© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Das unfeine Geschäft der Rechtsintellektuellen
Forumsartikel
von Jürgen Hatzenbichler

Der metapolitische Ansatz der "Neuen Rechten" wurde aus Frankreich importiert. Die sich um Alain de Benoist gruppierende Nouvelle Droite adaptierte, als sie sich die Frage nach den wahren Triebkräften der Gesellschaft stellte, die Theorie des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci für die Rechte. Gramscis Ansatz besagt: die Gesellschaft wird nur teilweise durch die praktisch politische Gruppen, also Parteien, bewegt. Wesentlicher sei der ideelle Überbau der Gesellschaft, in dem ihre Werte, ihre Moral, ihre Vorstellungen geprägt würden. Es wäre die Aufgabe der "organischen Intellektuellen" eben in diesem Überbau einen Kulturkampf zu führen, dessen letztendliches Ziel aber nur die Revolution sein könne. Die Gesellschaft ist nach Gramscis Meinung dann revolutionierbar, wenn ihre kulturelle Hegemonie gebrochen ist, sie also nicht mehr an sich selbst glaubt – und wenn dafür die revolutionären Werte hegemonial werden. Der Kulturkampf der Intellektuellen also als wesentliche Strategie zur politischen Revolutionierung der Gesellschaft.

Dieter Stein hat diesen Ansatz richtig demontiert, als er monierte, daß das auf eine "political correctness von rechts" hinauslaufen würde (JF 8/97). Diese Kritik jedoch macht den Ansatz Gramscis per se nicht unrichtig. Gerade heute sehen wir doch, daß der "geistige" Überbau, vornehmlich die Medien, eine Übermacht bekommen hat, die Politiker vielfach nur mehr als Statisten für die Nachrichten erscheinen läßt. Die Macht der Talkshows steht synonym für ein seltsames Phänomen: nämlich die vollständige Pluralisierung der Gesellschaft bei gleichzeitiger Einengung auf die Ideale der unzähligen "Gutmenschen". Diese Widersprüchlichkeit ergibt dann eine political correctness (pc), die im Idealzustand eine Zensur von innen ist. Diese neue Innerlichkeit führt allerdings einen totschlägerischen Diskurs, der für jeden ziemlich abrupt endet, der nicht "pc" ist. Wer ihre symbolisch-rituellen Handlungen nicht kennt, sich nicht "betroffen" zu ihnen bekennt, wer gewisse Argumente verwendet, ist, bildlich gesprochen, tot. Solcherlei wünschen sich manche Rechte auch. Nur eben in die andere Richtung gewendet. Wer politisch keine Macht hat, entwickelt andere Allmachtsphantasien. Wen wundert es da, daß der narkotische Begriff von der "kulturellen Hegemonie" von einem Grüppchen in den deutschen Raum importiert wurde, das zuerst den anregenden und interessanten Diskurs der französischen Nouvelle Droite auch in Deutschland ankurbeln wollte, das aber letztendlich nicht nur im Predigen der "erlösenden Strategie" verweilte, sondern damit endete, daß man Schulungen für die verbotene neonazistische "Nationalistische Front" durchführte. Dererlei Tragödien hängen mit mehreren Ursachen zusammen: 1. Es gibt keine einheitliche "Neue Rechte". 2. Der Wille zur rechtsintellektuellen Auseinandersetzung verquickt sich mit der Sucht nach "Weltanschauung". 3. Die Konservative Revolution wird als Nachplappermuster verstanden. 4. Man schafft seine eigene Welt, die an der Wirklichkeit vorbeigeht.

Daß es "die" Neue Rechte nicht gibt, sollte eigentlich klar sein, wenn man sich anschaut, was alles unter dieses Firmenschild gestellt wird. Denn einerseits müßte es ja schon "die neueste Rechte" heißen, immerhin gab es in den 60er Jahren die Nationalrevolutionäre, die man damals als "Neue Rechte" bezeichnete. Von der ist allerdings fast nichts übriggeblieben. Sie hat ihren Spagat zwischen linken und rechten Ideen, bei Selbstanspruch, beides nicht zu sein, nicht überlebt. Henning Eichberg, damaliger Kopf dieser "Neuen Rechten", versteht sich heute als Linker. Manche damalige Nationalrevolutionäre finden sich heute bei den Republikanern. Die neueste Neue Rechte hat sich dagegen konservativ gewandet herausgeschält, sie ist wesentlich breiter als das, was 1968 als neurechte Antwort auf linke Intellektualität und altrechte Dummheit antanzte.

