© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/97  04. April 1997

 
 
Königswinter, Berlin oder Görlitz: Umzugsdebatte in der Landsmannschaft Schlesien
Nagelprobe für Politikfähigkeit
von Adrian Sobek

Wann ist mit der Verlegung der Geschäftsstellen der schlesischen Organisationen nach Schlesien zu rechnen? – Diese Frage wird inzwischen immer häufiger gestellt. Liegt doch ein rund 2.100 Quadratkilometer umfassender Streifen schlesischen Territoriums – mit den Städten Görlitz, Weißwasser, Hoyerswerda und Ruhland – im Freistaat Sachsen, also auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland. In der sächsischen Landesverfassung ist verbrieft, daß in Niederschlesien neben der Fahne und dem Wappen Sachsens auch die Fahne und das Wappen Niederschlesiens gezeigt wird.

Bald sechs Jahre nach dem Grenzbestätigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen haben sich die Verhältnisse zwischen den in Folge des Zweiten Weltkrieges aus ihrer Heimat vertriebenen Schlesiern und den dort jetzt ansässigen Polen normalisiert. Heimat-, Orts-, Kreis- und Landesgruppen der schlesischen Organisationen führen zahlreiche Veranstaltungen und Projekte in ihren Herkunftsorten durch. Zu den dort inzwischen heimisch gewordenen Polen besteht ein ganz überwiegend gutes Verhältnis. Das Interesse vor allem der jungen Polen an der deutschen Geschichte ihrer Heimat ist sehr groß.

Polnische Institutionen wiederum führen Tagungen, Seminare und Veranstaltungen durch, zu denen – vor einigen Jahren noch undenkbar – ganz selbstverständlich Vertreter der Vertriebenen eingeladen werden. Angesichts all dieser erfreulichen Entwicklungen ist zu fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, daß die einzelnen schlesischen Institutionen endlich ihren Sitz nach Schlesien verlegen. Wie ein Anachronismus mutet es an, daß sich im Jahre 1997 die Geschäftsstellen der Stiftung Kulturwerk Schlesien in Würzburg, der Stiftung Schlesien in Hannover, der Bundesgeschäftsstelle der Landsmannschaft Schlesien in Königswinter und der Schlesischen Jugend sowie des Bundes der Vertriebenen in Bonn befinden. Sicherlich ist es noch zu früh, im Falle der schlesischen Institutionen an Breslau zu denken, aber die Verlegung ins niederschlesische Görlitz, wo bereits das Landesmuseum Schlesien, die Unabhängige Initiativgruppe Niederschlesien und das Kuratorium Schlesische Lausitz ihren Sitz haben, würde der landsmannschaftlichen Arbeit Auftrieb geben und mit Sicherheit eines sparen helfen: Kosten. Die bei allen möglichen Gelegenheiten beschworene "Brückenfunktion" der vertriebenen Schlesier könnte so verstärkt wahrgenommen werden.

Als eine Umzugs-Alternative wird Berlin gehandelt. Für die Hauptstadt spricht, daß sie als Metropole ein gewaltiges kulturelles und politisches Angebot bereithält und speziell auf die Schlesier schon in der Vergangenheit stets eine starke Sogwirkung ausgeübt hat. Gegen Berlin ist einzuwenden, daß die Mieten im Zentrum der Stadt exorbitant sind, so daß für die einzelnen Verbände wohl nur Büroräume in der Peripherie der Stadt in Frage kämen, zumal die institutionelle Unterstützung der Vertriebenen durch die öffentliche Hand immer spärlichere Ausmaße annimmt bzw. teilweise bereits ganz eingestellt ist. Außerdem würden die schlesischen Geschäftsstellen in Berlin nur noch als einige wenige Adressen unter tausenden wahrgenommen werden, was in Görlitz vollkommen anders wäre.

Dieses Görlitz nun, gelegen im Niederschlesischen Oberlausitzkreis, führt seit Jahren in der landsmannschaftlichen Arbeit ein stiefmütterliches Dasein. Gewiß, alle zwei Jahre werden der Mitarbeiterkongreß und eine kulturelle Veranstaltung dort durchgeführt, und die jeweiligen Redner verkünden – in der Gewißheit, dafür den Applaus des Publikums zu ernten –, daß Görlitz "zu uns gehört und wir zu Görlitz!". – Doch danach geschicht an praktischen Umsetzungen regelmäßig so gut wie nichts. Gewichtige Stimmen verweisen im Rahmen der jetzigen Debatte auf das in Königswinter im Siebengebirge gelegene "Haus Schlesien", wo sich zur Zeit die Bundesgeschäftsstelle der Landsmannschaft Schlesien befindet. Das Haus Schlesien ist immer noch ohne Zweifel der wichtigste Treffpunkt der vertriebenen Schlesier, die hier eine Vielzahl von Veranstaltungen durchführen. Als weiterer Pluspukt wird genannt, daß die für die Vertriebenenförderung und die entsprechende Kulturarbeit zuständige Abteilung des Bundesministeriums des Innern bis auf weiteres in Bonn bleibt.

Doch ist zu fragen, ob die schlesischen Organisationen sich nur noch als Bewahrer der schlesischen Mundart und Kultur verstehen oder als aktive Mitgestalter für und in Schlesien. Ersteres kann natürlich von Königswinter aus in den altbekannten Bahnen weitergepflegt werden; die aktive Mitgestaltung aber, durch eine Vielzahl von grenzüberschreitenden Projekten bedingt, macht eine enge Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen in Schlesien selbst notwendig. – Und was läge da näher als dein baldiger Umzug ins niederschlesische Görlitz?


 
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