© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Beutekunst: Was Rußland nicht zurückgeben will
Verstoß gegen Völkerrecht
von Jochen Arp

In der vorigen Woche schrieb Jochen Arp an dieser Stelle über das Ausmaß der Raubzüge der Trophäenbrigaden.

1996 legte die Deutsche Bibliothek, Frankfurt, als Sonderheft der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie eine detaillierte Auswertung der Dokumente über den Abtransport und den Verbleib wertvoller deutscher Bibliothekssammlungen vor. Zugrunde lagen 48 Dokumente aus russischen Archiven, die den Herausgebern von jungen russischen Kollegen übergeben worden waren. Danach befinden sich noch zwei Millionen Beutebücher in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion von der Inkunabel-Zeit, also der Zeit vor Erfindung des Druckes mit beweglichen Lettern, bis ins 19. Jahrhundert, darunter zwei Gutenberg-Bibeln aus Leipzig.

Als sich nach der Wende Deutschland und Rußland einander näherten, schlossen sie Verträge für eine ersprießliche Zusammenarbeit, die nicht zuletzt den Sinn hatten, daß das damals noch wohlhabende Deutschland dem wirtschaftlich am Boden liegenden Rußland helfen möge. Dabei wurde auch vereinbart, daß verschollene und unrechtmäßig verbrachte Kunstschätze des einen Partners, die sich auf dem Territorium des anderen befänden, an die Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger zurückgegeben würden. Als es an die Rückgabe ging, da weigerte sich die russische Regierung. Sie argumentierte, daß sie all diese Werke deutscher Kunst und Kultur als Beute betrachte und als Kompensation für angeblich von den Deutschen zerstörte oder nach Deutschland verbrachte sowjetische Kunstwerke. Tatsächlich befanden sich auf deutschem Boden mehrere hunderttausend Objekte der Kunst und Wissenschaft aus der UdSSR, wobei allerdings zu differenzieren wäre zwischen dem, was davon wirklich völkerrechtswidrig gestohlen worden war (etwa durch den "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg") und was, und das dürfte der überwiegende Teil gewesen sein, vom Kunstschutz der Wehrmacht vor der Zerstörung durch Kampfhandlungen in Sicherheit gebracht worden war. Jene Werke, die die Sowjets bei ihrem Vormarsch in Deutschland vorfanden, dürften sich längst wieder auf dem Gebiet der damaligen Sowjetunion befinden. Die amerikanischen Besatzungstruppen haben zwischen 1945 und 1948 nach eigenen Angaben der Sowjetunion 534.120 Objekte zurückgegeben, die unter anderem aus den Museen Kiew, Minsk, Smolensk, Pskow, Nowgorod und aus Palästen der Umgebung Leningrads stammten. Wo diese zurückgegebenen Werke dann geblieben sind, lag bis vor kurzem im Dunkeln. Sowjetische und später russische Regierungsstellen stritten die Rückgabe ab und verlangten diese Museumsstücke von Deutschland zurück. Allerdings sind in Deutschland keine zu finden; selbst die DDR-Regierung, an die die Sowjetführung die gleiche Forderung stellte, suchte vergebens.

Mitte März 1997 wurde bekannt, daß sich in Moskauer Archiven umfangreiche Belege dafür gefunden haben, daß die US-Militärbehörden am 24. Oktober 1947 in Berlin den Sowjets 2.391 Kisten mit Kulturgütern übergeben haben, die aus der UdSSR stammten und die die westlichen Sieger in ihren Besatzungszonen in Depots gefunden hatten. Aus den jetzt entdeckten Akten geht auch hervor, daß die Sowjetbehörden die Kulturgüter weitergegeben haben an die Museen von Kiew, Nowgorod und Minsk sowie an die Verwaltungen der Schlösser in Puschkin und andere Kulturinstitutionen. Die sowjetische, bzw. jetzt die russische Führung hat also die internationale Öffentlichkeit fünfzig Jahre lang getäuscht, woraus man ableiten kann, was von den russischen Behauptungen zu halten ist, sie vermisse noch 600.000 "geraubte" Museumsobjekte.

Tatsächlich ist die russische Seite nicht in der Lage, der deutschen Seite detailliert mitzuteilen, welche Werke der Kunst und Kultur aus der ehemaligen Sowjetunion sich noch in Deutschland befinden sollen. Sie stellt lediglich überwiegend pauschale Behauptungen auf, da sie kaum über Inventarverzeichnisse ihrer Museen, Kunstgalerien usw. verfügt. Private deutsche Stellen vermuten, daß sich unter den angeblichen Verlusten auch solche Kunstwerke, Pretiosen usw. befinden, die die Sowjetregierung zwischen 1939 und 1940 auf dem internationalen Kunstmarkt verkauft hat, um Devisen zu beschaffen.

Deutschland hat an der Universität Bremen eine Institution geschaffen, in der sich deutsche Wissenschaftler bemühen, für die Russen Verlustlisten aufzustellen. So konnten der russischen Seite genaue Aufstellungen über deutsche Kunstwerke, wissenschaftliche Objekte und Bücher, die sich in Rußland befinden müssen, übergeben werden. Die russische Seite bleibt bekanntlich bis heute bei ihrer Weigerung, gemäß dem zwischen Deutschland und Rußland geschlossenen Vertrag das Beutegut zurückzugeben. Kürzlich hat die Duma ein Gesetz beschlossen, daß die gestohlenen deutschen Kunstwerke zum Eigentum des russischen Staates erklärt. Der Föderationsrat hat das bestätigt. Nun ist dieses Gesetz für die Rückgabe ohne Belang. Rußland hat sich vertraglich verpflichtet, das Beutegut zurückzugeben. Daran rüttelt auch die einseitige Erklärung nicht, daß die Kunstwerke nunmehr russisches Eigentum seien. Außerdem war der Kunstraub a priori völkerrechtswidrig. Es liegt wesentlich an dem Verhandlungsgeschick und dem Willen der deutschen Seite, ob die zu Unrecht zur Beute erklärten Werke an Deutschland zurückgegeben werden. Zwar blieb bisher die Bundesregierung offiziell bei ihrem auf Rückgabe beharrenden Standpunkt, doch hört man immer wieder Klagen von deutschen Museumsdirektoren, daß die Bonner Regierung es an der notwendigen Intensität bei den Verhandlungen mit der russischen Seite fehlen ließe.

Alarmierend wirkte die Bemerkung von Bundeskanzler Kohl im September 1996, für die von Rußland zurückgehaltenen deutschen Kunstgegenstände zeichneten sich "besondere Regelungen" und "neue Wege" ab. Kenner der Bonner Verhandlungskunst und des Durchsetzungswillens unserer Emissäre lasen daraus, daß die Bundesregierung von ihrem Rechtsstandpunkt abgehen und den Russen die geraubten Kulturgüter wenigstens zum größten Teil überlasen wollte. Der Bundestagsabgeordnete Lummer schlug Alarm und protestierte scharf gegen diese Haltung. "Nahezu unbegreiflich ist das kulturpolitische Desinteresse der Bundesregierung, die schon seit den Jahren der Perestroika Rußland Milliardenkredite gewährt, von denen jedermann weiß, daß ihnen jegliche Sicherheit im bankmäßigen Sinne fehlt", schreibt Hermann Freiherr von Wolff-Metternich in einem Leserbrief an die FAZ. "Diese Kredite sind weitgehend à fonds perdu. Auch nicht ansatzweise ist von der bundesregierung versucht worden, hierfür wenigstens als Kompensation die völkerrechtswidrig verschleppten Kulturgüter zurückzuerhalten."


 
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