© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/97  18. April 1997

 
 
Drogen-Problem: Der Fall des Pop-Barden Vegas
Schickeria-Schneetreiben
Meinungsbeitrag
von Andreas Mölzer

Drogen gehören zur menschlichen Kulturgeschichte, keine Frage. Nun mag der tiefe Fall eines Austro-Pop-Sängers, der zweimal am Song-Contest seichte Liedchen geträllert hat, wenig bis gar nichts mit Kulturgeschichte zu tun haben. Ebensowenig wie die Sorge der Seitenblicke-Gesellschaft in diversen Polizeiberichten oder Medien-Stories im Zusammenhang mit Nobel-Drogen genannt zu werden. Dennoch gibt es eben eine kulturhistorische Dimension des Phänomens Droge.

Nahezu jede Kultur der Menschheitsgeschichte hatte und hat ihre Kulturdroge, die für den Charakter, sozusagen die Mentalität der betreffenden Kultur bezeichnend ist. Die Geschichte vom Opiumraucher, vom Haschischraucher und vom Alkoholiker, die des Abends vor ein verschlossenes Stadttor kommen, sagt über dieses Phänomen mehr aus, als gelehrte Vorlesungen: Was also tun angesichts des verriegelten Stadttores. Der Opiumraucher meint: "Was soll’s, wir legen uns vor das Tor und schlafen." Der Haschischraucher hingegen: "Wir schweben durch das Schlüsselloch", und schließlich der Alkoholiker: "Unsinn, wir schlagen das Tor ein."

Dem europäisch-westlichen Kulturkreis mit seiner kommunikativen, ja aggressiven Zivilisation entspricht also die aggressive Kulturdroge Alkohol. Den kontemplativen Kulturen des Fernen Ostens eben eher Opium. Haschisch rauchende Wüsten-Nomaden und Kokablätter kauende Indios vermochten mit diesen Drogen über Jahrtausende ebenso umzugehen, wie der Europäer mit berauschenden alkoholischen Getränken. Das Gros einer Gesellschaft weiß "ihre" Kulturdroge zu handhaben. Ein gewisser Prozentsatz geht allerdings daran zugrunde. Erst dort wo die kulturelle Handhabung der Droge nicht möglich ist, wo Drogen kulturüberschreitend konsumiert werden, steigt der Prozentsatz jener, die daran zugrunde gehen sprunghaft an. Haschisch und Marihuana also in unserem Kulturkreis mit dem Hinweis auf den Alkohol freizugeben, wäre verantwortungslos. Weder die Mentalität unseres Kulturkreises noch die soziale Handhabung dieser Drogen ist mit dem, in unseren Breiten üblichen Alkoholkonsum vergleichbar. Drogen, um physischen Schmerz oder psychisches Leid zu vergessen, Drogen zur hedonistischen Steigerung des Lustgewinns oder Drogen als Stimulans für Kreativität und zur Erkenntniserweiterung durch Grenzerfahrungen, sie sind also allenthalben kulturelles Faktum ebenso wie soziales Problem. Die Bekämpfung unerträglicher Schmerzen, etwa durch Morphium, bedarf hier keiner Erörterung. Anders steht es da schon um die Versuchung seelische oder soziale Probleme durch Drogenkonsum zu verdrängen und zu vergessen. Der Katzenjammer, der zwangsläufig auf die temporäre Linderung folgt, das Verschieben oder Vergessen der eigentlichen Problemlösung ist schlicht gefährlich. Was schließlich den Lustgewinn durch Drogenkonsum betrifft, so ist das zweifellos ein jämmerliches Schauspiel, wenn eine ebenso zynische wie hemmungslose Schickeria versucht, ihre schlaffe Libido mittels sogenannter "Nobel- oder Designer-Drogen" anzuregen. Zwischen dem angeregten Gespräch nach mehreren Gläsern guten Weins oder auch ausgelassener Champagner-Laune bei einem Fest und dem Kokain-Exzessen einer Möchtegern-Hautevolee ist ein unüberbrückbarer moralischer und sozio-kultureller Graben. Wer beides vergleicht oder versucht, auf dieselbe Stufe zu stellen, übersieht, daß es beim einen um Kommunikation, um zwischenmenschlichen Austausch und gemeinsame Freude geht, beim anderen bloß um exzessive Egomanie.

Wenn dann drittklassige Liedermacher glauben, sie stünden in der Tradition Georg Trakels, bloß, weil sie rauschgiftsüchtig sind, wenn Zeitgeistjünger aus der Kultur- und Medienszene meinen, auf den Spuren Baudelaires zu wandeln, wenn sie Kokain schnupfen, wenn neurechte Techno-Fans – ja, die gibt’s – ihren Ecstasy-Konsum mit dem Verweis auf Ernst Jüngers Betrachtungen über "Rausch und Droge" argumentieren, kann all dies über die Gefährlichkeit, ja über die Verwerflichkeit solcher Sucht nicht hinwegtäuschen. Gewiß, Hemingway war ein exzessiver Säufer. Beileibe nicht jeder Alkoholiker ist deswegen ein begnadeter Dichter.

Diese Diskussion demaskiert jene gesellschaftspolitischen Kräfte, die sich da immer wieder für eine Drogenfreigabe stark machen. In einer Zeit, in der leichte Drogen kriminalisiert werden, kapituliert man vor den harten Drogen. Raucher werden wohl bald mit nikotingelben Sternen an der Brust herumlaufen müssen, mit Gefängnisstrafen oder zumindest mit Zwangspsychiatrierung rechnen müssen. Die Reduzierung der Promillgrenze im Straßenverkehr wird ebenso heftig betrieben. Ohne nun die Gefahren von Nikotin und Alkohol verharmlosen zu wollen, muß doch gesagt werden, daß die parallel dazu laufende Diskussion um die Freigabe von Marihuana und Haschisch einigermaßen skurril ist.

Pervers allerdings geradezu ist es, dann einer staatlichen Abgabe von harten Drogen wie Heroin an Süchtige das Wort zu reden. Es mag dies zwar die Beschaffungskriminalität vermindern, würde aber doch eine völlige Kapitulation vor eben diesen harten Drogen bedeuten.


 
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