© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/99 10. Dezember 1999


Parteispenden: Die Schweinchen-Schlau-Mentalität
Fehler im System
Klaus Kunze

Wieder wimmelt es in unserem Lande von Verfassungsfeinden. Laut Verfassungsschutzbericht erkennt man sie unter anderem daran, daß sie demokratisch gewählte Politiker als bestechlich und andere Parteien als korrupt bezeichnen. Mit dieser Taktik wollen sie das Vertrauen der Bevölkerung in unser politisches System untergraben. In den letzten Tagen und Wochen vergeht kein Tag, an dem wir ihr hinterhältiges Wirken nicht in Presse, Funk und Fernsehen beobachten.

Tatsächlich sind unsere stets Skandale suchenden Journalisten ebensowenig Verfassungsfeinde wie jene Objekte nachrichtendienstlicher Neugier, die schon immer behauptet haben, was heute jedermann offenbar ist: Vom einfachen Mann bis in die Spitzen der Parteien regiert dieselbe Schweinchen-Schlau-Mentalität. Nur fängt bei denen da oben die Käuflichkeit bei mehr Nullen vor dem Komma an als bei vielen hier unten. Liegt der Fehler im System – womöglich gar in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FdGO)? Vor 40 Jahren gab es in Deutschland auch die FdGO, aber wenig Korruption. Dagegen erschütterte im Juni 1914 der Kölner Polizeiskandal das Reich: Hohe Beamte ließen es sich in Cafés auf den Ringen bei "Inspektoren-Frühstücken" wohl sein und nahmen Geschenke von Wirten an, die auf amtliches Wohlwollen hofften. Sie wurden abgeurteilt. Der Chef der Braunschweiger Stadtwerke nahm dagegen freiwillig den Hut, als Anfang dieser Woche unter der Überschrift "Edelsause" bekannt wurde: Er hatte seinem Amtsvorgänger eine Abschiedsfeier für 49.000 Mark auf Staatskosten spendiert. Aus der Braunschweiger SPD stammt auch Gerhard Glogowski: Unlängst wollte er die Republikaner und die NPD nicht unterscheiden, das sei ihm, wie "Scheiße nach Geruch zu sortieren". Auch bei der Annahme von Gefälligkeiten bewies er ein feines Näschen.

Solche Vorkommnisse zeigen uns nur, wie Menschen immer waren, sind und sein werden, wenn man sie nur läßt. Das gilt auch für Helmut Kohl. Jenseits finanzieller Vorteile stärkte er unter der Hand die Macht seiner Partei – und damit seine eigene Macht. Was sich da in den heiligen Hallen unserer Demokratie eingenistet hatte, folgte denselben Eigengesetzlichkeiten von Macht und Geld: Diese sind immer dann unzertrennlich, wenn man für Geld alles haben kann und außer Geld nichts gilt. Das System Kohl beruhte auf der maßgeblichen Kontrolle des Geldflusses: Vom Steuerzahler fließt es in die Staatskassen, und von dort ergießt es sich wie aus einem Sieb in unzähligen Rinnsalen über die Häupter der Getreuen: Von den hochdotierten Chefs der Parteistiftungen bis hin zum subalternen Verfassungsschutz-Politologen gibt es Lohn und Brot. Druckereien freuen sich über Staatsaufträge mit Regierungswerbung ebenso wie Malereibetriebe, die – Erwin Scheuch zufolge – die Kölner Brücken abwechselnd je nach Parteibuch streichen dürfen. Ein legales System von Belohnungen für vorauseilenden Gehorsam perpetuiert die Macht derer, die über das Geld jeweils verfügen – bis die anderen kommen und es ebenso machen.

Unsere Verfassungsväter mißtrauten dem Staat tief und bauten vielfältige Kontrollen und Sicherungen gegen seine Macht ein. Vor den politischen Parteien hatten sie keine Angst. Dem totalen Staat einer Partei waren sie entronnen, den totalen Parteienstaat konnten sie sich nicht vorstellen. "An der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken" sollten die Parteien, schrieb man ihnen ins Grundgesetz. Die Großparteien sind aber zum Staat im Staate geworden und entziehen sich der demokratischen Kontrolle. Durch Wahllisten halten sie sich ihre Abgeordneten in Abhängigkeit.

Heute sind sie gewaltige Geld-Umverteilungsapparate mit Quasimonopol der politischen Willensbildung. Daß ihr Machterwerb und -erhalt Sache der Finanzen und nicht der Argumente ist, zeigt der Erfolg von Freys DVU nicht weniger als derjenige von CDU und SPD. Fürs Grundsätzliche kommt es da auf ein paar hunderttausend Mark aus schwarzen Kassen auch nicht mehr an: Wo mit kleinen Geschenken oder großem Geld politische Entscheidungen gekauft werden oder doch Entscheidungsträger dem Spender geneigt gemacht werden, wird die Politik der demokratischen Kontrolle entzogen. Nicht mehr nach Willen der Mehrheit wird dann regiert, sondern nach Willen der Geldhabenden, die noch nicht einmal zum Staatsvolk zählen müssen. Ihr Geld hilft den ihnen geneigten Machthabern wiederum bei Machterwerb und -erhalt, zum Beispiel im Wahlkampf oder zu ihrer persönlichen Versorgung.

Dieser Teufelskreis kann durchbrochen werden, indem der demokratische Einfluß gestärkt und das große Geld in seine Schranken verwiesen wird: Inspektorenfrühstücke und Edelsausen darf ein Amtsträger nicht annehmen; Spenden über 10.000 Mark sollten Parteien künftig nicht mehr annehmen dürfen. Sie müßten sich vielmehr selbst finanzieren, ohne Großspenden und ohne Steuergelder. Über lukrative Stellen- und Postenbesetzungen muß wieder Befähigung bei Beamten und Direktwahl bei hohen Politikern treten.

 

Klaus Kunze ist Rechtsanwalt in Uslar und Autor des Buches "Der totale Parteienstaat – Der Weg aus der Krise des deutschen Parteiensystems", Esslingen 1994


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen