© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/99 03. Dezember 1999


Schlager trifft Rap: Der Pakt zwischen den "Fantastischen Vier" und Howard Carpendale
Mädchen, Mütter, Marotten
Moritz Schwarz

Schnulzenkönig Howard Carpendale über seine Musik "hops zu nehmen", scheitert an der Person Howard Carpendales. Bei einer Pressekonferenz zum Auftakt seiner Tournee in Berlin erwies sich der Schwarm aller Dauerwellen als ernsthafter, bescheidener und natürlicher Mensch, ohne Star-Allüren, Selbstdarstellung und Arroganz: Polemik unangebracht.

Kein Herr über alle Hausfrauen und Jungdummchen präsentierte sich hier, sondern jemand, der in seinem Tun Ernsthaftigkeit bewahrt. Das wurde deutlich, als er begann, über seine Hörer zu sprechen. Die über die Eskapaden mancher seiner Fans schmunzelnden Journalisten mahnte er: "Hinter all dem stecken oft traurige menschliche Schicksale."

Da war zum Beispiel diese Frau, die sich ernsthaft einbildete, seine Mutter zu sein. Verwirrte Menschen, die glauben, er spräche im Radio ganz persönlich mit ihnen, und später zutiefst enttäuscht sind, wenn er sie während des Konzertes "nicht mehr kennt".

Auch das Mädchen, das gegenwärtig Vaterschaftsklage gegen ihn führt, tut ihm letzlich leid: "Für mich geht die Angelegenheit vorüber, dieses Mädchen aber wird doch für die Leute immer nur ’die mit der Howard Carpendale-Geschichte‘ bleiben. Was jetzt Publicity ist, wird ihr später zum Fluch werden."

Erschüttert ist er auch, wenn die Leute ihm in Briefen seitenweise ihr ganzes Leben offenbaren. Manche schreiben sogar: "Lieber Howie, wahrscheinlich wirst Du diesen Brief ja gar nicht lesen, dennoch danke, daß ich es Dir erzählen durfte!" Menschen, die ihre Einsamkeit klar erkennen – kein Entkommen in irgendeine Form von Wirrnis: Verfluchte. Freilich sind all das Ausnahmen.

Unterschiede zwischen seinem Publikum in Ost und West beobachtet Carpendale durchaus. Äußerst beeindruckt hat ihn ein Konzert im Kulturpalast in Dresden, bei dem die Menschen in tiefstem Ernst bis zum Schluß still gelauscht hätten, um dann am Ende alle Schleusen zu öffnen und im Schlußapplaus ganz aus sich herauszugehen. Ebenfalls nur im Osten habe er es erlebt, daß sein Publikum an einzelnen Stellen seiner Lieder Szenenapplaus gegeben hat. Belustigt, aber auch befremdet stellt er in jüngster Zeit allerdings eine zunehmende Hysterie beim Publikum fest, "ähnlich wie bei den Boy-Groups". Sogar Damenunterwäsche werde ihm nun schon auf die Bühne geworfen.

Ein gestörtes Verhältnis zur eigenen Musik diagnostiziert Carpendale bei vielen Deutschen: Etwas sei "falsch gelaufen" in Deutschland, meint er und erkennt die deutsche Entfremdung, die er "Englischwahn" nennt. Schweren Herzens spricht er sich für eine Quotenregelung zum Schutz der deutschen Musik aus, wie die Franzosen es vorgemacht haben. Zwar sei er gegen jeden Zwang, irgend etwas müsse man aber tun!

Seine volle Sympathie gilt der deutschen Nachwuchsmusik. So entsprach er gerne der Anfrage der Fantastischen Vier aus Stuttgart nach einem selbstironischen Gastauftritt in ihrem neuesten Video "Le Smou", in dem ein Insasse einer Irrenanstalt (Smudo), mit einer gelben Rübe bewaffnet, glaubt, er sei Howard Carpendale. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt.