Genuin waren wohl die Neurechten, die das Projekt (ein geschwollener Ausdruck für einige Personen und ein paar Zeitschriften) als eine Modernisierung der extremen Rechten verstanden haben und verstehen. Dieser Teil bleibt der problematischste, denn hier ging und geht es um das Aufmotzen des "antidemokratischen Denkens" (Sontheimer) auf das Niveau, das selbiges in Form der Konservativen Revolution während der Weimarer Zeit erreicht hat. Daneben kristallisierte sich schon eine andere "Neue Rechte" heraus, die vornehmlich aus Konservativen (in Deutschland) oder Nationalliberalen (in Deutschland und Österreich) besteht, die sich auf konsequentes und modernes Denken und auch Handeln in diesen beiden demokratischen Bereichen besonnen haben. Brave Bürger also, nur ein bißchen rechts. Vermengt man diese beiden Strömungen unter dem Einheitsbegriff "Neue Rechte", kommt ein heilloses Wirrwarr heraus. Das Problem ergibt sich aus den extremistischen Teilen, die den Willen zur intellektuellen Auseinandersetzung mit der "Sucht nach Weltanschauung" verquicken. Zwei Hilfsmöglichkeiten allerdings tun sich auf, und beide werden üppig verwendet: Entweder man beruft sich wieder direkt auf theologische Urgründe, startet also das Projekt einer "Politischen Theologie" im Sinne von Carl Schmitt, oder man säkularisiert dieses Absolutheitsbedürfnis. Dann wendet es sich hin zu Gewißheiten wie "das Volk" oder auch zur rechts-links-hegelianischen "Reichsbürgerkunde" für Bürger ohne Reich. Die Ausprägungen können dann unterschiedlich sein: die "netteren" sind "nur" autoritär, aber es geht auch totalitär. Als Teil dieses Problems erweist sich dann auch die Rezeption der Konservativen Revolution der Zwischenkriegszeit. Recht verstanden: die Konservativen Revolutionäre sind interessant, wenn man rechtsintellektuelle Spurensuche betreiben will, wenn man, zur Abwechslung und nach heutigen politischen Kategorien beurteilt, etwas "Häßliches" lesen will, das aber durch seinen ungewohnten Gedankengang durchaus anregend sein kann. Sie beweisen, daß die Rechte nicht immer dumm war. Man darf aber nicht übersehen, daß die Konservative Revolution gescheitert ist. Man darf auch nicht vergessen, sie als antidemokratisch und ansatzweise extremistisch zu verorten. Les- und rezipierbar ist sie allerdings genauso wie linksextremistische Literatur. Nur wird für manche die Konservative Revolution in ihren vielfältigen Varianten zum Nachplappermuster, das teils eigene Intellektualität ersetzt, teils zu 1:1-Umsetzungsvarianten führt, die antidemokratische Haltung mit KR-Zitaten auffettet.

Das ergibt eine erbärmliche Bilanz: Denn eine solche Neue Rechte schaut einerseits sehr alt aus, andererseits hat sie dafür viel "Weltanschauung", aber wenig Wirklichkeit. Denn Weltanschauung wird da zum sinngebenden Tröstungsmuster für diejenigen, die mit der real existierenden Gesellschaft nicht zu Rande kommen. Sie verzweifeln im besten Fall daran, daß "das Volk" ihrer Weltanschauung nicht das Volk ist, das durch die deutschen Straßen läuft. Schuld daran aber sind die anderen. Sie hätten so zu sein, wie so einer es beim Beschauen der Welt sich denkt: hier taucht nicht nur eine Sehnsucht nach "kultureller Hegemonie" auf, sondern da rieselt totalitärer Sand aus dem Hinterstübchen, gepflegt mit reaktionärem Habitus. Extremismus-Modernisierer und/oder Bürgerliche ohne Bürgertum? Dieser Status quo ist bis zu einem gewissen Maß das Ergebnis der Ghettoisierung der Rechten. Sie kocht im eigenen Saft, vielleicht bis es ihren Druckkochtopf zertreibt. Also: What’s left of the New Right?

Vielleicht Rechtsintellektuelle, die anarchischer vorgehen, als daß sie sich in irgendeinen Dogmatismus einbinden lassen würden, die damit auch verhindern, daß sie sich selbst blenden lassen. Die nüchterne Erkenntnis ist, daß es keinen Trost und keine Erlösung gibt. Es ist gerade nicht die Aufgabe des Rechtsintellektuellen, Trost und Erlösung zu finden, sondern genau diese zu dekonstruieren. Ein unfeines Geschäft, denn es führt dazu, daß keiner einen mag: die einen, weil man ihre Illusion nicht teilt und ihnen kein Futter für weitere Trost-Berauschungen gibt, die anderen, weil man ihrer linken und liberalen Welt doch nicht angehört. Der Rechtsintellektuelle bestimmt sich eben dadurch, daß er sich einer ausgesprochenen Illusionslosigkeit hingibt.

Es gibt in unserer Gesellschaft eine kritische Lücke. Auch noch heute ist "kritisch" eine Lieblingsvokabel der Linken, wird synonym für "links" verwendet. Die Aufgabe der Kritik jedoch fällt rechten Positionen zu, denn die kritische Arbeit wird von Linken kaum mehr geleistet. Wenn doch, werden sie von ihren Mitintellektuellen polemisch als "Rechte" bezeichnet. Kritik jedoch bedeutet tabulose Auseinandersetzung mit dem Gegebenen. Der Rechte ist damit Gegner der diskursfeindlichen political correctness. Er wirft den Diskurs eben genau damit wieder an, daß er das Wort ergreift. Er pluralisiert den Diskurs und stellt sich mitten in die Gesellschaft. Er erkennt, daß der Wettstreit der Ideen eben nur in einer pluralen Gesellschaft möglich ist. Der Rechtsintellektuelle bezieht damit Position für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung, die er gerade deswegen verteidigt, indem seine Position der verfemte Teil dieser Gesellschaft ist. Seine Aufgabe liegt im nachdenkenden Suchen. Wer die Antworten schon vor den Fragen weiß, begibt sich in die totalitäre Falle.

What’s left of the new right? Vielleicht ein Rechter, der kein Rechter mehr ist. Der die Tiefen der Unsicherheit auslotet, und eben damit schärferer Kritiker einer Gesellschaft werden kann, von der er allerdings eine Ahnung hat, weil er ihr angehört.


 
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