© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


Stasi im Westen: Vortrag erhellt Unterwanderung der alternativen Szene
Die Stasi kannte keine Freunde
Moritz Schwarz

Wo hätte man einen Vortrag über die Stasi-Unterwanderung der links-alternativen Szene günstiger halten können als in Kreuzberg, der einstigen linken Zwingburg: Dies bescherte der Mehrheit der Besucher einen kurzen Anmarschweg. Die Operationen der Stasi im Westen hat der Mitarbeiter der Gauck-Behörde, Hubertus Knabe, gesichtet und seine Ergebnisse vor wenigen Wochen in zwei Büchern vorgelegt.

Am vergangenen Mittwochabend berichtete er aus diesem Fundus, inwieweit es dem DDR-Geheimdienst gelungen war, die politische Linke Westdeutschlands zu unterwandern. Für so manchen Kreuzberger also ein Thema, das ihn unmittelbar betrifft, zahlreich waren sie darum der Einladung gefolgt.

Der Sitzungssaal der Bezirksverordnetenversammlung platzte aus allen Nähten, und nur die Öffnung der Zuschauertribüne verschaffte der Veranstaltung noch Luft. Gekommen waren vor allem alte Kämpen der Alternativen Liste. Überall flitzten Bleistifte über Notizblöcke, und mit aufmerksamen Blicken folgten die Zuhörer konzentriert dem Vortragenden. Anhand von einigen Beispielen beschrieb Knabe das Ausmaß der Stasi-Tätigkeit gegen grüne und rote Projekte, Gruppen und Parteien im Westen. Zuvor jedoch erläuterte der 40jährige Historiker und Germanist den strategischen Ansatz der Staatssicherheit: Maxime der Arbeit sei die "Stärkung der realistischen gegen die feindlichen Kräfte" im Westen gewesen. Daß der offiziell "Abwehr" lautende Auftrag sich tatsächlich äußerst aggressiv gestaltete, ist bei dieser Devise nicht mehr überraschend.

Die Stasi hatte als Zweck der Unterwanderung zwei Ziele im Auge: Als feindlich eingestufte Gruppierungen sollten zum einen gestört, wenn nicht gar zerstört werden, zum anderen gelenkt, um sie im Sinne der Stasi benutzen zu können. "Zielobjekte" waren eine Vielzahl von Organisationen, darunter die Aktion Sühnezeichen, Alternative Liste, Bund sozialistischer Arbeiter, Bund Westdeutscher Kommunisten, Gesellschaft der Freunde Albaniens, MLPD, taz und sogar die Terrorgruppe "Bewegung 2. Juni". Gruppen, die als direkte Konkurrenz gesehen wurden, etwa Trotzkisten, sollten in Auseinandersetzungen mit Rechtsextremisten oder dem bundesdeutschen Staat getrieben, die übrigen durch sogenannte "Einflußagenten" zu willigen Vollstreckern gemacht werden.

Tatsächlich gelang es der Stasi, Grünen-Politiker auf allen Ebenen zu gewinnen: etwa die Europaabgeordnete Brigitte Heinrich oder den deutschlandpolitischen Sprecher der AL, Dirk Schneider. Aber auch in der Friedensbewegung und linken Zeitungsprojekten wie der Neuen und dem Extradienst steckte sie.

Viele "Informelle Mitarbeiter", so Knabe, sind noch gar nicht enttarnt: Aus den Akten sind zwar ihre Taten und ihre Opfer bekannt, nicht aber ihre Namen. Opfer waren zuallererst die eigenen Gesinnungsgenossen. Und so herrschte zwar im Anschluß an den Vortrag zunächst betroffenes Schweigen im Raum, wich aber schnell dem drängenden Bedürfnis nach Aussprache und Richtigstellung.

Nun offenbarte sich, daß es sich wohl um so etwas wie ein Familientreffen handelte; die meisten Diskutanten sprachen sich mit Vornamen an, verwiesen quer durch den Raum auf alte Bekannte und gute Freunde. Es folgten die unvermeidlichen "So war das damals"-Geschichten und "Ich-war-dabei"-Reden, die beweisen sollten, daß man von Beginn an dabei war und sich richtig gut auskennt. Familiär aber auch, wie freundlich und offen die Aussprache verlief.

Für die richtige "linke Würze" sorgten während des ganzen Verlaufs der Veranstaltung zwei "staubige Brüder". Die Haare gezopft oder ungekämmt, die Klamotten stehend vor Dreck und dem Geruch nach keine Freunde von Sauberkeit, stellten sie zwar durchaus interessante Fragen, waren aber ansonsten damit beschäftigt, Ärger zu machen: Gleich zu Beginn vernahm man "Nazi!"-Beschimpfungen und was zunächst wie ein Streit unter Linken klang, entpuppte sich als Provokation des Duos "Wasser und Seife" gegen einen Vertreter des Verbandes der "Opfer des Stalinismus". Zwar störten sie nicht laut, titulierten das ganze aber als "braune Veranstaltung" und beschimpften die Grünen als "SS-Schergen". Während der eine behauptete, er sei freier Mitarbeiter der Jungen Welt, zückte der andere seine Einwegkamera und begann die Versammlung nach dem Motto zu fotografieren, "Wartet nur, bis es einmal andersherum kommt!" Da das Fotografieren bei öffentlichen Veranstaltungen aber nicht verboten ist, mußte auch ein herbeigerufener Polizist unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Hubertus Knabe jedenfalls ließ sich nicht beirren, er verwies darauf, wie wichtig es sei, auch gegen alle Widerstände die Aufarbeitung der Stasi-Verbrechen fortzusetzen.


 
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