die Einbürgerung derjenigen in Deutschland Geborenen, bei denen nur noch überprüft werden muß, ob die Eltern bzw. ein Elternteil die Voraussetzungen für den automatischen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch das Kind erfüllen. Dabei handelt es sich in Stuttgart jährlich um rund 1.000 Kinder.

Dazu kommen im Jahr 2000, also bis zum Antragsende am 31. Dezember 2000, alle ausländischen Kinder, die im Bundesgebiet geboren wurden und das zehnte Lebensjahr noch nicht überschritten haben. Sie können die deutsche Staatsangehörigkeit durch eine Erklärungsmöglichkeit annehmen, was in Stuttgart etwa 10.000 Kinder betrifft.

Als drittes wurde die Frist der Aufenthaltsgenehmigung, nach der man die Einbürgerung beantragen kann, von 15 Jahre auf acht Jahre reduziert, wodurch nochmals 60.000 Ausländer allein in Stuttgart die Möglichkeit haben, einen Einbürgerungsantrag zu stellen. Neben der Einführung des neuen Staatsbürgerschaftsrechts gibt es noch die Abmachung, daß die doppelte Staatsbürgerschaft von EU-Staatsangehörigen hingenommen wird, wenn Gegenseitigkeit verbürgt ist – das bedeutet für Stuttgart weitere 30.000 potentielle Antragsteller.

Zu den Problemen, die die Einführung des neuen Staatsbürgerschaftsrechts mit sich bringt, befragte die JUNGE FREIHEIT Dorothea Koller, der in Stuttgart die Ausländerbehörde untersteht.

Frau Koller, welche praktischen Probleme bringt die Einführung der doppelten Staatsangehörigkeit im nächsten Jahr für die kommunale Verwaltung mit sich?

Koller: Bei der doppelten Staatsangehörigkeit geht es um das neu eingeführte Prinzip des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund des jus-soli-Prinzips. Die praktischen Probleme entstehen zum einen daraus, daß ein solcher Massenansturm mit den vorhandenen Personalkapazitäten nicht bewältigt werden kann. Zum anderen ergeben sich erhebliche Probleme, weil bis heute die Verwaltungsvorschriften fehlen und somit unklar ist, welche Anforderungen an die Prüfung der tatbeständlichen Voraussetzungen im einzelnen zu stellen sind. Zum Beispiel ist ja Voraussetzung für diesen Geburtserwerb, daß sich ein Elternteil acht Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Es liegt jetzt auf der Hand, daß sich die Bearbeitungszeiten pro Vorgang maßgeblich danach richten werden, ob hier beispielsweise in jedem Fall die Ausländerakte beizuziehen und gründlich zu prüfen ist, ob etwa im Verlauf dieser acht Jahre ein Tag Unterbrechung aufgetreten ist, oder ob umgekehrt gesagt werden kann, wenn jemand den erforderlichen Titel hat, die Aufenthaltsberechtigung oder die unbefristete Aufenthaltserlaubnis, dann liegen eben insoweit rechtmäßige Aufenthaltszeiten ohne Unterbrechung vor.

Wie werden die Zahlen, die die Höhe der erwarteten Einbürgerungen im nächsten Jahr quantifizieren, berechnet?

Koller: Die 1.000 Kinder, von denen gehen wir laufend pro Jahr aus. Wir haben die Zahlen über die Geburten ausländischer Kinder in Stuttgart, das sind knapp 2.000. Wir können aufgrund der übrigen Daten sagen, daß davon sicherlich gut die Hälfte einen Anspruch haben wird, daß ein Elternteil die erforderlichen Voraussetzungen mitbringt für den Geburtserwerb. Alle natürlich nicht, weil bei den ausländischen Geburten auch die Kinder von Flüchtlingen oder von Studenten mitgezählt werden. Aber Rahmendaten über den Status der Ausländer in Stuttgart kommen zu dem Ergebnis, daß von der Gesamtzahl der Geburten ausländischer Kinder in Stuttgart gut die Hälfte einen Anspruch haben wird.

Im nächsten Jahr wären es dann zuerst einmal 10.000, weil großer Nachholbedarf bestünde?

Koller: Zu diesen 1.000 Kindern, die neu geboren werden, kommen noch die dazu, die bis zum 10. Lebensjahr auch von der Übergangsregelung Gebrauch machen können, aber diese Möglichkeit unterliegt der Ausschlußfrist bis zum 31. Dezember 2000. Das heißt, sie bzw. die Eltern müssen sich innerhalb des nächsten Jahres entscheiden, ob sie für ihre Kinder den Antrag stellen oder nicht. So kommt man zu dieser hohen Zahl für die Kinder im nächsten Jahr.

