© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/97  18. April 1997

 
 
Wolfgang Mattheuer: Einem eigenwilligen Maler zum Siebzigsten
Leise, aber deutliche Töne
von Martin Otto

Eine alte Frau, sichtbar durch lange Arbeitsjahre gezeichnet, sitzt ruhig an einem schmucklos-weiß gedeckten Tisch, auf dem ein bescheidener Blumenstrauß, wohl der Dame zugedacht, abgelegt wurde. Die Dame selbst, bescheiden gekleidet, nur mit einer Art Medaillon geschmückt, wirkt teilnahmslos und in sich selbst gekehrt: Eine für irgendwelche Bestleistungen ausgezeichnete Arbeiterin. Der Leipziger Künstler Wolfgang Mattheuer, der am 7. April 1997 siebzig Jahre alt wurde, hat in seinem 1973/74 entstandenen Ölbild "Die Ausgezeichnete" diese alltägliche Szene aus dem Arbeitsleben in der DDR, ein an sich unspektakuläres Motiv, eindrucksvoll festgehalten. Das Bild ist in der umfangreichen Sammlung "Kunst der DDR" in der Berliner Neuen Nationalgalerie zu sehen.

"Ich bin in der Malerei nicht vordergründig auf der Suche nach malerischen Sensationen, sondern suche das Heutige, das Problematische, das Wesentliche", erklärte Mattheuer 1973, also zur Entstehungszeit der "Ausgezeichneten", in einem Gespräch mit einem DDR-Journalisten. Damals galt Mattheuer in beiden Teilen Deutschlands gleichermaßen als anerkannter Vertreter der Nachkriegskunst. Von der DDR indes, in der er während ihres gesamten Bestehens künstlerisch tätig war, ließ er sich nie gänzlich vereinnahmen. Zum plakativen Staatskünstler war er mit seiner eigenwilligen Motivwahl und der ihm eigenen "ganz anderen, humorvoll-aktivierenden Weise" (so das offiziöse, 1979 erschienene Standardwerk "Die Künste in der DDR") nie so richtig geeignet.

Mattheuer, wurde am 7. April 1927 in Reichenbach im Vogtland geboren, Mittelpunkt seines Wirkens wurde jedoch schon früh Leipzig, eine Stadt, in der es seit Max Klinger stets Raum für eigenwillige künstlerische Wege gab. Dennoch stellt der Kunststudent Mattheuer 1958 Antrag auf Mitgliedschaft in der SED; er sollte bis 1988 deren Mitglied bleiben. In seinem Austrittsschreiben an die "SED-Grundorganisation Bildende Künste Leipzig" vom 7. Oktober (dem Nationalfeiertag der DDR) erklärt er, er habe geglaubt, durch seine Parteimitgliedschaft "mitwirken zu können". Während seiner Mitgliedschaft stellte Mattheuer fest, wie es in seinen bei Reclam Leipzig veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen heißt ("Äußerungen" 1990), daß es für das "sich selbst bestimmen wollende Individuum" in der Partei keinen Platz gibt.

Wie viele Künstler fand Mattheuer von einem zunächst rein grafischen, vornehmlich aus Linolschnitten bestehenden Werk zur Malerei. Auf der 7. Leipziger Bezirkskunstausstellung erregt er mit dem Bild "Kain" erstmalig Aufsehen. Mattheuer findet mit seinen Grafiken und Bildern Anerkennung, ist bald auf allen wichtigen Ausstellungen und in nahezu sämtlichen Kunstmuseen der DDR vertreten. In der Tradition der "Neuen Sachlichkeit" stellte Mattheuer in leisen, aber deutlichen Tönen die Gegenwart in der DDR dar. Studienaufenthalte wurden ihm auch in der Sowjetunion ermöglicht. So entstand etwa 1967 die "Bratsker Landschaft", eine Darstellung eines gerade erschlossenen sibirischen Industriegebietes; nicht spektakuläre Ingenieurleistungen stehen im Mittelpunkt, sondern drei weibliche Gestalten, die auf einem noch funktionslosen Rohr balancieren.

