© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/97  11. April 1997

 
 
Einwanderungsgesetz: CDU uneins über Zuwanderungsbegrenzung
Quote "gegen Null"
von Martin Otto

Der Streit um ein Einwanderungsgesetz spitzt sich zu. Im Jahre 1994 zogen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 773.829 Ausländer legal nach Deutschland. Zwar verließen im selben Zeitraum auch 621.417 Ausländer die Bundesrepublik, doch ein Zuwanderungsgewinn von 152.512, das ist eine Stadt von der Größe Bremerhavens, verbleibt noch immer; die illegale Zuwanderung, über die nur polizeiliche Schätzungen bestehen, noch nicht einmal eingeschlossen.

127.937 Asylsuchende wurden im Jahre 1995 statistisch erfaßt; das ist zwar deutlich unter der Rekordmarke von 438.191 im Jahre 1992, aber noch immer eine beachtliche Zuwanderungsgruppe. Das Vorhandensein einer ständigen Einwanderung nach Deutschland wird von keiner relevanten Gruppe bestritten; lediglich bei der Frage, ob dies Deutschland bereits zu einem Einwanderungsland macht, scheiden sich die Geister. Bundesinnenminister Kanther (CDU) lehnt eine solche Klassifizierung, die eine gesetzliche Sanktionierung der Einwanderung etwa durch ein Zuwanderungsgesetz beinhalten würde, strikt ab. Laut Kanther benötige die Bundesrepublik "weder heute noch in den nächsten Jahren eine Zuwanderung". Bereits heute leben mehr als sieben Millionen Ausländer in der Bundesrepublik, und es gebe, so Kanther, mehr als 4,8 Millionen Arbeitslose, darunter eine halbe Million Ausländer, "die immer schwerer auf dem Arbeitsmarkt untergebracht werden können".

Rückendeckung findet Kanther bei der CSU und den Republikanern. Daß der Bonner Koalitionspartner FDP hingegen vehement für ein Einwanderungsgesetz wie eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts eintritt, ist hinreichend bekannt. Neu ist, daß sich jetzt auch eine große Zahl von CDU-Mitgliedern offen von den Vorstellungen Kanthers absetzt.

Gut 150 prominente Christdemokraten, darunter zahlreiche Bundestagsabgeordnete, sprachen sich in einer öffentlichen Erklärung für "an die wirtschaftliche Lage angepaßte Einwanderungsquoten" aus. Am deutlichsten für ein Einwanderungsgesetz plädiert der saarländische Bundestagsabgeordnete Peter Altmaier, der die Positionen Kanthers jüngst öffentlich kritisierte.

Der 1958 geborene Jurist Altmaier, der seit 1994 im Bundestag sitzt, versteht sich mit weiteren gleichaltrigen Kollegen aus Partei und Fraktion als Vertreter einer Gruppe von "Jungen Wilden" innerhalb der CDU, die eine Abkehr von verkrusteten Denkschablonen sucht, um die Politik ihrer Partei zu modernisieren. Altmaier glaubt, so erklärte er zumindest im Saarländischen Rundfunk, daß es innerhalb der CDU schon bald eine Mehrheit für ein Einwanderungsgesetz geben werde. Die Vorbehalte Kanthers gegen Einwanderung seien ihm "unverständlich"; jedermann in Deutschland müsse sehen, daß es hier Probleme gebe.

Auch Altmaier ist für Einwanderungsbeschränkungen. Gleich Kanther vertritt er die Ansicht, "daß wir uns bei 4,5 Millionen Arbeitslosen einen unkontrollierten Zustrom jetzt und auf Dauer nicht leisten können". Sein Einwanderungsgesetz möchte Altmaier zunächst als "Einwanderungsbegrenzungsgesetz" verstanden wissen, das den Zustrom für die nächsten Jahre "in kontrollierte Bahnen" lenken soll. Sollte es je zur Einwanderungsquote kommen, müßte sie laut Altmaier "auf absehbare Zeit" gegen Null tendieren. Insoweit unterscheidet sich der "Junge Wilde" Altmaier in der Analyse der deutschen Zuwanderungszustände kaum von dem Bundesinnenminister oder auch CSU und Republikanern. Nur in der Langzeitperspektive bewerten die "Jungen Wilden" die Einwanderung anders. Altmaier kann es sich etwa vorstellen, in Hinblick auf die Sicherung der Rentenversicherung in 10 oder 15 Jahren hohe Zuwanderungsquoten zuzulassen.

Die Zuwanderung im Rahmen von Asylverfahren und Familienzusammenführungen möchte er ganz unangetastet lassen. Die doppelte Staatsangehörigkeit ist für Altmaier nicht "der Untergang des Abendlandes", doch eine generelle doppelte Staatsbürgerschaft vertritt er nicht. So jung und wild scheint der Vorstoß aus der CDU-Fraktion auf den zweiten Blick dann doch nicht zu sein. Ein Einwanderungsgesetz mit Quoten hatte auch Heiner Kappel schon einmal vorgeschlagen. Als Peter Altmaier in den achtziger Jahren noch Landesvorsitzender der Jungen Union Saar war, fiel er innerhalb des Bundesverbandes öfter durch vermeintlich fortschrittliche, zumindest aber im Widerspruch zur offiziellen Parteilinie stehende, Äußerungen auf. Mit seinen Denkanstößen zu einem Einwanderungsgesetz liegt er etwa mit FDP-Politikern wie Guido Westerwelle auf einer Wellenlänge, wirklich Neues hat auch er nicht zu berichten.


 
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