© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


Faszinosum Hitler: Die Wirkungsmächtigkeit ist ungebrochen
Eine lebendige Medusa
Doris Neujahr

Das Gemälde "Der Bannerträger" von Hubert Lanziger, das Adolf Hitler in mittelaltalterlicher Ritterrüstung und mit aufgepflanzter Hakenkreuzfahne zeigt, hat in den letzten Wochen in den Feuilletons eine enorme Resonanz gefunden. Anlaß war die Berliner Ausstellung "Die Gewalt in der Kunst", wo es in unmittelbarer Nachbarschaft von anerkannten Meisterwerken der Moderne plaziert wurde. Von einigen Kritikern, darunter dem Maler Baselitz, wurde das als Sakrileg und Beleidigung von Künstlern empfunden, die unter Hitler zum Teil als "entartet" verfolgt wurden.

Mit ihrem kalkulierten Tabubruch haben die Ausstellungsmacher die geballte Aufmerksamkeit erfolgreich auf eine Ausstellungskonzeption gelenkt, die sich über die Debattenkultur der alten Bundesrepublik souverän hinwegsetzt. Die JUNGE FREIHEIT hatte bereits am 1. Oktober 1999 ihre neuartige Leichtigkeit, Ironie und Abgeklärtheit hervorgehoben. Indem beispielsweise Hubert Lanzigers "Bannerträger" als ein – mißratener – Nachfahre von Kandinskys "Blauem Reiter" vorgeführt wird, erscheint "Hitler" als monströses Ereignis der Moderne und erfährt der Nationalsozialismus eine Historisierung. Die platte Entgegensetzung von Nationalsozialismus als geistig-kultureller Archaismus deutscher Provenienz und einer weltläufig-fortschrittlichen Avantgarde wird durch die dargestellte Affinität zwischen hybriden Künstlerträumen und modernem Totalitarismus ebenfalls in Frage gestellt.

Insgesamt belegt die Ausstellung, "daß die geistigen und mentalen ‘Normalisierungsprozesse’ in Deutschland viel weiter fortgeschritten sind, als (...) hysterische Medienkampagnen das suggerieren" (JF 40/99).

Es bleibt aber auch die Einsicht, daß an der Schwelle zum neuen Jahrhundert "Hitler" in Deutschland – und nicht nur hier – noch immer den definitiven Kitzel verbürgt und in der Auseinandersetzung der Deutschen mit sich selbst eine zentrale Bezugsgröße bleibt. "Wolfsschanze. Hitlers Machtzentrale im zweiten Weltkrieg", "Hitlers Wien", "Hitlers München", "Hitlers Helfer", "Hitlers willige Vollstrecker", "Tanz den Adolf Hitler – Faschismus in der populären Kultur" – das ist nur eine kleine Auswahl von Büchern und Fernsehsendungen der letzten Zeit. "Hitler und kein Ende" – dieser Klageruf besitzt schon seit Jahrzehnten keinen Originalitätswert mehr.

Keine Frage, von Hitler geht eine nachhaltige Faszination aus, die zur manischen Beschäftigung mit ihm zwingt. Und jede neue Publikation wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.

Vergleichbares gilt auch für die Kunst. Die Ausstellung zitiert "Hitler" als Skandalon, nicht aber als Gegenstand, für den die Kunst eine Formsprache gefunden hat. Lanzingers historisierender "Bannerträger" ist künstlerisch drittklassig und gibt keinerlei Fingerzeig, was "Hitler" bedeuten könnte.

Es gibt bis heute kein Kunstwerk, welches das monströse Phänomen adäquat erfaßt. Hitler als Pop-Ikone, analog zu Andy Warhols "Mao"-Bild von 1973, ist undenkbar. Seine Ungeheuerlichkeit bleibt von der vielzitierten Eigengesetzlichkeit der Kunst unberührt, sondern gibt allen künstlerischen Versuchen die Gesetze vor. Sogar die Bildsprache der Werbung kapituliert vor ihr. Gerade erhielt ein Vertriebsunternehmen in Taiwan, das mit einem Hitler-Bild deutsche Heizkörper anpries, vom Hersteller die "ultimative Anweisung", die Bilder zu entfernen.

