© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Revolutionsepos: "Michael Collins" von Neil Jordan
Für eine freie Republik Irland
von Gerhard Quast

"Ich habe mein eigenes Todesurteil unterschrieben", kommentierte Michael Collins 1921 nach seiner Rückkehr aus England die Unterzeichnung des anglo-irischen Vertrages über den "Freistaat Irland". Ein Jahr später fiel er einem Anschlag irischer Republikaner aus dem Hinterhalt zum Opfer. Hier endet Neil Jordans 30-Millionen-Dollar-Produktion über eine der schillerndsten Figuren des irischen Freiheitskampfes. Tragisch wie das Geschichtsepos abbricht, mit dem Tod des Helden, so beginnt es auch: 1916 gehen irische Republikaner zum offenen Kampf gegen die britische Kolonialmacht über, verschanzen sich in der Hauptpost von Dublin und hissen die grün-weiß-orangene Fahne der Republik. Nach nur wenigen Tagen werden sie von den britischen Besatzern durch kaum zu erwiderndes Trommelfeuer zur Aufgabe gezwungen. Die Rädelsführer des als Oster-aufstand in die Geschichte eingegangenen Kräftemessens, unter ihnen der im Kampf schwer verwundete James Connolly, werden standrechtlich erschossen. Eamonn de Valera, der eigentliche Kopf der irischen Untergrundbewegung, entkommt seinem Henker einzig dadurch, daß er amerikanischer Staatsangehöriger ist, und muß für Jahre hinter Gitter. Mit ihm auch Michael Collins (gespielt von "Oskar Schindler"-Darsteller Liam Leeson), ein bis dahin eher unbedeutendes Mitglied der radikalen Irisch-Republikanischen Bruderschaft. Auch er muß eine mehrjährige Gefängnisstrafe absitzen.

In dieser Zeit erkennt Collins, daß der Kampf gegen die verhaßten Engländer nur im Untergrund und mit einer Untergrundarmee geführt werden kann. Er organisiert die Irisch-Republikanische Armee (IRA), schult junge Iren im Guerillakampf und setzt diese für gezielte Terroranschläge ein. Hauptaugenmerk richtet er dabei auf Iren, die im Dienste der Krone stehen. Die Spione im eigenen Land werden zum Ziel rücksichtsloser Anschläge. Nur diese Guerillataktik zwang die Briten in die Knie.

De Valera, wohl ahnend, daß Maximalforderungen wie die Unabhängigkeit von der britischen Regierung nicht hingenommen werden können, schickt Michael Collins als Chefunterhändler zu den Friedensverhandlungen. Wie erwartet kann der Revolutionär Collins dem Empire nicht einen souveränen, unabhängigen Staat abtrotzen, sondern lediglich einen Freistaat Irland – und selbst diesen nur unter Abtrennung von sechs Grafschaften im Norden Irlands, die über ihren Anschluß später entscheiden sollen. So verkehren sich die Positionen: Der bisher gemäßigte, diplomatisch agierende de Valera wird zum kompromißlosen Gegner des anglo-irischen Abkommens und führt mit dem radikalen Flügel der Sinn Féin (dt.: "Wir selbst") einen einjährigen blutigen Bürgerkrieg gegen den IRA-Gründer Collins und die Vertragsbefürworter, die in der Bevölkerung die Mehrheit hinter sich wissen. Auf den Barrikaden dieses Bürgerkrieges, der bis 1923 andauert, stehen sich Freistaatler und Republikaner gegenüber. 1923 setzten sich die Vertragsbefürworter militärisch durch. 77 IRA-Kämpfer werden von ihren ehemaligen Mitstreitern exekutiert, 13.000 Republikaner verschwinden hinter Gefängnismauern. 1923 ruft de Valera die Untergrundarmee zur Waffenniederlegung auf, gründet als Oppositionsbewegung die Fianna Fail, zieht in das irische Parlament ein und wird 1932 Ministerpräsident – nicht ohne in der irischen Verfassung weiterhin den Anspruch auf ganz Irland zu erheben.

Michael Collins erlebte von all dem nichts mehr. Er, der immer zögerte, den Kampf gegen die eigenen Weggefährten aufzunehmen, wird, als er Verhandlungen mit den Rebellen aufnehmen will, in einen Hinterhalt gelockt und von einer Kugel tödlich getroffen.

Daß de Valera im Nachspann des Filmes als späterer Präsident genannt wird, mag vielen Kinobesuchern unverständlich bleiben, was vor allem daran liegt, daß die Lebensgeschichte Michael Collins’ überflüssigerweise durch eine Liebesromanze angereichert wurde und dadurch verständlicherweise einige historische Ereignisse des irischen Freiheitskampfes nicht in der ganzen Breite und Widersprüchlickeit darzustellen waren. Die Filmrolle für Julia Roberts war sicherlich das einzige Zugeständnis an den passionierten Kinogänger, das man dem Regisseur Neil Jordan ankreiden könnte. Gleichzeitig diente ihr Auftritt sicherlich auch der Dramatisierung: Eine Liebesnacht wird durch IRA-Exekutionskommandos filmisch unterbrochen.

Es gab in den letzten Jahren einige Filme, die sich der irischen Thematik annehmen, Jim Sheridans "Im Namen des Vaters", Ken Loachs "Land and Freedom", Terry Georges "Mütter und Söhne" und – parallel zu Jordans Streifen – Alan J. Pakulas "Vertrauter Feind". Ansonsten wird in Spielfilmen allerdings allzuoft das Kürzel IRA undifferenziert als Synonym für Bombenterror verwendet. Eine echte Beschäftigung mit dem irischen Freiheitskampf sucht man – von genannten Ausnahmen abgesehen – vergeblich. Es gab zwar verschiedentlich Versuche, das Leben des IRA-Gründers zu verfilmen, letztlich blieb es dann doch dem Iren Jordan vorbehalten, mit "Michael Collins" eine gelungene Lebensdarstellung zu realisieren. Daß sich ausgerechnet ein Ire dem Thema angenommen hat, ist nicht verwunderlich, macht aber verständlich, warum den Briten die Nerven blank liegen: Seit einem Jahr hat die IRA ihre Waffenruhe beendet. Als vor sechs Monaten "Michael Collins" auf der gesamten grünen Insel anlief, waren die Parallelen unübersehbar. Noch immer geht die IRA mit Autobomben – übrigens ein Detail im Film, das historisch nicht korrekt ist, denn Autobomben wurden erstmals 1970 angewandt – gegen Zivilisten, protestantische Paramilitärs oder britische Soldaten vor, noch immer dient die Gewalt als (letztes) Mittel der Politik. Das ist das Fazit nicht nur der Lebensgeschichte Michael Collins’, sondern entspricht auch der irischen Realität. Die Erfahrung zeigt – Gandhi mag da eine löbliche Ausnahme sein –, daß unterdrückte oder durch innere Kolonisation gewaltsam assimilierte Völker erst dann Gehör finden und ernstgenommen werden, wenn sie sich dieses Mittels bedienen – in Irland ebenso wie im Baskenland, auf Korsika, in Kurdistan oder Palästina.


 
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