Sind die bisher geschaffenen rechtlichen Rahmenbedingungen in sich stimmig, um eine Masseneinbürgerung vorzunehmen? Und sind die finanziellen Budgets der Kommunalverwaltung ausreichend, um den Massenansturm ab den 1. Januar 2000 bewältigen zu können?

Koller: Zum einen steht ja fest, daß schon nach den bisher geltenden Einbürgerungstatbeständen eine große Zahl der hier lebenden Ausländer die rechtlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt. Welche Bedeutung deshalb dem nach wie vor gültigen Grundsatz von der Aufgabe der alten Staatsangehörigkeit für die persönliche Einbürgerungsbereitschaft zukommt, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall reichen unsere Personalkapazitäten weder für die Bewältigung der Neuregelungen beim Geburtserwerb noch für die massenhafte Zunahme von Einbürgerungsanträgen aus. Auf der anderen Seite muß man allerdings sehen, daß der Gesetzgeber dies ein Stück weit auch berücksichtigt hat und versucht hat, mit einer deutlichen Gebührenanhebung von bisher 100 Mark auf künftig 500 Mark bei den Anspruchseinbürgerungen einen möglichen Personalmehrbedarf kostendeckend zu regeln. Ob die Rechnung aufgeht, hängt natürlich davon ab, welchen Bearbeitungsaufwand die Verwaltungsvorschriften vorgeben. Es liegt auf der Hand, daß es davon abhängt, ob diese Gebühr kostendeckend ist, wie hoch der Aufwand im einzelnen Verfahren ist und in wie vielen Fällen möglicherweise noch Gebührenermäßigungen zum Tragen kommen. Aber man muß respektieren, daß der Gesetzgeber gesehen hat, daß hier ein Mehrbedarf auftritt, und versucht hat, mit dieser deutlichen Gebührenanhebung den Kommunen Luft zu verschaffen.

Wie beurteilen Sie die laufende Einbürgerungskampagne der Bundesregierung?

Koller: Ich halte jede Botschaft, die darauf gerichtet ist, die deutsche Staatsangehörigkeit anzupreisen wie einen beliebigen Markenartikel, in der Sache für unangemessen und integrationspolitisch verfehlt. Das Ziel einer aktiven Einbürgerungspolitik kann doch nur sein, neue Staatsbürger zu gewinnen, die sich bewußt für die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Verfassung und ihren Grundwerten entschieden haben und am politischen Willensbildungsprozeß partizipieren wollen. Das läßt sich aber sicher nicht erreichen, wenn man um mehr Einbürgerungsbewerber wirbt, als müsse man den Hund zum Jagen tragen.

Welche finanziellen Belastungen kommen auf die Kommunen durch die Neubürger zu?

Koller: Diese Frage ist insofern schwierig zu beantworten, als grundsätzlich für jede Einbürgerung Voraussetzung ist, daß der Ausländer imstande ist, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Allerdings gibt es davon Ausnahmen: Die mangelnde Leistungsfähigkeit steht der Einbürgerung regelmäßig dann nicht entgegen, wenn es sich um junge Ausländer bis zum 23. Lebensjahr handelt, oder aber, wenn der Leistungsbezug nicht persönlich zu vertreten ist. Allerdings muß man sehen, daß aufgrund der sonstigen statusrechtlichen Voraussetzungen in diesen Fällen der Einbürgerungsbewerber regelmäßig den gleichen Leistungsanspruch haben wird als Ausländer wie als Deutscher, so daß insofern die Staatsangehörigkeit keine unmittelbaren finanziellen Auswirkungen hat. Es gibt aber ein anderes Risiko, das darin liegt, daß für den Familiennachzug zu Ausländern die Sicherung des Lebensunterhalts unabdingbare Voraussetzung ist, während dies für den Nachzug zu einem deutschen Ehepartner beispielsweise nicht gilt. Nachdem insbesondere im Verhältnis zur Türkei nach wie vor die Möglichkeiten der Familienzusammenführung in vielen Fällen für eine Zuwanderung genutzt werden, liegt in dem Nachzugsanspruch zu Sozialhilfeempfängern mit deutscher Staatsangehörigkeit ein Kostenrisiko, das sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt einfach nicht abschätzen läßt.

 

Dorothea Koller ist Abteilungsleiterin für Einwohnerangelegenheiten im Amt für Öffentliche Ordnung in Stuttgart. Ihr untersteht die Ausländerbehörde.


 
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