© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/97  18. April 1997

 
 
Recht auf Selbstbestimmung: Südtirolaktivistin Eva Klotz über die "letzte Kolonie Italiens"
"Wir sind keine Minderheit"
Interview mit Dr. Eva Klotz
von Gerhard Quast

Frau Klotz, Ende April sollte in Norditalien eine Abstimmung der Lega Nord über die Abtrennung eines neuzuerrichtenden Staates Padanien stattfinden. Diese wurde nun verschoben.

KLOTZ: Ja, die Abstimmung ist auf Ende Mai verschoben worden, aber auch das ist noch nicht hundertprozentig sicher.

Sie selbst werden diese zum Anlaß nehmen, für die Selbständigkeit Südtirols zu werben. Was erwarten Sie sich überhaupt von so einer Abstimmung? Meinen Sie, daß diese zu einem Zerfall des italienischen Staates beitragen wird?

KLOTZ: Nein, ich sehe das als eine Aktion der Bewußtseinsbildung. Sie wird keine rechtswirksamen Folgen haben. Es ist also keine offizielle Volksabstimmung im rechtskräftigen Sinne. Es ist mehr oder weniger eine werbewirksame Volksbefragungsaktion ohne offiziellen Charakter.

Aber als Konsequenz aus dieser Abstimmung, hoffen Sie, daß die Frage der Selbstbestimmung für Südtirol wieder in die Diskussion kommt?

KLOTZ: Wir haben als Vorstand und auch im Ausschuß, in dem 20 Leute sitzen, festgelegt, daß wir uns selbstverständlich, sollte sie in Südtirol zustandekommen, an dieser Abstimmung beteiligen werden, allerdings mit eigenen Aufklebern. Die Frage ist, ob die Befragung in Südtirol wirklich zustandekommt, denn ich persönlich habe einem Lega-Vertreter gesagt, daß es eigentlich ganz konsequent wäre, zu sagen, wir machen in Südtirol diese Abstimmung nicht, weil Südtirol sein eigenes Recht auf Selbstbestimmung hat. Denn die Frage wird ja sein, "Wollt Ihr, daß Padanien eine eigenständige Republik in Europa wird?" Das ist die Frage! Also, wir können nicht ein Bekenntnis zu Padanien abgeben. Denn wir wollen weder zu Rom noch zu Mailand gehören, denn Südtirol hat wohl die allererste Berechtigung, sein eigenes Selbstbestimmungsrecht anzuwenden. Wir werden also, sollte es soweit kommen, Aufkleber drucken lassen mit der Aufschrift "Selbstbestimmung für Südtirol". Damit hätten wir zweierlei erreicht: Einmal, daß wir das Prinzip der Volksbefragungen und Volksabstimmungen unterstützen und respektieren und zweitens, daß wir auch unsere politische Botschaft unterbringen, nämlich, daß uns Padanien nichts angeht, sondern wir als Südtiroler unsere eigene Forderung haben, die noch vor der Padaniens steht.

Sie sprechen von Selbstbestimmung für Südtirol, aber gleichzeitig auch von der Forderung nach einer Europaregion Tirol. Ist das nicht ein Widerspruch?

KLOTZ: Nein! Selbstbestimmung ist immer nur der Weg zu einer Veränderung. Selbstbestimmung ist der Weg zu einem anderen Ziel. Die Europaregion Tirol haben wir bereits in den 80er Jahren propagiert, das stimmt. Wir verstanden darunter allerdings die politische und verwaltungsmäßige Einheit Tirols und nicht wie heute die Südtiroler Volkspartei und auch zum Teil die Freiheitlichen, die es als grenzüberschreitende Zusammenarbeit sehen. Denn das ist ja ein Selbstbetrug, das bedeutet nichts anderes als die Grenze weiter anzuerkennen.

Also in Ihrem Sinne wäre eine Europaregion Tirol auch als eine staatliche Einheit zu sehen?

