© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Alparslan Türkesch: Zum Tod eines umstrittenen Politikers
Idol des neuen Pantürkismus
von Tamer Bacinoglu

Die türkische Welt hat ihren Führer verloren, aber die Führer sind unsterblich! Gleich fünfmal steht dieser Satz im Kondolenzbuch der Nationalen Aktionspartei für ihren Vorsitzenden Alparslan Türkesch, unterschrieben von den Botschaftern der mittelasiatischen Turkrepubliken in Ankara.

Die ehemaligen Sozialisten widmeten ihren letzten Gruß für den am Freitag abend in der Hauptstadt an einem Herzinfarkt Verstorbenen nicht dem "Lider", sondern dem "Basbug" Türkesch; sie verwendeten also jenen Begriff, mit dem Türkesch sonst nur von seinen Anhängern bezeichnet wird.

Mittlerweile gibt es kaum freie Plätze in den Hotels in Istanbul und Ankara. Von der usbekischen Birlik (Einheit) des Landes bis zu Exilgemeinden der Uiguren, Tataren und der christlichen Gagausen strömten Tausende zu den Gedenkfeiern in die Metropolen Ankara und Istanbul. In ihren Trauerbotschaften sprachen alle türkischen Parteiführer, die maoistische Arbeiterpartei und die der PKK nahestehende Hadep ausgenommen, von einer "historischen Persönlichkeit" (Demirel), einem "Vorbild aller Patrioten" (Erbakan) oder einem "Menschen und Politiker von unerreichbarer Größe" (Ciller). Außenministerin Tansu Ciller und ihre Kollegin im Innenressort, Meral Aksener, begaben sich eigens zu jener Klinik, in der Türkesch verstarb und vor deren Toren sich Tausende seiner Anhänger versammelten.

In Vergessenheit geriet dabei, daß der achtzig Jahre alt gewordene "Basbug" im Jahre 1980 zusammen mit 1.000 Funktionären seiner Partei nur knapp der Hinrichtung entging und eine längere Haftstrafe als der islamistische Refah-Chef Erbakan verbüßen mußte.

Das Leben von Alparslan Türkesch war überhaupt von einem ständigen Wechsel an Höhen und Tiefen gekennzeichnet. 1944 wurde er als Leutnant gemeinsam mit einer Reihe der bekanntesten Vertreter der Pantürkisten verhaftet. Die Anklage lautete auf "Rassismus und Spionage für ausländische Mächte", womit das nationalsozialistische Deutschland gemeint war. Daß diese Anklage wiederum erst durch andere ausländische Mächte zustande kam, galt als offenes Geheimnis. Zwei Jahre später durfte Oberst Türkesch allerdings seine erfolgreiche Karriere bereits wieder fortsetzen, um 1959 ausgerechnet in Deutschland unter NATO-Aufsicht in der nuklaren Kriegsführung ausgebildet zu werden.

Türkesch war es dann auch, der beim Putsch vom 27. Mai 1960 gegen Ministerpräsident Mendares, dem nach Meinung der Sozialisten "einzigen progressiven Putsch der türkischen Armee", eine führende Rolle spielte, zum Oberst avancierte, jedoch noch im selben Jahr "wegen Meinungsverschiedenheiten" mit der Militärführung als Regierungsberater in die türkische Botschaft in Neu Delhi abgeschoben wurde. Erst 1963 durfte er wieder türkischen Boden betreten.

Türkeschs politische Laufbahn begann 1963 in der Republikanischen Arbeiter- und Bauernpartei, deren Führungspositionen er sich 1965 mit seinen Gesinnungsgenossen bemächtigte und die er 1969 in die heutige Partei der Nationalen Aktion (MHP) umtaufte. Von 1975 bis 1978 war Türkesch Vize-Ministerpräsident unter dem damaligen Regierungschef Süleyman Demirel, ehe er nach dem Militärputsch von General Kenan Evren 1980 für viereinhalb Jahre im Gefängnis landete. In seinen 1996 erschienenen Memoiren beschreibt der 1917 in Nikosia geborene Nationalist seine Kindheit auf Zypern als die wichtigste Phase seines Lebens. Im Zuge der Namensreform Atatürks beantragte Hüseyin Feyzullah seinen neuen Namen "Alparslan Türkesch", wobei zwei Feldherren aus der türkischen Geschichte Pate standen.

