© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/99 10. Dezember 1999


Südtirol: Der "Mordfall Waldner" geht in seine nächste Runde
Freispruch aufgehoben
Jakob Kaufmann

Überraschend hat in der vorigen Woche der Kassationsgerichtshof in Rom in einem Revisionsverfahren den Freispruch Peter Paul Rainers vom vorigen Jahr aufgehoben. Der ehemalige Bildungsoffizier des Südtiroler Schützenbundes und Vordenker der Freiheitlichen in Südtirol war am 11. August 1997 erstinstanzlich vom Landesgericht in Bozen zu zweiundzwanzigeinhalb Jahren Haft wegen des Mordes an dem Südtiroler Landtagsabgeordneten Christian Waldner verurteilt worden (JF berichtete). In zweiter Instanz wurde er vom Oberlandesgericht in Trient am 2. Dezember 1998 freigesprochen.

Rainer hatte die Tat wenige Tage nach dem gewaltsamen Tod seines langjährigen politischen Weggefährten Waldner in einem Verhör gestanden. Bei einer kurzen Begegnung mit seiner Familie am Morgen nach der Nacht, in der er gestand, nutzte er die Gelegenheit, den Angehörigen mitzuteilen, daß er unschuldig sei. In einem ausführlichen Schreiben aus der Haft kündigte er am 8. April 1997 an, zu Beginn des Prozesses das Geständnis öffentlich zurückzuziehen. Das widerrufene Geständnis bleibt wohl das einzige belastende Moment gegen den ehemaligen Volkstumspolitiker. Die Richter berieten sechs Stunden nach einer dreistündigen Verhandlung und entschieden, daß eine zweite Berufungsverhandlung am Oberlandesgericht in Brescia stattfinden müsse. In den Urteilsbegründungen der vorigen Berufungsinstanz, des Trienter Oberlandesgerichts, fanden sie wohl Mängel.

Die Begründung des neuen Urteils "im spektakulärsten Mordfall der Südtiroler Kriminalgeschichte" wird erst in einigen Wochen hinterlegt und damit öffentlich. Dann wird sich erst klären, welche Kritikpunkte der Anklage, der Nebenkläger und der Verteidigung darin berücksichtigt wurden. Nicht nur die Anklage, vertreten durch den römischen Generalstaatsanwalt Gianfranco Viglietti und die Vertreter der Familie des Ermordeten, die Rechtsanwälte Paolo Fava und Alberto Valenti, sondern auch die Verteidiger Roland Riz und Franco Coppi haben eine Urteilsaufhebung gefordert: Letztere erreichten die Annullierung des zweiten Urteils von Trient, in dem es um Rainers illegalen Waffenbesitz ging.

Als Schütze hatte er sich im Herbst 1996 ein Gewehr gekauft. Riz und Coppi, der kürzlich zwei Freisprüche für den ehemaligen Ministerpräsidenten Italiens, Giulio Andreotti, erwirkt hatte, verlangten aber die Bestätigung des Trienter Urteils im Mordfall. Sie argumentierten, daß die Richter nur bedeutungslose Sachverhalte in der Urteilsbegründung ausgespart hätten.

Die Anklage kritisierte jedoch, daß die Richter in Trient nicht genau erklärt hätten, warum das Geständnis falsch sein mußte. Es wären darüber hinaus Aussagen von Zeugen der Anklage für unglaubwürdig erklärt worden, ohne dies aber hinreichend zu begründen.

