© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Freisinn weg, Scharfsinn weg?
Kommentar
von Martin Hobek

Das freiheitliche Parteiprogramm ist ein Dokument, in dem die DDR noch immer existiert und das den Begriff "Internet" nicht kennt. Eine Aktualisierung des Grundsatzpapiers ist daher durchaus zu begrüßen. Dessen Umkrempelung von freiheitlichen auf "christlich-sozial-demokratisch" ist aber die beste Schnapsidee seit der zwangsläufig gescheiterten Ummodelung der FPÖ in eine "F-Bewegung". Die angestrebte Streichung der "deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft" ist auch bei konjunkturistischer Sichtweise nicht notwendig. Zwar empfinden sich mittlerweile keine 15 Prozent der Österreicher mehr als Deutsche, aber abgesehen davon, daß Deutschland nach wie vor als "großer Bruder" und liebster Nachbar gilt, interessiert sich die überwältigende Mehrheit der Wahlberechtigten nicht im geringsten für Parteiprogramme. Diese haben nur eine einzige, für politische Organisationen allerdings lebenswichtige Funktion: Mitarbeitermotivation durch Identitätsstiftung. Mit seinem Verlangen nach einer Katholisierung der Freiheitlichen Partei hat NR-Klubobmann Ewald Stadler nun Nationale, Liberale und Unpolitische gleichermaßen aufgebracht. Speziell in den protestantischen Hochburgen Oberösterreichs, wo im Oktober Landtags- und Gemeinderatswahlen abgehalten werden, dürfte die Dankbarkeit sich sehr in Grenzen halten. Dabei gäbe es derzeit zwecks Maximierung katholischer Wählerstimmen eine ausgesprochen günstige Gelegenheit: Die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Kirche steht bevor, womit bald sämtliche Sekten das Recht auf Steuervorteile, staatlichen Schulunterricht, ORF-Sendezeiten usw., usf. haben werden. Hierzu hat man von Stadler nichts gehört.

Stattdessen formuliert er rabiate Rückschrittlichkeit. Ist die Ablehnung des Antiklerikalismus noch nachvollziehbar, so kann die Abkehr vom Laizismus nicht wirklich ernst gemeint sein. Schon einmal einen Blick in den Duden geworfen, Herr Erbakan? Unlogisch ist auch der zeitliche Aspekt. Während auf höchster Ebene alles auf das nächste Jahr ausgerichtet ist (Agentur ’98 etc.), soll das Programm anders firmieren, wobei den eigenen Leuten lediglich einzelne Passagen des Entwurfs über die Medien mitgeteilt werden. Das über’s Knie Brechen hat sich selten bewährt, schon gar nicht, wenn man es unter der Tuchent tut. Das Salzburger Programm von 1985 ist nicht "stegerianisch" wie Ewald Stadler kürzlich meinte, sondern es ist ein nach einjähriger Diskussion entstandener Maximalkonsens, der die Spaltung der FPÖ nach dem Innsbrucker Parteitag 1986 mitverhindert hat. Im Programm einer wirklichen freiheitlichen Partei hat die Kirche keinen Regieplatz. Lassen wir sie im Dorf.


 
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