Sogar seine Erzfeinde zeigen sich heute beeindruckt davon, mit welcher Treue Türkesch sein ganzes Leben über für seine Ideen einstand. Als die türkische Linke und wichtige ausländische Meinungsmacher in den Medien selbst in den 90er Jahren noch vom "Rassisten" (Arnold Hottinger) und "blutrünstigen Extremisten" Türkesch (Birgit Cerha in der Zeit) sprachen, da traf dieser sich heimlich mit dem armenischen Staatspräsidenten Ter-Petrosjan, um zwischen Aserbaidschan und Armenien zu vermitteln, lobte Israel als den einzigen verläßlichen Partner der Türkei in der Region und setzte sich für einen milderen Umgang mit den kurdischen "Separatisten" ein. Es war der "türkische Rassist" Türkesch, der sich öffentlich stolz zeigte auf seine armenischstämmige Mutter und der einen kurdischen Staat mit dem Argument ablehnte, daß die "Türken" in dieser Region in Folge der jahrhundertelangen Vermischung unter den Volksgruppen genausoviel kurdisches Blut in sich trügen, wie es umgekehrt der Fall wäre. Seinen betont laizistischen Nationalismus hatte Türkesch in den 70er Jahren mit einer milderen Form des Islamismus verbunden. Diese Ideologie, die "türkisch-islamische Synthese", die seine Bewegung zeitweilig breiteren Massen öffnete und die einem kurzzeitigen Bündnis mit der islamistischen Refah Erbakans den Boden bereitete, hatte allerdings fatale Folgen. Anfang der 90er Jahre, als er wieder das "alle Türken ungeachtet ihrer Religionen und Konfessionen verbindende Element" zu betonen suchte und sich – als geheimer Regierungspartner– für eine säkulare Türkei einsetzte, kam es zur ersten Spaltung in seiner Partei vor dem Militärputsch von 1980. Angeführt wurde diese vom letzten Führer der "Grauen Wölfe" – jener als rechtsradikal verschrieenen paramilitärischen Einsatzgruppe der Partei –, Muhsin Yazicioglu. Die Folge war das Scheitern der Nationalen Aktionspartei bei den Wahlen von 1995, als man mit 8,5 Prozent der Stimmen an der Zehn-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament scheiterte.

All diese Rückschläge überstand der Ruf Alparslan Türkeschs als gewichtige Persönlichkeit des türkischen politischen Lebens weitgehend unbeschadet, zumal der "Basbug" schon zu Lebzeiten die Erfüllung seines immer wieder proklamierten Traumes erleben durfte: das Verschwinden der Sowjetunion und die (zumindest nominelle) Unabhängigkeit der ethnisch verwandten Turkrepubliken in Zentralasien. In einer korrupten Parteienlandschaft voller Wendehälse war Türkesch einer der wenigen, die etwas besaßen, was im Zuge eines liberalistischen Wirtschaftsdenkens auch anderswo zur Rarität geworden zu sein scheint: Charakter und Prinzipientreue. Was jedoch aus seiner politischen Bewegung nach seinem Ableben wird, ist mehr als fraglich, da Alparslan Türkesch zu ihrer lebenden Verkörperung geworden war und er es versäumt hat, tragfähige neue Führungskader heranzubilden. – Einer seiner zahlreichen politischen Fehler.

Zu letzteren gehörte vor allem auch seine zwischenzeitliche Unterschätzung der Gefahren, die von den radikalen Vorkämpfern des Islam für das Erbe Atatürks ausgehen. Dies war ihm bewußt, als er noch eine Stunde vor seinem Tod vor der islamistischen Wohlfahrtspartei (Refah) warnte.


 
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