© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


CD: Lene Marlin
Explosive Mischung
Holger Stürenburg

Kaum volljährige, postpubertäre Schönheiten sind derzeit der neueste Schrei im internationalen Musikgeschäft. Was mit Britney Spears im Frühjahr diesen Jahres begann, mit Christina Aguliera im Sommer fortgesetzt wurde und derzeit mit dem Zahnspangen-Rapquartett Fishing for Compliments seinen unsäglichen Höhepunkt findet, erhält nun endlich seinen ersten ernstzunehmenden Beitrag. Bei der 19jährigen Norwegerin Lene Marlin zeigt sich deutlich, daß sich Jugend und Schönheit durchaus mit interessanter, intelligenter Popmusik auf hohem Niveau vertragen.

Geht es bei Britney um textliche Plattheiten wie "Stoß mich, Säugling, noch einmal", dargeboten zu bumsenden Disco-Rhythmen im Wunderland der Implantologie, oder bei F.f.C. um die gotteslästerliche Vergewaltigung eines Peter-Kraus-Klassikers, so hat Lene Marlin diesen allen einiges voraus: Sie sieht nicht nur hübsch aus, besitzt nicht nur eine klare, helle Stimme, sondern schreibt auch alle ihre Lieder selbst, unterstützt die Musiker bei Arrangement und Inszenierung ihrer gitarrenlastigen Folk-Kompositionen und verleiht ihren Texten, trotz ihres jungen Alters, einen enormen Tiefgang zwischen – wie es im Presseinfo heißt – "heiteren, endlosen Sommernächten" und "langen, melancholischen Wintertagen".

Ihre Debüt-CD "Playing my Game", die in diesen Tagen in Deutschland vorgestellt wird, enthält zehn sehr gelungene Lieder auf akustischer Basis, durchaus poporientiert, und immer streng im vorherrschenden Stil der Neunziger produziert. Lene schwärmt davon, wie im Studio ihre "eigenen einfachen Popmelodien" in "zeitgenössische Popsongs" verwandelt wurden. Diese "einfachen Melodien" hat sie nur mit ihrer Akustikgitarre komponiert, und es gelingt ihr und ihren Produzenten tatsächlich, diese zu radioverträglichen Liedern zu gestalten.

Die Grundstimmung von "Playing my Game" ist fast durchgehend balladesk, ruhig und getragen. Die einzelnen Lieder leben von ihrer Intensität, ihrer explosiven Mischung aus beabsichtigter kompositorischer Simplizität und marktkompatibler Gestaltung. Beim Hören von "Playing my Game" kommen Vergleiche mit Tanita Tikaram auf, jener in Münster geborenen Britin, die vor zehn Jahren mit sinnlichen Folkballaden der Sorte "Twistin‘ my Sobriety" Furore machte.

Aber ganz so verschlafen wie Tanita und deren Geburtsstadt wirkt Lene natürlich nicht: Die zweite Singleauskoppelung "Sitting down here", mit der die 19jährige nach ersten Toperfolgen in Norwegen, Schweden und Italien nun auch Deutschland begeistern möchte, klingt wesentlich aufgeweckter und peppiger als das meiste, was ihre Kolleginnen in Zeiten des "Neo-Folk" zur letzten Dekadenwende so präsentiert haben.

Textlich dreht sich "Playing my Game" um Liebe, Romantik, Alltagserlebnisse; manche Lieder handeln – wie Lene sagt – über Dinge, die sie in der Zeitung gelesen hat. Es ist zwar noch nicht abzusehen, ob Lene Marlin kommerziell ähnlich erfolgreich sein wird wie ihre gleichaltrigen Kolleginnen. Die Voraussetzungen dafür sind aber günstig. So hat Virgin Records die Vermarktung der jungen Sängerin zielgruppengerecht auf den Teeniemarkt zugeschnitten. Vor allem aber ist Lene Marlin an Talent, Stimme und Sensibilität den Britneys und Christinas dieser Welt um einiges überlegen.


 
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