© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/99 17. Dezember 1999


Multikulturalismus: Eine hessische Kleinstadt kämpft um ihre Identität
Lupo und der Muezzin
Werner Olles

Mitten im idyllischen – und fiktiven – Städtchen Siblin-gen will ein Türkisch-Islamischer Verein eine Moschee mit einem 22 Meter hohen Minarett, von dem aus der Muezzin die Gläubigen zum Gebet ruft, bauen. "Lupo", seit vielen Jahren stellvertretender Bürgermeister und Bauamtsleiter, steht vor einem großen Problem, denn die überwiegende Mehrzahl der Einwohner will kein muslimisches Gebetshaus, weil sie Angst vor islamischen Fundamentalisten hat, die sich hier versammeln könnten, zumal die geplante Moschee an ein Grundstück grenzt, auf dem das schon seit langem versprochene Heim für den hiesigen Karnevalsverein errichtet werden soll. Schließlich wird die Stimmung noch zusätzlich angeheizt, als türkische Geschäftsleute in der Innenstadt gezielt in Konkurs gegangene Läden übernehmen. Als eines Nachts ein Lebensmittelgeschäft in Flammen aufgeht, eskaliert die Situation erst richtig ...

Anfang Dezember flimmerte diese Provinzposse bei "arte", dem hochgelobten deutsch-französischen Kultursender, über den Bildschirm. Helmut Dietl hat das Stück produziert, Martin Lüttge spielte den "Lupo", und in der Tat wirkte der Film auf den Zuschauer zunächst wie eine der üblichen Kleinstadt-Satiren. Daß da jedoch letztlich ein bißchen mehr dahinterstecken könnte, wurde nach aufmerksamer Lektüre der Lokal- und Regionalpresse bald klar.

Dagmar Wagner, die Regisseurin von "Lupo und der Muezzin" ist nämlich in Wächtersbach, einer Kleinstadt am Fuße des Spessart, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Frankfurt am Main gelegen, aufgewachsen. Und in eben diesem durchaus noch idyllisch zu nennenden Wächtersbach mit seinen gut 11.000 Einwohnern, wovon rund 1.000 Ausländer sind und davon wiederum etwa 800 Türken – die allesamt bestens ausgestattet sind mit den reichlichen Segnungen der fortschrittlichen deutschen Sozialsysteme –, schwelt seit Juni 1993, als der Türkisch-Islamische Verein seinen Bauantrag für die Genehmigung zur Errichtung einer Moschee einreichte, ein hartnäckiger Streit um dieselbe.

Die Stadt Wächtersbach in Gestalt ihres Bürgermeisters Rainer Krätschmer (SPD) und seines Stellvertreter, des Ersten Stadtrats Wilfried Wilhelm (SPD), der auf den recht außergewöhnlichen Spitznamen "Lupo" hört, will den Bau der Moschee unbedingt verhindern. Mit der absoluten Mehrheit der Sozialdemokraten in der Stadtverordnetenversammlung wurde der Antrag abgelehnt, inzwischen sind die verfeindeten Parteien vor das Verwaltungsgericht gezogen, entschieden ist bis jetzt aber noch nichts.

Nun bekundete die Regisseurin Dagmar Wagner zwar, keinen Dokumentarfilm über die Geschehnisse in Wächtersbach gedreht zu haben - was ja auch der Wahrheit entsprach, denn es war ein Spielfilm - aber den Plan in ihrer Heimatstadt zu drehen, mußte sie schon bald aufgeben. Die Kommunalpolitiker Krätschmer und Wilhelm charakterisierten das ihnen zur Einsichtnahme vorgelegte Drehbuch als "unter die Gürtellinie zielend" und verweigerten dem Filmteam die Dreherlaubnis. Gedreht wurde daher in Freudenberg im Sauerland. Die Wächtersbacher, so begründeten die Sozialdemokraten ihre ablehnende Haltung gegenüber der Filmemacherin, würden "unmöglich gemacht, veralbert, als korrupt und primitive Fremdenfeinde dargestellt". Dabei gehe es ihnen doch überhaupt nicht darum, ihren muslimischen Mitbürgern den Gottesdienst zu verbieten. So steht dem Verein, der rund 150 Mitglieder hat, in einer Schule im Stadtteil Neudorf ein Raum als Gebetshaus zur Verfügung, auch sei man mit einer Renovierung dieses Gebäudes einverstanden. Eine Moschee solle allerdings in Wächtersbach nicht entstehen, weil die Mehrzahl der alteingesessenen Bürger dies nicht verstehen würde und zudem das betreffende Grundstück in einem Gewerbegebiet liege, in dem religiöse Einrichtungen nicht erlaubt sind. In unguter Erinnerung ist hier auch noch, daß ein von türkischen Geschäftsleuten erworbenes Kaufhaus am Rande von Wächtersbach den kleinen Einzelhändlern in der Innenstadt sehr geschadet hat.

Der Erste Stadtrat hält dabei auch nicht mit seiner Befürchtung hinter dem Berg, daß Wächterbach mit dem Bau der Moschee ein "neues Wahrzeichen" bekommen würde, das "wir nicht brauchen". Aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet würden dann Muslime hierher strömen, und dies müsse verhindert werden: "Wir wollen nicht, daß noch mehr Türken nach Wächtersbach kommen."

Dagmar Wagner, die Regisseurin, nennt diese unzeitgemäß-standhafte Haltung der Wächtersbacher Sozialdemokraten politisch korrekt und mit großem volkspädagogischen Aplomb eine "Hetzkampagne" und "alltäglichen Rassismus". Was aber, wenn die verantwortlichen Kommunalpolitiker und die Bürger von Wächtersbach nur die Aussage des ehemaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Ausländerbeauftragten der ersten sozialliberalen Bundesregierung, Heinz Kühn (SPD), wörtlich genommen haben: "Wenn der Ausländeranteil sich der Zehn-Prozent-Marke nähert, wird jedes Volk rebellisch!"

Die Wächtersbacher bedenken jedenfalls die realitätsblinden Politiker und Kirchenleute mit ihren Gemeinplätzen über die angeblichen Vorteile multikultureller Gesellschaften inzwischen mit ätzendem Sarkasmus und bitterem Spott. Und tatsächlich genügt ja ein kurzer Blick in die nahegelegenen Großstädte Frankurt am Main und Offenbach mit ihren Ausländeranteilen von jeweils 30 Prozent, um die daraus erwachsenden Probleme zu studieren.

Daß Wächtersbach seine eigene deutsche Identität erhalten will, mag für Regisseure von Fernsehseifenopern unbekömmlich sein, für immer mehr Bürger stellt diese Haltung jedoch eine Kontrastfolie zu jener politisch korrekten, zeitgeistgerechten Zurichtung auf ein geschichts- und identitätsloses multikulturelles Allerweltsvölkchen dar.


 
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