KLOTZ: Selbstverständlich, als verwaltungsmäßig-politische Einheit mit harmonisierter Gesetzgebung einschließlich der Wirtschafts- und Steuerbestimmungen. Diese Europaregion allerdings gedacht in einem Europa, das bereit wäre, die Realität der Völker und gewachsener und natürlicher Regionen anzuerkennen. Soweit sind wir leider noch nicht, weil Europa immer nur die Realität der Staaten sieht und die Identität der sogenannten Nationalstaaten bereit ist anzuerkennen.

Meinen Sie damit Staaten, die in Wirklichkeit keine Nationalstaaten sind?

KLOTZ: In keiner Weise Nationalstaaten sind! Italien beispielsweise hat in seinem Inneren noch nie die Selbstbestimmung für Südtirol durchgeführt und hält uns sozusagen als fremdbestimmender Staat fest.

Sie sprechen die europäische Perspektive an. Wie müßte sich denn Gesamteuropa umgestalten, weg von den jetzigen Nationalstaaten?

KLOTZ: Selbstverständlich müßte dieses Europa bereit sein, Abschied zu nehmen von den Nationalstaatsideen, die das ausgehende 18. Jahrhundert geprägt haben, mit all diesen künstlichen Strukturen, die eben immer wieder kleinere Völker fremdbestimmt und unterdrückt haben. Davon müßte man wegkommen und endlich die älteste Realität anerkennen, die Völker und natürlich gewachsenen Regionen.

Mit dem Begriff "Europa der Völker" könnten Sie sich identifizieren…

KLOTZ: Selbstverständlich! Aaber nicht mit der Europäischen Union, einer Staatengemeinschaft, in der ethnischen Minderheiten kaum Rechte zugestanden und Teile anderer Völker unterdrückt und fremdbestimmt werden!

Südtirol wird in bezug auf die Lösung von Minderheitenproblemen als Modell für Europa verstanden. Im Vergleich zur Situation in manchen europäischen Staaten erscheint vieles tatsächlich vorbildlich. Sie sehen sicher trotzdem noch großen Handlungsbedarf?

KLOTZ: Zunächst einmal war die sogenannte Südtirol-Autonomie eingerichtet worden, um die Anwendung des Selbstbestimmungsrechtes zu verhindern. Die Autonomie hat man wiederum erst dann einigermaßen praktiziert – nicht vollständig –, nachdem Südtiroler im Freiheitskampf der 60er Jahre dafür gestorben sind. Also: In Südtirol hat jedes kleine Zugeständnis, jede Kleinigkeit, die schriftlich bereits festgelegt worden war, nochmals erkämpft werden müssen. Herausgekommen ist ein Akt der Dezentralisierung, nicht jedoch eine Autonomie. Die Regelungen in Südtirol, sind keine Lösung eines sogenannten Minderheitenproblemes, denn wir sind keine Minderheit, wir sind Teil eines Volkes. Damit ist es ein Selbstbestimmungsproblem und kein Minderheitenproblem. Der "Autonomie" in Südtirol fehlen die wesentlichen Elemente einer echten Autonomie entsprechend dem englischen Begriff "autonomous power". Diese Elemente wären: Finanz- und Steuerhoheit, Polizeihoheit, Verwaltungshoheit, Schulhoheit und die Kontrolle über die Zuwanderung. Das alles hat Südtirol nicht, denn auch in verschiedenen Verwaltungsakten gibt es immer die Weisungsgewalt des Staates. Zudem ist noch schnell vor dem Abschluß des "Paketes" die sogenannte Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis des Staates eingeflochten worden. Das bedeutet: Auch dort, wo Südtirol entsprechend seiner "Autonomie" ausschließliche Zuständigkeit hätte, kann der Staat das Weisungsrecht in Anspruch nehmen und die Koordinierung mit dem Hinweis auf das nationale Interesse übernehmen und damit alle im Lande geltenden Regelungen aufgrund der Provinzsituation außer Kraft setzen. Das heißt also, man hat den Dolch in dieses Paket mit hineingepackt, mit dem alles wieder aufgeschnürt werden kann. Eine wirkliche Autonomie ist das nicht – und von einer zufriedenstellenden Lösung kann schon gar nicht gesprochen werden. Gemessen an den Scheußlichkeiten des Faschismus ist die "Autonomie" eine Erleichterung, aber gemessen an der Normalität ist sie nicht zufriedenstellend.

