© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/99 17. Dezember 1999


Kino: "Die neun Pforten" von Roman Polanski
Das geheimnisvolle Buch
Claus-M. Wolfschlag

Dean Corso (Johnny Depp) verfügt über alles, was für seinen Beruf vonnöten ist: So gute Fachkenntnisse wie Nerven, psychologisches Fingerspitzengefühl, scharfe Augen und eine gehörige Portion Skrupellosigkeit. Dean Corso arbeitet als Bücherjäger, das heißt: er sucht in den Nachlässen Verstorbener oder Erkrankter nach bibliophilen Kostbarkeiten, die er möglichst günstig erwirbt und für viel Geld an Antiquariate oder reiche Sammler weiterverkauft.

Corso ist somit der ideale Mann für Boris Balkan (Frank Langella), der Pläne zur Erweiterung seiner immensen Bibliothek hegt. Balkan, ein New Yorker Dozent für den Bereich der Dämonologie, sucht nach den beiden letzten Exemplaren des legendären satanischen Handbuchs "Die neun Pforten ins Reich der Schatten". Corso soll für ihn diese zwei Schriften ausfindig machen und mit jenem dritten Exemplar vergleichen, das sich seit jüngster Zeit in Balkans Bücherregal befindet.

Um herauszufinden, welches der drei Bücher eine Fälschung ist, sichert Balkan Corso umfangreiche finanzielle Mittel zu. Corso nimmt an und beginnt eine Reise auf den alten Kontinent, die ihn nach Toledo, Paris und Sintra führen soll. Als raffiniertem Profi mit detektivischem Spürsinn gelingt es ihm rasch, die gesuchten Bücher ausfindig zu machen und einzusehen. Überrascht entdeckt er kleine Unterschiede im Bildschmuck der drei auf den ersten Blick identischen Werke aus dem 17. Jahrhundert. Und je tiefer er in die Materie einsteigt, in um so gefährlichere Verstrickungen scheint er zu geraten.

Eine wildgewordene Millionärsgattin (Leno Olin) und ihre rabiaten Gehilfen haben sich ebenso an seine Fersen geheftet wie eine schöne junge Frau (Emmanuelle Seigner), die immer dann zur Stelle scheint, wenn Corso Hilfe braucht, aber nie das Geheimnis ihrer Identität preisgibt. Immer mehr Tote säumen Corsos Weg, der sich mehrmals ratsuchend an seinen Auftraggeber wendet, um von dort nur telefonisch mitgeteilte Durchhalteparolen zu erhalten. Der Suchende gerät schließlich in satanistische Zirkel und zu einer Burgruine, in der er seine Offenbarung finden soll ...

"Die neun Pforten" versteht es, Anachronismus in erstaunlicher atmosphärischer Dichte darzustellen. In der Welt der Glaubenslosigkeit trifft man auf religiösen Fanatismus, in einer Zeit von Internet und Multiplex führt er in die antiquiert wirkende Welt der verschiedenartigsten Bibliotheken, deren jeweilige Aura man förmlich zu riechen glaubt.

Der in Paris lebende Regisseur Roman Polanski hat sich 31 Jahre nach seinem Welterfolg "Rosemarys Baby" erneut mit dem Thema Satanismus auseinandergesetzt. Doch diesmal besitzt sein Streifzug in diese religiös angehauchte Subkultur stärkere Züge von Persiflage. Die satanistischen Zirkel werden als Treffpunkte minderbemittelter Kostümfetischisten und habgieriger Fanatiker gekennzeichnet. Dabei läßt "Die neun Pforten" zugleich zahlreiche Fragen offen: Ist die Figur des "Satan" wirklich der Antreiber des Bösen, der menschlichen Habgier? In Polanskis Film jedenfalls tritt sie nur als Lichterscheinung auf. Versteckt sich also dahinter etwa eine Anspielung auf das andere Wesen Luzifers, des "Lichtbringers", der jenseits aller Machtgelüste und schwarzer Romantik dem Suchenden die wahren Zusammenhänge des Lebens zu schildern in der Lage ist?

Auch Corsos Schutzengel, das geheimnisvolle Mädchen mit den verschiedenfarbigen Socken in ihren Turnschuhen, wirkt eher wie eine Elfe, denn ein Monstrum. Im Gegensatz zu den verhärmten, grausamen oder maskulinen Frauengestalten, denen Corso bei seiner Irrfahrt begegnet, verkörpert sie mit ihrer sanften Ausstrahlung das Wesen von Frau schlechthin. Kann das Böse so schön sei oder das Schöne so böse, fragt sich Corso, und seine Augen drücken jenes seltsame Erschrecken vor der Wirklichkeit aus, das man wenige Monate zuvor bereits bei Tom Cruise in Kubricks "Eyes Wide Shut" betrachten konnte.

Corso scheint von Luzifer schließlich auserwählt, hinter das Geheimnis des Lichts zu blicken; ein egoistisch erscheinender Mensch, ohne Glauben, nur von seinem Drang beherrscht, ohne viel humane Rücksicht an das große Geld zu gelangen. Herrschaft scheint für ihre Errichtung demnach keine Romantiker, keine Idealisten oder anbetungsvollen Diener zu brauchen. Ein glaubens- und emotionsloser "Technokrat" war vielleicht schon immer das brauchbarere Wesen an den Schalthebeln der Administration.


 
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