Die JUNGE FREIHEIT fragt sich nun natürlich: Was bewog die Urväter des Deutsch-Rap zu ihrem Pakt mit dem deutschen Schlager? Und: Wird Carpendale damit in den deutschlandweiten Reimekrieg der beiden Rap-Formationen RHP/3P (Frankfurt) und Die Fantastischen Vier hineingezogen? Die JF sprach mit allen Beteiligten: Howard Carpendale, Smudo von den F4 und Moses Pelham von 3P, der 1997 TV-Moderator Stefan Raab (TV-Total) die Nase brach.

Herr Carpendale, was sagen Sie dazu, daß Sie offenbar immer schon die geheime Obsession der "Fantastischen Vier" waren?

Carpendale: Oh, ich glaube nicht.

In dem Video sind Sie die Traumvorstellung eines Verrückten! Was sagen Sie dazu?

Carpendale: Ja, das kommt schon vor. Im Ernst: Vorhin hatte ich ja dargelegt, was für traurige Fälle es gibt.

Was will uns dieses Video sagen? Daß der deutsche Schlager von jedem Irren mit einer Karotte zu bewältigen ist?

Carpendale: Nein, es war ein Cross-over. Ich bin immer für Interaction.

Roberto Blanco hat in puncto Rap-Gastauftritt vorgelegt. Nehmen die Jungs Sie auf die Schippe und machen die alten Herren zum Pausenaugust?

Carpendale: Nein. Ich habe die Fantastischen Vier stets sehr geschätzt. Ich fühlte mich geehrt. Es war sehr nett.

Sind Sie als ein Grandsigneur deutscher Musik auf "Ihre" Jungs stolz?

Carpendale: Ja!

*

Herr Pelham, wenn es hart auf hart kam, holte sich Dr. Richards von den echten "Fantastischen Vier" im Kampf gegen das Böse durchaus mal Hilfe von Spiderman. Ist Howard Carpendale nun der Vebündete der "Fanta 4" gegen Sie?

3P: "—"

Muß Howard Carpendale sich auf einen Nasenstüber gefaßt machen?

3P: "—"

Ihren Taten sowie Ihren Antworten zufolge waren sie früher wohl eher ein Anhänger des unglaublichen Hulk?!

*

Aha! Howard Carpendale ist also die lang gehegte heimliche Obsession der "Fanta 4".

Smudo: Ich kenne eine Menge Carpendale-Songs, meine Mutter war ein großer Fan von ihm. Obsession? Schlagertexte finde ich stellenweise interessant.

Dann sind vielleicht die "Fanta 4" die geheime Obsession Howard Carpendales?

Smudo: Könnte ich ihm nicht verdenken.

Was soll uns dieses Video sagen? Ein ausbrechender Wahnsinniger – sind das die Folgen des deutschen Schlagers?

Smudo: Ich spiele einen Entsprungenen, der herumirrt und sich dabei als Superstar auf seinem eigenen Konzert wähnt. Bei seiner Rückkehr in die Klapse feiern ihn seine Mitinsassen, die ihn als Howard erkennen. Die Frage ist, ist es Howard, der denkt, ich sei ich, oder bin ich es, der von meinen Freunden als Howard erkannt wird. Wer ist irre: der Irre oder derjenige, der dem Irren folgt – oder derjenige, der dem Irren dumme Fragen stellt.

Zuvor wurde ja schon Roberto Blanco von Lottoking Karl zu Rap "verwurstet". Macht Ihr Jungvolk Euch über die alten Herren lustig, oder ist das eine echte Hommage?

Smudo: Außer Howard stand für uns noch Udo Jürgens zur Debatte, nicht weil sie Schlager machen, sondern weil sie meines Erachtens nicht nur für Musik, sondern auch für eine Zeit und einen Stil stehen, der Klasse hat.

Ist Howard Carpendale die geheime Vergeltungswaffe im apokalyptischen Ringen zwischen 3P und F4?

Smudo: Ganz genau! Wer hätte gedacht, daß die JUNGE FREIHEIT dieses Geheimnis als erstes lüftet. Gratulation.


 
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