© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/97  18. April 1997

 
 
Zitate

"Das Leben wird kalt, gierig und geschwätzig durchgeführt – aber nur die Mehrheit lebt so. Und nur in unserer Epoche behauptet sie eine solch tonangebende Stellung. Dabei ist sie vom Leben viel weiter entfernt als die verschwindende Minderheit, die verstreuten einzelnen, die es zu erleiden oder zu genießen verstehen. Die Unmasse an Albernheit bedrückt nur deshalb so stark, weil wir als Demokraten dazu erzogen sind, an allem und jedem uns gemeinsinnig beteiligt zu fühlen und auch dort noch lebhaft Anteil zu nehmen, wo Heerscharen von Lemuren ihre Späße treiben."

"Man sucht die Besten aus als die Nützlichsten. Besser wäre es, den Dummen eine Chance zu geben, sich nützlich zu machen. Es ist kein Kunststück, aus jeder Masse Eliten zu züchten. Wohl aber ist es eins, die Verblödung in der Breitenausdehnung zu begrenzen."

"Verwahrlosung kommt aus der Mitte der Gesellschaft, nicht von den Rändern. Sie wird auf lange Sicht nur zunehmen. Man lebt dann mit unerträglichen Spannungen und unerträglichen Gleichgültigkeiten. Dies alles ist absehbar, im wesentlichen schon anwesend. Die Zeit entfaltet nur noch dilatorische Wirkung. (…) Es ist leichter, ein autoritäres Regime zu Fall zu bringen, als ein liberales System vor seiner eigenen Zerrüttung zu bewahren. Das eine ist künstlich, starr wie ein Kristall und kann nur gebrochen werden. Das andere ist organisch und kann nur absterben."

"Was in unserer Mitte so vor sich geht, ist dazu angetan, die Geister unserer Ahnen zu vergnügen. Jeder Lebende amüsiert ein ausverkauftes Haus voll Toter. Sie setzen Preise aus für die größte Nichtigkeit und Nichtswürdigkeit des Tages, um die wir auf der Szene mit blutigem Ernst konkurrieren."

"Beim vielbeschworenen Umdenken verhält sich der Mensch im Grunde nicht anders als ein Tier: Erst die Not macht es ihm notwendig, sich anders zu verhalten. Ein Leben mit der bitteren Einsicht in die Unrettbarkeit der angenehmen Verhältnisse ist bei weitem erträglicher, als die geringste Konsequenz aus ihr zu ziehen."

"Seltsam stagnatives, lasches Erörtern der Lage bei erhöhtem Mitteilungsdrang. Die noch so klugen Worte enthalten nichts, um uns umzustimmen. Die Sprecher bemerken nicht mehr, daß ihre Worte nicht haften, sondern sich in einer leeren Ausgesprochenheit lose drehen. Ohne gewaltige Tendenz, ohne Passion und großes Verlangen ist kein Gedanke mehr glaubwürdig, entsprechen Worte den Kräften nicht mehr, die uns herausfordern. Der Geist ist Knecht, Leidensorgan, oder er ist ein Fatzke."

Der Dramatiker Botho Strauß in seinem neuen Buch "Die Fehler des Kopisten" (Carl Hanser Verlag, München 1997, 34 Mark), zitiert nach einem Vorabdruck im "Spiegel", 16/97


 
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