Sehen Sie Rückschritte durch die Erfolge der Forza Italia und Alleanza Nationale?

KLOTZ: Gleichgültig ob Alleanza Nationale, Grüne oder PDS: In Sachen Toponomastik (Ortsnamenbezeichnung d. Red.) und Siegesdenkmal – das ist ja die Gretchenfrage für den überzeugten Demokraten – sind sie sich alle einig: Das Siegesdenkmal darf nicht geschleift werden und die Toponomastik darf nicht angerührt werden.

Hat der Druck auf die anderen italienischen Parteien durch den Erfolg dieser Rechtsparteien nicht vielleicht doch zugenommen?

KLOTZ: Mir hat einmal ein alter politischer Häftling gesagt: Merkt Euch: Die Musik hat sich geändert, aber die Musikanten sind geblieben. Das heißt also, gleich welcher Couleur – an der Zugehörigkeit Südtirols zu Italien will keiner mit sich reden lassen. Dieses Thema soll nicht diskutiert werden, da gibt es nur wenige Ausnahmen. Also Italiener, die sagen, ich bekenne mich zu den UNO-Menschenrechtspakten, ich bekenne mich zum Prinzip der Demokratie und zu den Prinzipien vor allem des Risorgimento (italienische Einigungsbestrebung im 19. Jahrhundert – d. Red.), müssen eines bedenken: Mit der Annexion Südtirols wurden die eigenen sogenannten hochheiligen Prinzipien des Risorgimento verraten, indem man ein Land besetzt hat, das nie zu Italien gehört und auf das Italien keinerlei Anspruch gehabt hat. Aber darüber kann man mit den wenigsten Italienern reden. Insofern hat es vielleicht eine Wirkung gehabt, daß die Südtiroler Volkspartei immer wieder zum Nachgeben bereit gewesen ist, weil sie geglaubt haben, sie können den Neofaschisten nur so Einhalt gebieten. Was den MSI bzw. die Alleanza Nationale angeht: Die haben immer den Eisbrecher gespielt und die anderen Parteien ins Schlepptau genommen, so daß letztendlich die "Autonomie" immer weiter eingeschränkt wurde.

In diese Richtung paßt die Bemerkung von Staatspräsident Scalfaro bei seinem Besuch in Südtirol. Er bezeichnete Südtirol als seine "nördlichste italienische Provinz". Sie haben darauf sehr schroff reagiert.

KLOTZ: Selbstverständlich! Das war eine Demonstration der Zugehörigkeit Südtirols zu Italien. Das hat hat mich von Scalfaro an und für sich nicht gewundert. Empört hat mich, daß Landeshauptmann Durnwalder und andere Vertreter dazu geklatscht haben. Und natürlich, daß sie ihn eingeladen haben. Wozu laden sie ihn denn ein? Wenn sie sagen, es hätte noch schlimmer kommen können, wieso lade ich ihn dann ein, wenn ich von vornherein nur Negatives erwarte.

Sie sprachen in diesem Zusammenhang von einem "römischen Imperialismus"…

KLOTZ: …und einer Kolonialmentalität, denn der italienische Staatspräsident kommt zu seinen Höflingen mit der Mentalität des römischen Imperialismus. Mit Höflingen habe ich vor allem die SVP-Politiker gemeint.

Im Zusammenhang mit der Erschießung von Christian Waldner und dem mutmaßlichen Täter Peter Paul Rainer kamen die Südtiroler Schützen wieder einmal in die Schlagzeilen. Wird der Mord an Waldner zu einer politischen Tat hochstilisiert?

KLOTZ: Die Schützen sind 1958 – daran war mein Vater ganz wesentlich beteiligt – wiedergegründet worden, allerdings mit dem Verbot des Waffentragens. Die Forderung, historische Waffen tragen zu dürfen, mit denen man eine Salve schießen kann, hat es die ganzen Jahre gegeben. Mehr machen die Nordtiroler auch nicht. Diese Diskussion hat jetzt in dem Zusammenhang mit dem Mord an Heftigkeit zugenommen.

