© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Welthandelskonferenz: Umweltschützer wollen das Vorsorgeprinzip verankern
Weichenstellungen für die Zukunft
Gerhard Quast

Roquefort ist ein Schafmilchkäse, der ausschließlich in der südwestfranzösischen Region Larzac hergestellt wird. Er reift in natürlichen Felsenhöhlen und bekommt sein typisches Aroma durch Schimmelpilze, die sich wie grüne Adern durch den Käse ziehen. Mit französischen Spezialitäten wie Leberpastete, Trüffel und Dijonsenf hat der Roquefortkäse inzwischen eines gemeinsam: Er steht auf der Liste der Waren, die von den USA als Reaktion auf das EU-Importverbot für hormonbehandeltes Fleisch mit Strafzöllen belegt werden. Damit lassen sich diese französischen Spezialitäten in die USA praktisch nicht mehr verkaufen.

Abgesegnet wurden diese Handelshemmnisse von der Welthandelsorganisation (WTO). Diese hatte der EU eine Frist gesetzt, innerhalb derer sie einen eindeutigen wissenschaftlichen Nachweis über die Bedenklichkeit von "Hormonfleisch" erbringen müßte, andernfalls sei das bestehende Einfuhrverbot aufzuheben. Dieser Nachweis wurde nicht termingerecht erbracht, so daß die WTO Sanktionen der USA gegen die EU für rechtens erklärte.

Was in vielen EU-Ländern auf Unverständnis stieß, sorgte in Frankreich für handfeste Empörung: Französische Bauern machten ihrem Ärger Luft, indem sie Filialen der US-Fast-Food-Kette McDonald’s verwüsteten. An der Spitze des Protestes stand ein Schafzüchter aus Larzac: der Bauernrebell José Bové.

Bové wurde mit seiner Gewaltaktion gegen die "Big Mac"-Filiale in Millau (Aveyron) – die ihm 20 Tage Haft einbrachte – über Frankreich hinaus zu einer Symbolfigur des Widerstandes gegen die sich abzeichnenden negativen Auswirkungen der WTO. Seinen Kampf will Bové nun auch außerhalb der Landesgrenzen fortführen: bei der anstehenden Ministerrunde der WTO in Seattle.

Dort geht es nach Ansicht vieler Umweltschützer um wichtige Weichenstellungen für die Zukunft. Denn die Liberalisierung des Welthandels, die Kernfunktion der WTO, tangiert in zunehmenden Maße die menschliche Gesundheit, die Nutzung von natürlichen Ressourcen und den nationalen und internationalen Umweltschutz. Bereits bei ihrer Gründung standen viele Umweltschützer der WTO eher skeptisch gegenüber; nahezu fünf Jahre später hat sich bestätigt, "daß die Ziele und die Praxis der WTO in scharfem Kontrast zu der Umweltpolitik ihrer Mitgliedsländer und internationaler Umweltvereinbarungen stehen", urteilt etwa Kristina Steenbock von Greenpeace Deutschland. Statt die Liberalisierungsgeschwindigkeit durch eine neue "Millenniumsrunde" weiter zu beschleunigen, müßte erst einmal die Kompatibilität mit der internationale Umweltpolitik hergestellt werden, so Steenbock.

Eine ähnliche Stoßrichtung hat auch eine Erklärung der "Friends of the Earth International", die von mehr als 1.100 lokalen, nationalen und internationalen Organisationen aus 87 Ländern unterzeichnet wurde und auch vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) mitgetragen wird. Darin fordern die WTO-Kritiker, daß vor einer weiteren Verhandlungsrunde erst die bisherigen Wirkungen analysiert werden müßten.

Entwicklungsländer fordern Reform des Handelssystems

Ein solches Moratorium für neue Themen fordert auch die "Gruppe der 77", der wohl wichtigste Zusammenschluß von Entwicklungsländern. Sie verlangt ein "Überprüfen, Reparieren und Reformieren" des Welthandelssystems, insbesondere der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen der bisherigen Liberalisierungsmaßnahmen.

Kernforderung vieler Umwelt- und Verbraucherorganisation ist die Verankerung des Vorsorgeprinzips als Bestandteil des Konzepts der "nachhaltigen Entwicklung". Zwar werde dieses Vorsorgeprinzip in der Präampel des WTO-Gründungsvertrages erwähnt, von einer angemessenen Umsetzung im Sinne der Erklärung von Rio könne aber nicht die Rede sein, so die WTO-Kritiker. In der Deklaration von 1992 heißt es: "Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewißheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben." Der Vorsorgegrundsatz basiert demnach auf drei Elementen: "die Bevorzugung der Schadensvermeidung vor der Schadensbekämpfung, die Zuweisung der Beweislastpflicht an diejenige Partei, die ein potentiell gefährliches Produkt auf den Markt bringt oder eine möglicherweise gefährliche Maßnahme durchführt, und die Haltung, auch im Falle des Fehlens einer wissenschaftlichen Gewißheit zu handeln, um Schäden zu vermeiden, als mögliche Schädigungen in Kauf zu nehmen", folgert Kristina Steenbock.

Doch dieses von den 150 Unterzeichnerstaaten der Rio-Deklaration unterstützte Prinzip hat in der WTO bis heute keinerlei Gültigkeit, wie der Streit um hormonbehandeltes Fleisch deutlich gemacht hat. Während in der EU die Verabreichung von natürlichen und synthetischen Hormonen in der Tiermast wegen der potentiell krebsfördernden und erbgutschädigenden Wirkung verboten ist, beharren die USA und Kanada darauf, "Hormonfleisch" in die EU einführen zu dürfen. Würde in der WTO die Beweislast umgekehr, müßten die Nordamerikaner den Nachweis erbringen, daß die Einfuhrbeschränkungen sachlich unbegründet sind.

Ein weiteres schwerwiegendes Problem sind die zahlreichen internationalen Umweltabkommen, die selbstverständlich auch handelsbeschränkende Maßnahmen enthalten, wie etwa das Washingtoner Artenschutzabkommen, die Basler Konvention zum Giftmüllexport oder das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht. "Deren formale Anerkennung durch die WTO steht jedoch noch aus", so Steenbock. Was aber, wenn die WTO auch darin "unerlaubte Handelsbeschränkungen" erkennen sollte?

Die USA drohen bereits mit neuen Handelssanktionen

Besonders kritisch wird auch gesehen, daß die WTO praktisch keine handelspolitische Ungleichbehandlung von Produktionsverfahren anerkennt, sofern diese keine unmittelbare Auswirkungen auf die physichen Eigenschaften des Endproduktes haben. Unilaterale Maßnahmen wie zum Beispiel Grenzausgleichsabgaben für Holz aus Raubbau oder aber Positivkennzeichnungen für nachhaltige Forstwirtschaft stellen demnach "unerlaubte Handelshemmnisse" dar.

Um den Umwelt- und Verbraucherschutz zu sichern, gelte es in Seattle "ökologische Leitplanken" festzuschreiben, so die Umweltschützer. Denn der nächste Konflikt bahnt sich schon an: Bereits vor Monaten drohte US-Landwirtschaftsminister Dan Glickman der EU Handelssanktionen für den Fall an, daß die Einfuhr gentechnisch veränderter Lebensmittel in der EU nicht vereinfacht würde. Auch in dieser Frage scheint ein Handelskrieg unvermeidlich – und damit Aktionen des widerspenstigen José Bové.


 
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