© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/99 17. Dezember 1999


Asyl: Protestveranstaltung der Berliner Kirchengemeinde
Einblicke statt Durchblick
Moritz Schwarz

In der vergangenen Woche hatte die evangelische Kirchengemeinde der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg unter dem Dach "Asyl in der Kirche e.V." zu einer Protestveranstaltung unter dem Motto "Gegen den Mißbrauch des Asylbewerberleistungsgesetzes als Mittel zur Vertreibung von Flüchtlingen" eingeladen. Eine gute Gelegenheit, sich über die von Flüchtlingen und "Asylvertretern" häufig beklagten "menschenunwürdigen" Zustände im deutschen Asylwesen zu informieren.

In der hohen warmen Backsteinhalle der Historismuskirche hatte der Verein seitlich der Stuhlreihen große Informationstafeln mit angeheftetenTexten, Fotos und Dokumentenkopien aufgestellt. In der Mitte des Eingangs stand ein großer Tisch, darauf aufgehäuft ein Berg abgepackter Asyl-Lebensmittel. Beweismittel für den Vorwurf verdorbener Ware oder minderwertiger Produkte? Mitnichten, ein Pappschild wies alle Lebensmittel als einwandfrei und "zu verschenken" aus und ließ den unbedarften Besucher ratlos zurück. Auch die Fotowände ließen Fragen offen. Sie dokumentierten Verschmutzungen, Beschädigungen oder Stacheldrahtzäune um Kinderspielplätze. Aber offen bleiben die Fragen: wer, wann, wie, wo? Und gegen wen richten sich die Zäune? Schließlich unterliegen doch Asylbewerber lediglich der "Residenzpflicht" (Beschränkung auf den Landkreis), können also die Unterkünfte stets frei verlassen.

"Einblick statt Durchblick" war dann offenbar auch weiterhin das Motto, als die Veranstaltung begann. Da es sich bei der Mehrheit der Besucher um Flüchtlinge handelte, mußten alle Beiträge zweisprachig gehalten werden. Einer Redepassage in Deutsch folgte also die Übersetzung; freilich ein langatmiges Prozedere. Neben Gemeindepfarrer Quandt sprachen verschiedene Vertreter der Flüchtlingsarbeit. Schließlich erzählte ein schüchternes, vielleicht siebzehnjähriges Mädchen vom Balkan von ihren erschütternden Kriegserlebnissen. Zweifelsohne blieb niemand im Raum ungerührt, dafür aber weiterhin uninformiert. Schließlich durfte jeder, der mochte, vortreten, eine Kerze anstecken und ins Mikrofon sagen, was ihn zu diesem Thema bewegte. Zeit um die diversen Flugblätter zu studieren, die überall auslagen. Auch hier wurden wild so unterschiedliche Forderungen wie "ausreichende medizinische Versorgung" mit "Auszahlung der Bezüge in bar" oder gar Bleiberecht pauschal "für alle Altfälle" unter dem Stichwort "Menschenwürde" rubriziert. Nach der Methode "Hände hoch, Bargeld her oder Du bist ein Schwein!" wurde hier moralisch gewegelagert; zu erklären, was an der Vollverpflegung so schlimm ist, aber weitgehend unterlassen. Statt dessen ultimative Fundamental-Forderungen auf dem Rücken der Flüchtlinge, die lediglich ihre Situation und Probleme verschärfen. Mit Parolen wie "Aushungern" und "Vertreibung" werden die Flüchtlinge von ihrer Not und ihrer Entwürdigung nach und nach überzeugt. Am Schluß sprach ein Aktivist die Probleme im Detail an. Doch bald hatte man sich als Laie im Gewirr seiner Auskünfte verlaufen. Auch die Flüchtlinge hatten bereits jedes Interesse verloren.


 
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