Der Mord an Waldner ist in der italienischen Presse zu einer politischen Tat stilisiert worden.

KLOTZ: Die Italiener sehen dies als Beweis dafür, daß das friedliche Zusammenleben gefährdet ist. Das ist völliger Unsinn. Der Mord hat mit dem friedlichen Zusammenleben in Südtirol nichts zu tun.

Die Union für Südtirol wird als "rechts" eingestuft, weil sie auf das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol beharrt. Andererseits vertreten Sie Themen, die in den letzten Jahren als links galten oder den Grünen überlassen wurden, ich denke da beispielsweise an Umweltschutzanliegen.

KLOTZ: In Sachen Selbstbestimmungsrecht paßt kein Schema, denn die Menschenrechte stehen im Grunde genommen über diesen unzulänglichen Kategorien und Einordnungsmustern. Außerdem: Wie kommt es, daß in der ganzen Welt die Linke sich den Kampf für die Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht auf die Fahne schreibt, aber ausgerechnet in Südtirol soll dieses Bestreben plötzlich "rechts" sein. Das geht nicht zusammen. Aber dahinter steckt ein altbewährtes Mittel: Besonders unangenehme oder gefährliche Gegner malt man mit entsprechender Farbe an und stellt die ins rechte Eck. Schon sind sie isoliert. Aber bei uns gelingt es ihnen schon lange nicht mehr, obwohl die italienischen Medien das immer wieder versucht haben und versuchen. Inzwischen gibt es auch Medien, die anders über uns berichten, weil sie einfach gesehen haben, daß man uns bisher nie etwas anhängen konnte, weil wir diesbezüglich einwandfrei sind.

Umweltschutz und Heimatschutz sind für Sie nicht zu trennen?

KLOTZ: Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Es erübrigt sich jede Volkstumspolitik, wenn ich mich nicht auch für die Erhaltung der Heimat und der Natur einsetze. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit, die ich jeden Tag vor Augen habe. Die Selbstbestimmungsfrage ist für mich auch nicht von der sozialen Frage zu trennen.

Wie erklären Sie sich, daß in Deutschland rechte Parteien die Umweltproblematik den Linken überlassen?

KLOTZ: Ich kenne die Situation dort zu wenig, aber ich vermute, daß diese Parteien zuviel Ideologien und zuviel Theorien im Kopf haben.

Sie sind seit vielen Jahren in der Politik tätig und setzten sich unbeirrt für die Selbstbestimmung Südtirols ein. Sehen Sie Ihren Kampf gegen die italienische Fremdbestimmung als Lebensaufgabe?

KLOTZ: Ich arbeite seit 21 Jahren gegen Ungerechtigkeiten und gegen Unfreiheit in jeder Hinsicht. Ich setze mich nicht nur ein für die Selbstbestimmung gegen die Fremdbestimmung, sondern überhaupt für alle Freiheitsbelange, dazu gehört soziale Gerechtigkeit genauso wie nationale Gerechtigkeit.

Dr. Eva Klotz, Landtagsabgeordnete der Union für Süd-tirol (UfS), wurde 1951 im Bergdorf Balten im Passeiertal als ältestes der sechs Kinder von Georg Klotz geboren. Sie besuchte die Lehrerbildungsanstalt und studierte Geschichte, Volkskunde und Philosophie an der Universität in Innsbruck und promovierte dort im Jahre 1974. Anschließend Erwerb der Lehrbefähigung für Südtiroler Oberschulen in den literarischen Fächern (Deutsch, Geschichte, Geographie und Latein). Als Lehrerin tätig bis zur Wahl in den Südtiroler Landtag 1983. Seither Mitglied des Landtages und verschiedener Kommissionen. Politisch tätig seit ihrem Eintritt in den Ausschuß des Süd-tiroler Heimatbundes 1976. Sie ist Mitglied der fünf-köpfigen Leitung und des Hauptausschusses der Union für Südtirol.


 
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