Hitler war ein Diktator und ein Massenmörder. Doch wäre er nur das, wäre er erledigt, abgelegt, überwunden, ähnlich wie Stalin, der sogar noch mehr Menschen auf dem Gewissen hat. Er hatte kein Privatleben und keine systematische Bildung. Von seinen schlechten Manieren und Minderwertigkeitskomplexen wird berichtet. Liebenswerte Eigenschaften oder großherzige Gesten werden kaum einmal mitgeteilt. Dennoch nannte Gerhart Hauptmann, ein Nicht-Nazi und einer der größten Menschengestalter der Literatur, ihn 1942 "Sternenschicksalsträger des Deutschtums". Für Sebastian Haffner, Nazi-Gegner, Emigrant und Historiker, war er "ein unerklärlich von außen Hereingeschneiter". Für Goebbels war er in den alljährlichen Ansprachen am Vorabend des "Führergeburtstages" einfach "unser Hitler". Von konträren Voraussetzungen ausgehend, haben alle drei ihren Eindruck einer schicksalhaften Erscheinung mitgeteilt.

Auch von bürgerlichen englischen Politikern wurde Hitler eine Aura zugeschrieben, für die es bis heute keine be- friedigende Erklärung gibt. Es muß von ihm der Eindruck einer unbedingten Willensstärke und eines Glauben an sich selbst ausgegangen sein, die alle herkömmlichen Maßstäbe von Machtgier oder Sendungsbewußtsein überstiegen.

Stalin und Mao sind brutale Funktionäre der marxistisch-leninistischen Geschichtsphilosophie, der sie eine Spezifizierung gegeben haben, an die sie aber gebunden blieben. Diese Spezifizierungen existierten als Stalinismus und Maoismus weiter, während die Erinnerung an die Namenspatronen verblaßte.

Bei Hitler ist es umgekehrt. Seine aus Versatzstücken zusammengeklaubte Weltanschauung war vielmehr seine persönliche Angelegenheit und ein Vehikel seiner persönlichen Ambitionen. Ihre Wirksamkeit blieb von der Wirksamkeit seiner Person abhängig. Ein "Hitlerismus" konnte ihn daher nicht überleben, während seine Person ein postume Negativ-Popularität erfährt.

Der italienische Philosoph und Schriftsteller Adriano Sofri hat erstaunliche Parallelen zwischen Hitlers "Mein Kampf" und dem Roman "Hunger" von Knud Hamsun aufgezeigt. Hamsuns hungernder Ich-Erzähler, der auch Züge des Autors trägt, leidet an "Kristiania (...), dieser seltsamen Stadt, die keiner verläßt, ehe er von ihr gezeichnet ist." Hitler schreibt: "Wien, die Stadt, die so vielen als Inbegriff harmloser Fröhlichkeit gilt, als Raum festlich vergnügter Menschen, ist für mich leider nur die lebendige Erinnerung an die traurigste Zeit meines Lebens."

Beide, Hamsun und Hitler, standen am Rande der Gesellschaft, fühlten sich von ihr gedemütigt.

Hamsun hat sein hartes Schicksal zur Literatur geformt, die die Welt eroberte und ihm zum sozialen Aufstieg verhalf. Er war damit sowohl als Künstler wie auch als Bürger rehabilitiert und hat den Hohn, der ihm entgegenschlug, bezwungen. Hitler hatte vergleichbare künstlerische Ambitionen, die ihm zum sozialen Aufstieg verhelfen sollten.

Während er in Obdachlosenasylen nächtigte, schrieb er, habe in seiner Phantasie "in reichen Palästen" gelebt. Nach dem Scheitern als Künstler übertrug er seinen schöpferischen Anspruch auf die Politik und formte ein "Reich" nach seinen Vorstellungen.

