© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/97  18. April 1997

 
 
Verfassungsschutz: Wenn V-Leute Fakten schaffen
Aktiver Dienst
von Richard Stoltz

Die deutschen Geheimdienste haben alle Hände voll zu tun. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Öffnung der Grenzen strömen ausländische Agenten und politische Extremisten einfacher nach Deutschland als je zuvor. Der Mykonos-Prozeß wirft ein Schlaglicht auf die terroristische Bedrohung aus dem Islam. Ausländische Extremisten bekämpfen sich auf deutschem Boden und gefährden die innere Sicherheit.

Eine satte Auftragslage für Schlapphüte, möchte man meinen. Wer aber in diesen Tagen das Buch "Der V-Mann" von Burkhard Schröder liest (Rotbuch Verlag, Berlin 1997), muß den Eindruck gewinnen, Verfassungsschützer bzw. ihre Dienstherren litten unter mangelnder Beschäftigung. Anhand eines "Vertrauens-Mannes" des niedersächsischen Landeamtes für Verfassungsschutz, der im Umfeld der mittlerweile verbotenen "Nationalistischen Front" für die Behörde Spitzeldienste leistete, beschreibt Schröder indirekt auch das Wirken der beamteten Staatsschützer. Das Ergebnnis seiner Recherchen kleidet der aus dem linken Milieu stammende Autor in Frageform: "Was bleibt von den Neonazis übrig, wenn man alle außen vorläßt, die dort letztlich im Auftrag des Staates agieren?" Viele scheinen nach seinen Recherchen nicht übrig zu bleiben. "Das Spitzelsystem fördert in jedem Fall die Subkultur, die ausgespät werden soll."

Erst vor wenigen Wochen hat Schröder den Verfassungsschutzämtern in der Bundesrepublik die Leviten gelesen. Offenbar verdankten sie ihre Existenz "nur der Tatsache, daß die Experten Zeitungsmeldungen ausschneiden und sie fein säuberlich geordnet den Politikern vorlegen". Daß sich die den jeweiligen Innenministern der Länder nachgeordneten Einrichtungen in den Klauen der Parteipolitik befinden, ist dabei keineswegs eine neue Erkenntnis. Auch der ehemalige Innensenator von Berlin, Heinrich Lummer, gibt auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT unumwunden zu, daß "parteipolitische Bewertungen" selbstverständlich Eingang in die Arbeit der Behörde fänden. Dies werde sich auch bei einer anderen rechtlichen Konstruktion nicht vermeiden lassen, ist Lummer überzeugt.

Über die Qualität der Informationen, die zu Tage befördert werden, bestehen Zweifel. Meist sind die Medien schon früher und besser informiert. Dabei habe der Verfassungsschutz "mehr als wackliges Zahlenmaterial" meist nicht zu bieten. Schröders Konsequenz: Die Ämter müssten "abgewickelt" werden. Dabei sollte sich der Verfassungsschutz auf seine Kernaufgaben beschränken: Ermittlung von gewaltbereiten Extremisten. Aus dem Meinungskampf der Parteien sollte sich diese Behörde strikt heraushalten.


 
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