In der Tat sind in dem Urteil Widersprüche enthalten, mit denen auch die Verteidiger Rainers nicht zufrieden sein dürften. So wurde der Angeklagte zum Beispiel wegen "Besitzes der Mordwaffe" verurteilt. Für diese Behauptung wurde nie ein Nachweis erbracht. Vielmehr sagte derjenige, der Peter Paul Rainer das Gewehr verkauft hatte, bereits im ersten Prozeß als Zeuge aus, daß dessen Waffe defekt war. Das Gewehr jedoch, das die Polizei vor Gericht als Tatwaffe präsentierte, wies keine mechanischen Mängel auf. Zudem ergaben ballistische Gutachten, daß die Kugeln, die Waldner töteten, eine ungeheure Durchschlagkraft hatten. Diese besondere Munition wurde aber nie gefunden. Vielleicht fand die Polizei die Tatwaffe, Rainers Gewehr jedoch nicht. Das zweifelhafte Beweismittel brachten der Bozener Staatsanwalt Tarfusser und seine Ermittler in den ersten Prozeß gegen Rainer, der im Juli und August 1997 in Bozen stattfand. Der zeigte nach dem Urteil von Rom nun Siegerlaune. Er äußerte in Interviews, daß der Freispruch absolut abwegig gewesen sei, und wies weit von sich, den damaligen Tatverdächtigen in der Nacht des Verhörs unter Druck gesetzt zu haben.

Ungereimtheiten um Rainers Geständnis

Der Freispruch von Trient kam unter anderem dadurch zustande, daß die Verteidigung mit dem Tonbandmitschnitt jenes Verhörs punkten konnte. Der Aufnahme nach zu urteilen, beantwortete Rainer hauptsächlich geschlossene Fragen der Ermittler mit ja oder nein. Er legte in der Verhörnacht also kein detailliertes Geständnis ab, wie die Anklage glauben machen wollte.

Wie Rainer aber überhaupt dazu kam, einen Mord zu gestehen, den er nicht begangen hat, bleibt für die Öffentlichkeit ein Rätsel, weil er in einem Fernsehinterview während der Untersuchungshaft sein Geständnis wiederholt hat. Dabei gab er die Details, die die Fragen der Ermittler enthielten, in freier Rede wieder. Wenn auch die Detailtreue verunsichert, so entlastet ihn wiederum die Art und Weise, wie er die Vorgänge schildert. In der Fernsehaufzeichnung wirkt Rainer aufgedunsen. Er spricht, als beträfe ihn das Erzählte gar nicht, was zutreffend ist, wenn er nicht der Mörder ist. Der Südtiroler Journalist Artur Oberhofer führt in seinem Buch "Mordfall Waldner" Motive für das Geständnis an. Er zitiert dazu Rainers Brief vom 8. April 1997 , in dem dieser auch ankündigte, das Geständnis zu Prozeßbeginn zurückzuziehen. Darin schildert der Verhörte, was ihm in jener Nacht durch den Kopf ging. Ausschlaggebend schien demnach zu sein, daß bereits der Befehl zu seiner Verhaftung vorlag, bevor er überhaupt verhört worden war. Es sei ihm nur noch darum gegangen, Schlimmeres, wie eine Anklage wegen eines politischen Auftragsmordes und zusätzliche Hausdurchsuchungen bei Vertretern des volkstumspolitischen Lagers, zu verhindern.

Rainer schildert in einem weiteren Papier, das Oberhofer zitiert, den anfänglichen Verhördialog zwischen ihm und den Ermittlern. Demnach befragten sie ihn zunächst gar nicht zu dem Mord, sondern zu den Beziehungen der Freiheitlichen Partei Österreichs zur sezessionistischen Lega Nord (JF berichtete). Nach Rainers Darstellung war dies ein Grund, anzunehmen, daß die Polizei dem Mord am Landtagsabgeordneten Waldner eine politische Dimension zu geben beabsichtigte.

Der Ermordete hatte die Partei der Freiheitlichen in Südtirol mitbegründet und war nach einem Ausschluß Alleinvertreter einer Splitterpartei. Im Januar 1997 wurde Waldner zum Verantwortlichen für das Padanien-Referendum der Lega Nord in Südtirol ernannt.

