© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Reportage aus Vukovar: Ost-Slawonien vor den Kommunalwahlen
Zaghafte Auferstehung aus Ruinen
von Johann F. Balvany

Am 13. April finden in dem vor über fünf Jahren von den Serben annektierten Ost-Slawonien, dem Baranja-Dreieck und West-Syrmien Wahlen statt, mit denen die für den 1. Juli angesetzte vollständige Rückliederung an das Mutterland Kroatien eingeleitet wird.

Belgische Soldaten, Pakistani und russische Blauhelme kontrollieren unter dem Kommando des Ex-US-Generals Jacques P. Klein die Einreise in die bis 1996 von serbischen Truppen besetzten Landstriche.

Bis heute wagen es die laut UNO-Angaben rund 15.000 in der Heimat verbliebenen Kroaten und Ungarn allerdings nicht einmal, aus den zerstörten Kirchen und ihren einstigen Schulen die verstreut herumliegenden religiösen Schriften und Lesebücher einzusammeln. Immerhin kommen seit der unlängst erfolgten Öffnung des Personenverkehrs mit Kroatien und Ungarn Heimkehrer wenigstens besuchsweise nach Hause. Angsterfüllt sehen sie sich bei ihren geraubten Anwesen um. Oft ist der alte Besitz von Serben beschlagnahmt, die aus Südost-Jugoslawien oder aus der sogenannten "Krajina" hierher gekommen sind oder die sich einfach aus Raffsucht in den zwangsweise aufgegebenen Häusern niedergelassen haben. Die meisten von ihnen sind bis heute im Besitz von Waffen, da die UNTAES keine Ablieferungspflicht befohlen hat und auch keine Strafen für illegalen Waffen- bzw. Munitionsbesitz verhängt. Die Gefahr einer blutigen Eskalation in der gegenwärtigen Übergangsphase ist keineswegs ganz von der Hand zu weisen. Überall spürt man eine Atmosphäre der Einschüchterung der Minderheit durch Teile der jetzigen serbischen Mehrheitsbevölkerung. Ende 1996 lebten in der Region etwa 145.000 Personen, davon die Hälfte alteingesessene Serben, 33 Prozent Flüchtlinge (zum großen Teil ebenfalls Serben), 6 Prozent Kroaten, 5 Prozent Ungarn sowie 6 Prozent andere Ethnien. Bei der letzten Volkszählung von 1991, also vor der Annexion, waren 192.000 Einwohner erfaßt worden, von denen 44 Prozent Kroaten waren, 35 Prozent Serben, 7 Prozent Ungarn und 14 Prozent Angehörige sonstiger Volksgruppen.

Für die Wahlen am 13. April haben sich wegen der verbreiteten Ängste kaum Kandidaten gemeldet, und in den Ortschaften sind weder Plakate zu sehen noch wurden irgendwelche Werbebroschüren verteilt. Als die serbische Armee in die Region des Baranja-Dreiecks, Ost-Slawoniens und West-Syrmiens einrückte – Hand in Hand mit willkürlich agierenden, zum Teil kriminellen Freischärlern –, da wurde ein Feldzug der "verbrannten Erde" durchgeführt, dem eine strenge Abriegelung des Gebietes von der Außenwelt folgte. Die Grenzen zu Ungarn und Kroatien wurden derart vermint, daß dort die meisten Felder bis jetzt noch nicht wieder bestellt werden können. Offen blieben lediglich die Donaubrücke bei Batina sowie einige wenige Telephonleitungen nach Belgrad.

Unlängst konnte die UNTAES wenigstens die Wasser- und Stromversorgung wiederherstellen und Straßen und Brücken einigermaßen befahrbar machen. Von der internationalen Militärverwaltung eingesetzte Busse brachten den öffentlichen Schulbetrieb wieder in Gang. Schon seit Jahren herrscht ein großer Mangel an Arzneimitteln; Spitäler und Ambulanzen verrichten ihren Dienst nur lückenhaft, und dies erst seit der jüngsten Öffnung der Grenzen nach Westen. Die Regale des einst legendären Marktes von Vukovar sind praktisch leer. Nur am Straßenrand werden auf Pappschachteln geschmuggelte Ramschwaren, Zigaretten und (zumeist gepanschter) Schnaps feilgeboten.

Durchstreift man das von der UNTAES kontrollierte Gebiet, so drängt sich der depremierende Eindruck auf, daß das serbische Regimemt in diesem östlichen Teil Kroatiens kaum einen Stein auf dem anderen belassen hat. Die wenigen Wiederaufbau-Versuche der letzten Monate werden zu allem Überfluß immer wieder behindert. – Kein Wunder also, daß jeder rechtschaffende Bewohner der Region, einschließlich vieler Serben, die Exponenten des Belgrader Arme-Leute-Regimes außer Landes wünschen, dessen kyrillische Parolen den Besucher überall wie Chiffren einer desaströsen Geschichtsepisode ins Auge stechen.


 
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