© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/99 26. November 1999


Kino II: "Wonderland" von Michael Winterbottom
Männer drehen am Frauenkarussell
Ellen Kositza

Molly, hochschwanger. Nadia, Single auf der Suche. Debbie, alleinerziehende Mutter eines elfjährigen Jungen. Drei Schwestern in London. "Wonderland" ist keines dieser Stücke, die man gemeinhin als "Frauenfilm" apostrophiert. Vielmehr dominiert das universale, immer wieder gern genommene "Generation X"-Thema: Leben, Feiern und Leiden von Endzwanzigern, Frühdreißigern an der Schwelle des kommenden Jahrtausends. Buntes Großstadtleben also, fokussiert in einem ganz normalen Familienleben von Mama, Papa und den erwachsenen Kindern.

Und doch ist es ein Frauenfilm. Als Frau werde man nicht geboren, zur Frau werde man gemacht, so läutete vor einem halben Jahrhundert Simone de Beauvoir die zweite große Frauenemanzipation ein, als deren Vollstreckerin sich ihre Enkelin im Geiste, Alice Schwarzer, heute feiert. Das Kriterium des biologischen Geschlechts sei ein überholtes, und die Befreiung vom Geschlechterrollenzwang nun quasi vollendet.

Debbie, Molly und Nadia gehören zur Generation derer, die von der sogenannten Frauenbewegung profitieren. Selbstbewußt, sexuell freizügig, berufstätig und wirtschaftlich unabhängig vollziehen sie ihre eigenen vagen Lebensentwürfe. Mit Hilfe von Handkameras, Ansteckmikrophonen und spartanischer Beleuchtungsapparatschaft – wie es der Trend eben so will – verfolgt Regisseur Michael Winterbottom ("Welcome to Sarajevo") häppchenweise die Bahnen kommunikationsgestörter Eltern und ihrer Sprößlinge.

Nadia (Gina McKee) arbeitet in einem Imbiß. Abends der obligatorische Gang auf die Piste: Partnersuche! Nadia ist sensibel und cool zugleich, weiß, was sie will. Doch die Antworten auf ihre Kontaktanzeigen verheißen selten Gutes. Debbie (Shirley Henderson) arbeitet als Friseurin, in ihrer Freizeit ist sie mit Vorliebe sexuell aktiv. Debbie ist zäh, weiß, was sie will. Doch warum so viel Alkohol – und wie ergeht es ihrem Sohn? Molly (Molly Parker) ist mit Eddie zusammen, von dem sie ein Kind erwartet. Molly ist glücklich, weiß was sie will – nämlich Eddie. Eddie verkauft Einbauküchen. Er ist schwach. Eileen, die Mutter der Geschwister, weiß überhaupt nicht, was sie will. Frauen ihrer Generation wissen oft nicht, daß man etwas wollen muß. Deshalb schweigt sie. Nur eins will sie nicht. Ihren Mann und das Bellen des Nachbarköters weiter ertragen. Eileen wird den Hund töten. Im Toben und Tosen der Großstadt, zwischen Intimität und Anonymität, dreht sich das Frauenkarussell weiter. Männer sind es, die es bewegen. Endlich der Traummann für Nadia. Schön, intelligent. Danach mag das Kondom im Klo verschwinden, genau wie Nadia aus der Junggesellenbude – bitte schön. Molly ruft Eddie in der Firma an, doch dort arbeitet er schon seit Tagen nicht mehr. Abends hält der werdende Vater den Fragen seiner Frau nicht stand und verschwindet. Auch Debbies Ex verschwindet. Doch geht das Leben weiter. Molly gebärt ihr Kind auch ohne Eddie, Debbie schließt ihren verloren geglaubten Sohn doch noch in die Arme, und Nadia wechselt bei der nächsten Partnerwahl zur Abwechslung die Hautfarbe.

Können Frauen ihr Schicksal wählen? Das Leben ist trotzdem schön, will uns dieser Film sagen, wenigstens ein bißchen. Und unerträglich leicht.


 
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