Seinen ehemaligen Weggefährten bei den Freiheitlichen und bei den Schützen reicht Rainers Darstellung nicht aus. Sie haben in einer ersten Reaktion nach dem neuen Urteil sogar angekündigt, Rainer nicht mehr zu unterstützen. Stephan Gutweniger, Bundesmajor der Südtiroler Schützen, warf seinem ehemaligen Bildungsoffizier wenige Wochen nach dessen Freilassung in einem Gespräch mit der Neuen Südtiroler Tageszeitung vor, mehr zu wissen, als er sage. Anhaltspunkte, die ihn zu dieser Vermutung veranlaßten, nannte er jedoch nicht. In Schützenkreisen heißt es seither, daß man nicht mehr wisse, wem man glauben solle. So bestätigte sich auch in diesem Fall die Feststellung des Journalisten Oberhofer: "Der spektakulärste Mordfall der Südtiroler Kriminalgeschichte sollte das Land verändern."

Zumindest das volkstumspolitische Lager ist verunsichert. Die vielen Fragen, die nach dem Freispruch von Trient blieben, vor allem die nach dem wahren Mörder, bleiben vorerst unbeantwortet. Ungewiß ist auch das weitere Schicksal Peter Paul Rainers, der sich nach seiner Freilassung aus der Politik zurückgezogen hat: Sobald die Begründung des neuen Urteils hinterlegt ist, kann er wieder in Untersuchungshaft genommen werden. Bis dahin werden noch einige Wochen vergehen, denn das Kassationsgericht muß detailliert darstellen, welche Punkte in der sechsstündigen Beratung kritisiert wurden. Es können bloße Verfahrensangelegenheiten des vorigen Prozesses in Trient, aber auch dort vorgebrachte Beweise sein, die die Richter für unrechtmäßig erklärt haben.

Der zweite Berufungsprozeß soll im Frühsommer 2000 in Brescia eröffnet werden. Der Ausgang ist offen, gerade in einem Verfahren mit politischer Dimension wie in diesem Fall gegen einen ehemaligen Südtiroler Volkstumspolitiker. Staatsanwalt Cuno Tarfusser polemisierte jüngst wieder gegen die "Komplott-Theorie" der Verteidigung, die aber nie von einem politischen Prozeß gesprochen hat. Den Gedanken, daß im Fall Rainer manipuliert wurde, haben vielmehr Zeugenaussagen in den ersten beiden Prozessen nahegelegt.

Undurchsichtige Aktionder italienischen Polizei

Tarfussers Rhetorik erinnert stark an die rechter italienischer Medien wie der Tageszeitung Alto Adige nach der Verhaftung von Franz Frick und Dieter Sandrini im Februar 1987. Das Blatt schrieb damals: "Jetzt scheint alles viel einfacher. Die schwerwiegenden Mutmaßungen über die Verwicklung der Geheimdienste und somit indirekt des italienischen Staates in der Strategie der Spannung sind kläglich gescheitert." Wie das Mordopfer Christian Waldner gehörten sie, ehemalige Heimatbundmitglieder, der Initiative der "Durchsichtigen" in der Südtiroler Volkspartei (SVP) an. Diese Gruppe hatte sich besonders der Landeseinheit Tirols verschrieben. 1986 organisierten sie auf Initiative Waldners zum "Tag der Streitkräfte" am 4. November eine Protestaktion. So hängten sie zusammen mit weiteren Anhängern ihres Kreises schwarze Fahnen aus den Fenstern. Die Polizei beschlagnahmte nach der Aktion den schwarzen Stoff.

Am 24. Januar 1987 wurden auf zwei italienische Politiker, Andrea Mitolo und Remo Ferretti, Anschläge verübt. Die dafür verwendeten Rohrbomben waren in dasselbe schwarze Tuch eingewickelt, das die Polizei zuvor bei den "Durchsichtigen" beschlagnahmt hatte. Der Stoff wurde schließlich als Beweis im Prozeß gegen die Angeklagten Frick und Sandrini verwendet. Die Polizei legte ihnen noch weitere Gewaltdelikte zur Last, unter anderem auch ein Attentat auf das Hotel Palace in Meran am 30. Dezember 1986, in dem Giulio Andreotti abgestiegen war. Trotz einer wenig schlüssigen Beweiskette wurden die beiden schließlich rechtskräftig verurteilt.


 
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