Bei einem zeitkritischen Realisten mit surrealen Zügen, wie Mattheuer, wundert es nicht, daß seine Darstellung der Wirklichkeit im Sozialismus wenig schmeichelhaft ausfällt. Das 1974 entstandene Bild "Freundlicher Besuch im Braunkohlewerk" zeigt deutlich die Umweltzerstörung durch Tagebau und Kraftwerke; der freundliche Besuch besteht aus drei eigenartig maskierten Gestalten, die die dargestellte Industrielandschaft verfremden. Auch die "Ausgezeichnete" ist fern von jedem Pathos der Arbeit. Mattheuer hatte in der DDR den Ruf eines "gedankenreichen und eigenwilligen, nicht eigenbrötlerischen" Künstlers, wie Renate Hartleb in dem Band "Künstler in Leipzig" 1976 konstatierte. Er bewegte sich zunehmend auf einem engen Grat zwischen geduldeter und nicht geduldeter Zeitkritik. Die persönliche Kritik am Staat DDR steigert sich bis in die achtziger Jahre immer mehr; 1989 sieht die Staatssicherheit in ihm einen potentiellen Staatsfeind. In seinem Werk findet das Verhältnis zur DDR freilich nur begrenzt Niederschlag. Einer politischen Aussage, sei es für oder gegen den Sozialismus, hatte sich Mattheuer immer enthalten, war mehr an seinen Bildmotiven als den Deutungsschemata der Kulturkritik in Ost und West interessiert. In den achtziger Jahren findet Mattheuer immer stärker zu einem magischen Realismus. Die Sachlichkeit weicht dem Symbolischen. In dieser Zeit erwarben auch westdeutsche Museen, etwa das Sprengel-Museum in Hannover, seine Bilder.

In seinem lithographischen Werk dominiert das Mythologische; Ikarus und Sisyphos treten auf, teilweise in die Moderne gerückt. In West wie Ost wurde diese Verschlüsselung als Zeitkritik interpretiert. Während die DDR Holzschnitte wie "Deutscher Mai 1945" zu nutzen versuchte, glaubte man im Westen in der Verwendung des Ikarus-Motives eine Kritik an dem staatlich verordneten Kult um sowjetische Kosmonauten zu erblicken.

In der heutigen bundesdeutschen Kulturlandschaft gehört er als Repräsentant der abgeschlossenen Kulturlandschaft DDR schon der Vergangenheit an; im gesamtdeutschen Kunstmarkt ist er, wie schon in der DDR, nicht so recht einzuordnen. Kein Museum in Ost wie West hielt es für nötig, ihm eine umfassende Retrospektive zu widmen, wie sie anderen Künstlern aus Ost oder West großzügig gewährt wird. Als Zeitkritiker steht er letztlich jedem Umfeld skeptisch beobachtend gegenüber, verschließt sich der Einordnung. Gerade darin liegt auch im wiedervereinigten Deutschland die Bedeutung des künstlerisch gänzlich "selbstbestimmten Individuums " Wolfgang Mattheuer.

In der Städtischen Kunstsammlung in Chemnitz, Theaterplatz 1, ist bis zum 29. Juni die Ausstellung "Wolfgang Mattheuer – Graphikretrospektive 1948–1997" zu sehen; Di–So 11–17 Uhr. Der Katalog kostet in der Ausstellung 25,– Mark.

Die Galerie Schwind, Gärtnerweg 26, 60322 Frankfurt/Main, zeigt noch bis zum 10. Mai eine Verkaufsschau ausgewählter Bilder, Bronzen und Zeichnungen Mattheuers aus den letzten 40 Jahren: Di–Fr 13–18.30 Uhr, Sa 11–14 Uhr.


 
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