Thomas Mann hat in dem Aufsatz "Bruder Hitler" (1938) die pervertierte "Erscheinungsform des Künstlertums" am "Führer und Reichskanzler" ausdrücklich betont: "Märchenzüge sind darin erkenntlich, wenn auch verhunzt (...): das Thema vom Träumerhans, der die Prinzessin und das ganze Reich gewinnt..."

Der Umschlag von Ohnmachtsgefühlen in Allmachtsphantasien ist etwas Alltägliches. Die Verwirklichung dieser Allmachtsphantasien aber ist die Ausnahme an sich. Die Erzählung vom Einzelnen, der die Welt bzwungen hat, ist deshalb die wirkungsmächtigste Botschaft, die von "Hitler" ausgeht und seine untergründige Wirkung erklärt. Der Traum des kleinen Mannes, es der Welt einmal ordentlich zu zeigen, sich für die Zurücksetzungen und Bevormundungen zu rächen, findet in Hitler seine Personifzierung.

Den Grund für diese massenhafte masochistische Disposition des atomisierten, an seiner Sinnlosigkeit leidenden Massenmenschen hat Ernst Jünger im "Arbeiter" in dem bündigen Satz gegeben: "Das tiefste Glück des Menschen besteht darin, daß er geopfert wird, und die höchste Befehlskunst darin, Ziele zu zeigen, die des Opfers würdig sind."

Hitler scheint über diese Befehlskunst um so sicherer verfügt zu haben, weil er bei allem Gigantismus, den er zelebrierte, immer der unsichere, verklemmte Spießer geblieben ist und neben stählerner Erhabenheit auch verkitschte Vertrautheit suggerierte. Dieses Spannungsfeld zwischen Distanz und Nähe läßt sich anhand des Designs und der Architektur analysieren, die Hitler bevorzugte.

Die Räume und Einrichtungen auf dem Obersalzberg und in der Neuen Reichskanzlei sind voller bieder-volkstümlicher Reminiszenzen, versetzt mit einem Schuß jener Mondänität, von der er in seiner Jugend träumte, und hinaufgesteigert in überpersönliche Dimensionen. Man hat von der "Mythologisierung durch Raumwirkung", dem "Pathos der Distanz" und vom "Sargdesign" gesprochen, das vor allem den Besucher der Neuen Reichskanzlei einschüchterte, wenn er die 150 Meter lange und 12 Meter breite Marmorgalerie durchschritt, bis er in das Allerheiligste, ins riesige "Arbeitszimmer des Führers" eintrat, "in dem der ‘Führer’, der Gott saß, dem man sein eigenes Ich als Opfergabe darbringen mußte". (Sonja Günther)

Doch selbst in diesem ganz auf Einschüchterung berechneten nationalsozialistischen Sakralbau signalisierte noch eine effektvoll eingesetzte Ornamentik dem gewöhnlichen Nationalsozialisten, daß auch er an der Aura der Macht teilhatte. Der Führer nahm sein Opfer an, tötete ihn aber nicht, sondern entließ ihn zur Erfüllung vermeintlich großer Aufgaben, entriß ihn seiner Nichtigkeit und erhöhte ihn. Daß diese Erhöhung, respektive Erlösung im Zeichen von Zielen erfolgen konnte, die jedes humane und moralische Pathos vermissen ließen, signalisierte den endgültigen Eintritt in die zivilisatorische Eiszeit.

So tritt uns Hitler als Projektion eigener, massenhafter Wünsche entgegen, als des Spießbürgers wahr gewordener Traum vom Übermenschen und vom Bezwinger der Realität, die uns beleidigt, als "Spiegel unserer Träume und unserer Gier" (Hans-Jürgen Syberberg). Von einem Kunstwerk, das "Hitler" tatsächlich begreift, ginge daher die Gewalt einer lebendigen Medusa aus, die selbst den Rahmen der Ausstellung "Gewalt in der Kunst" sprengen müßte.


 
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