© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/97  28. März 1997

 
 
DDR-Häftlinge: Menschenrechtler beklagen Umgang mit Opfern des SED-Regimes
59 Pfennig Entschädigung

Heftige Kritik am Umgang mit den Opfern des SED-Regimes übten gleich mehrere Redner auf der Jahreshauptversammlung der Internationalen Gesellschaft für Menschrechte (IGFM) am vergangenen Wochenende im hessischen Königstein.

Ehemalige politische Häftlinge beklagten insbesondere die Höhe der Haftentschädigung. Sie betrage 300 Mark pro Haftmonat für Betroffene, die nach der Freilassung in den Westen kamen. Wer aus anderen Gründen unrechtmäßig in deutschen Gefängnissen einsitzen mußte, bekommt jedoch 600 Mark pro Hafttag. Nach Angaben der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) haben manche Opfer des SED-Regimes nach Abzug der Wiedereingliederungshilfen im Westen nur 59 Pfennig Entschädigung pro Hafttag erhalten. Die Vereinigung legte deshalb 1993 Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ein; das Verfahren ist immer noch anhängig. Die Organisation beziffert die Gesamtzahl der politischen Häftlinge nach 1945 in Mitteldeutschlands auf rund 200.000, von denen noch 90.000 leben. 37.000 Häftlinge sind der Vereinigung zufolge von der Bundesrepublik aus DDR-Gefängnissen freigekauft worden.

Der 1972 wegen der sozialliberalen Ostpolitik zurückgetretene Staatssekretär Günter Wetzel forderte, das SED-Vermögen zur Entschädigung der Opfer des SED-Unrechts einzusetzen. Der sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Siegmar Faust, nannte es "erbärmlich", wie Deutschland als eines der reichsten Länder der Welt mit den ehemaligen politischen DDR-Häftlingen umgehe. Argentinien zahle den Opfern der früheren Miliärjunta umgerechnet 4.200 Mark Entschädigung pro Haftmonat. Rußland gewähre ehemaligen politischen Gefangenen unter anderem deutliche Nachlässe bei der Miete und kostenlose Medikamente.

Entschieden wandte sich Faust gegen eine Schließung der Stasi-Akten und eine Generalamnestie. Vor einer Versöhnung mit den Tätern müsse die volle Wahrheit auf den Tisch. Zur Person des früheren Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe, der von der Stasi als IM "Sekretär" geführt wurde, sagte Faust: "Unsere Enkel werden es uns einmal nicht verzeihen, daß ein hochrangiger Stasi-Mann Ministerpräsident sein konnte".

Der Publizist und frühere Redaktionsleiter des ZDF-Magazins, Fritz Schenk, sagte, viele ehemalige SED-Funktionäre täten nach wie vor so, als hätten sie "der heiligstenSache der Menschheit" gedient. Er könne sich aber nicht mit jemand versöhnen, so Schenk, der "nicht zumindest eingesteht, daß der Sozialismus ein Irrtum von Anfang an ist – ich sage – ein Verbrechen von Anfang an ist". Der Bayreuther Politologe Konrad Löw kritisierte, daß im Herzen Berlins noch immer ein Denkmal für Karl Marx und Friedrich Engels stehe. Beide seien Vorkämpfer des Totalitarismus, Antisemiten, Hasser der slawischen Völker und Befürworter des Terrors gewesen.

Die IGFM feierte in Königstein ihr 25jähriges Bestehen. In den 70er und 80er Jahren setzte sie sich insbesondere für politisch und religiös Verfolgte im Ostblock ein. Heute unterstützt sie den Aufbau rechtsstaatlicher Gesellschaften in Osteuropa und leistet humanitäre Hilfe. Sie hat weltweit fast 30.000 Mitglieder in 22 nationalen Sektionen. (idea/JF)


 
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